Neuigkeiten von Marla Rückkehr in ein fast gesundes Leben

Madlen Pfeifer
Inmitten von Bällen liegt Marla bei einem Training ihrer Fußballmannschaft. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Das Lachen ist da. Immer noch. Es war nie weg, so schwer die vergangenen Monate auch gewesen sind. Foto: privat/privat

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, als bei Marla eine seltene Form von Blutkrebs festgestellt wurde. Über Typisierungsaktionen und den Spendenaufruf von „Freies Wort hilft“ haben sich unzählige Menschen für die Siebenjährige und ihre Familie mächtig ins Zeug gelegt. Mit Erfolg. Denn heute zwölf Monate nach der Diagnose kann Mutter Kathleen sagen: „Es ist beinahe so, als ob nichts gewesen wäre.“

 
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„Gut“, antwortet Kathleen Scheler im ersten Moment noch etwas verhalten auf die Frage, wie es Tochter Marla, ihr selbst und der ganze Familie geht. Doch schiebt sie kurz darauf hinterher: „Eigentlich geht’s uns gerade sehr gut. Wir sind im Alltag angekommen. Auch wenn noch nicht alles wieder ganz normal ist.“

Seit gut sechs Wochen dürfen Marla und ihre Mutter endlich wieder dauerhaft zu Hause in Schmiedefeld im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sein. Am 17. August war der große Tag, als die Siebenjährige aus dem Klinikum in Jena entlassen wurde, wo sie den Großteil des vergangenen Jahres verbringen musste, nachdem Ärzte bei ihr am 26. September 2022 Blutkrebs diagnostizierten.

Wie mehrfach berichtet, wurde bei Marla eine äußerst seltene Form einer Akuten lymphatischen Leukämie, kurz ALL festgestellt. Eine Stammzellspende war ihre einzige Hoffnung auf Heilung. Familie und Co. initiierten Dutzende Typisierungsaktionen, um einen geeigneten Spender zu finden. Ein genetischer Zwilling – wenngleich kein hundertprozentiger – konnte schließlich in Amerika aufgetan werden. Doch war die Zahl der Leukämiezellen im Blut des Mädchens trotz Chemotherapie-Behandlungen zu hoch, um eine Spende durchführen zu können. Die behandelnden Mediziner zogen deshalb bekanntermaßen eine erst seit Kurzem anerkannte und äußerst kostspielige Therapie in einer Klinik in Singapur in Betracht. Der Verein „Freies Wort hilft“ hatte zu Spenden aufgerufen, um der Familie die finanzielle Hürde so niedrig wie möglich zu gestalten. Knapp 80000 Euro sind auf dem Konto des Hilfswerkes dieser Zeitung seinerzeit eingegangen. Unverhofft hatten sich Marlas Blutwerte dann doch so verbessert, dass die Ärzte entschieden, die Stammzellspende ohne die vorbereitende spezielle Therapie in Singapur in Angriff zu nehmen. Mit Erfolg – nach aktuellem Stand. Seit 6. Juni gilt sie als krebsfrei.

„Es war ein riesengroßer Kampf“, erzählt Mama Kathleen, was den Weg bis zur Entlassung angeht. Zum einen haben sich die Blutwerte nach der Spende nicht so stabilisiert, wie sie es hätten tun sollen. Sodass Marla schließlich ein zweites Mal am 11. August Stammzellen ihres genetischen Zwillings erhalten hat, die letztlich die erhoffte Wirkung zeigten. Zum anderen musste das Mädchen wieder lernen, ohne Dauerkatheter selbstständig zu essen und zu trinken.

„Bis zu meinem Geburtstag ging eigentlich gar nichts“, blickt Kathleen zurück. Marla, deren Schleimhäute in Mund, Rachen, Magen und Darm die Chemo derart in Mitleidenschaft gezogen hatte, dass an eigenständige Nahrungsaufnahme nicht zu denken war, habe essen wollen, aber einfach nichts runtergebracht, erzählt die Mutter. Deren einziger Wunsch sei es an ihrem Geburtstag am 25. Juli folglich gewesen, „dass das mit dem Essen endlich wieder klappt“. Und der scheint erhört worden zu sein: Mit einem Detscher hat Marla einen Schritt in Richtung Normalität gemacht „und dann“, so Kathleen, „ging’s allmählich aufwärts“.

„Die beste Medizin“ aber ist wohl für die Siebenjährige ihr elfjähriger Bruder Luca. Seitdem die Geschwister wieder vereint sind, erzählt die dreifache Mutter, könne man beobachten, wie Marla aufblüht. Generell gehe es ihr von Tag zu Tag besser, seitdem sie wieder zu Hause im gewohnten Umfeld bei der ganzen Familie ist. Der große Tag der Rückkehr im August sei aber recht unspektakulär ausgefallen. Im Krankenhaus habe Marla zum Abschied die obligatorische Klingel geläutet. Ein symbolischer Akt, der gewöhnlich nach der überstandenen letzten Chemo ansteht. Und die Ankunft zu Hause, wo Bruder Luca, die dreijährige Schwester Lea und Marlas Stiefpapa Manuel „ganz süß geschmückt“ hatten mit Herzlich-Willkommen-Girlande, so Kathleen, habe man schlichtweg als Familie genossen.

Wöchentliche Blutwerte-Kontrollen

Inzwischen geht Marla auch schon wieder zur Schule. Am 7. September war ihr erster oder besser gesagt ihr zweiter erster Schultag. Schließlich hatte sie vergangenes Jahr kurz nach der Schuleinführung die lebensverändernde Diagnose erhalten und seither mehr Zeit im Krankenhaus als anderswo verbracht. Aber auch dort habe man sich bemüht – soweit es der Gesundheitszustand des Mädchens erlaubte –, sich mit dem Schulstoff der ersten Klasse zu beschäftigen, wie Kathleen erzählt. Sodass die Siebenjährige nun die zweite Klasse besucht. „Wir versuchen’s“, sagt die Mutter, die ihre Tochter jeden Tag für zwei Stunden im Unterricht begleitet und unterstützt. Unter anderem deshalb kann die 38-Jährige noch nicht an die Rückkehr ins Arbeitsleben denken. Auch weil immer wieder spontane Entscheidungen anstehen. Etwa derart, dass Marla wegen ihres noch nicht hundertprozentig arbeitenden Immunsystems nicht zur Schule kann, weil dort eine Erkältung oder dergleichen die Runde macht.

Einmal pro Woche steht zudem ein Klinik-Besuch in Jena auf dem Programm, bei dem die Ärzte Marlas Blut kontrollieren. Und alle drei Monate wird obendrein eine Beckenkammpunktion zur Bestimmung der Leukämiezellen im Blut gemacht. Die nächste ist im November geplant. Ansonsten heißt es für Marla, jeden Tag Tabletten zu nehmen. „14 verschiedene waren es mal“, sagt Kathleen. Indes seien es weniger, aber immer noch ein ganzer Haufen – ob Antibiotikum, Vitamin- und Lebertabletten oder ein Pilzmittel. Zudem ist die Siebenjährige auch ihren Dauerkatheter, über den sie nicht nur Nährstoffe, sondern auch Medikamente verabreicht bekam, noch nicht los. Vorsichtshalber. Denn die Garantie, dass der Krebs für immer weg ist, kann der Familie niemand geben. Es dauere wohl im Schnitt laut der Ärzte zwei Jahre, bis alles wieder nahezu normal ist, sagt Kathleen. Die Option der Singapur-Behandlung behält die Familie folglich im Hinterkopf und bleibt bezüglich der Spendengelder mit „Freies Wort hilft“ in Kontakt.

Die Haare wachsen endlich wieder. Kurz nach der Entlassung aus der Klinik ging’s für Marla zum Friseur. Inzwischen schon zum zweiten Mal. Foto: privat/privat

Was Prognosen zu Marlas gesundheitlicher Entwicklung angehen, üben sich die Ärzte in Zurückhaltung. Die Furcht, dass der Krebs wiederkommen könnte, begleitet Mutter Kathleen jeden Tag. Einmal mehr in der vergangenen letzten Septemberwoche, als sich der Schicksalsschlag der Familie jährte und ihr vor Augen führte, wie schnell sich das Blatt wenden kann. Kathleen spricht von einer bedrückenden Woche. „Es war letztes Jahr um die gleiche Zeit“, sagt sie. „Und dieses Jahr ist es beinahe so, als ob nichts gewesen wäre.“ Sie springt rum, fährt Fahrrad, geht mit zu jedem Training ihrer Fußballmannschaft der SG Lauscha/Neuhaus – wenn auch nur als Zuschauer –, sie macht sich schick zurecht, möchte zur Kirmes gehen, und, und, und. Sie einzubremsen, weil ihr Körper, ihr Immunsystem noch nicht alles wie vorher mitmachen, fällt Kathleen schwer. „Ich freue mich einfach nur, wenn ich sehe, wie sie lacht, wie glücklich sie jetzt ist.“ Ihre Stimme wird zittrig bei jenen Wort. „Ja“, sagt sie, „ich habe die ganze Zeit funktioniert“. Jetzt erst realisiere sie, was im vergangenen Jahr alles passiert ist. „Jetzt kommt es alles hoch.“ Oft überwältigen Mama Kathleen ihre Emotionen. Doch formuliert sie auch das Ziel für die Zukunft von Marla, von ihrer Familie ganz klar, das da lautet: „Jeden Tag genießen.“

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