SOS-Festival in Suhl Hilfe! Die 1980er kommen zurück

Magnum, Miami Vice und Modern Talking – die 1980er waren das beste Jahrzehnt der Popkultur. In Suhl gibt Thomas Anders den Auftakt zum SOS-Festival. Unsere Bildergalerie zeigt die Fernsehserien der 80er.

 
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Die 1980er Jahre waren ein ganz besonderes Jahrzehnt. Die Leute fragten sich, ob Ronald Reagan oder Leonid Breschnew oder ein Computerfehler einen Atomkrieg auslösen. Nachdem die DDR ihre Energieversorgung auf Braunkohle umstellen muste, kollabierte die Umwelt. Computer wurden zu einem Phänomen für Privathaushalte. Das Space Shuttle hob ab – und erlebte seine größte Katastrophe. Die industrielle Basis der DDR verrottete jedes Jahr ein bisschen mehr. Am Ende des Jahrzehnts war die Welt eine komplett andere. Wer 1980 behauptet hätte, dass der Sozialismus zehn Jahre später untergeht und die Mauer fällt, wäre in eine Irrenanstalt eingeliefert worden – und niemand hätte diese Entscheidung in Zweifel gezogen.

1980 kam ich in die fünfte Klasse, 1989 stand ich im Studium. Meine Generation hatte die DDR bereits verloren. Das hatte viele Gründe. Die alten Männer im Politbüro der Einheitspartei wurden immer älter. Der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew starb am 10. November 1982. In der DDR wurde darüber erst am 11. November berichtet. Wir waren nur traurig, dass uns damit auch der Karnevalsauftakt verboten wurde. Sein Nachfolger fiel bei Breschnews Beerdigung fast ins Grab. Ein Jahr später war auch er tot und wiederum ein Jahr später auch dessen greiser Nachfolger. Die Greise in der DDR hielten sich wacker, während im Zentrum unseres Universums der mit seinen 54 Jahren jugendliche Michail Gorbatschow die sozialistische Welt ab 1985 auf den Kopf stellte.

Für Jugendliche ist die Politik in einem System, das sich für alternativlos erklärt hat und jede Abweichung verfolgt, aber nicht besonders relevant. Das kommunistische Himmelreich der alten Männer wird schon irgendwann kommen, daran zweifelten wir nicht. Allerdings nicht heute und morgen, sondern in einer fernen Zukunft. Um uns das Warten auf das Paradies etwas angenehmer zu gestalten, genossen wir wie alle Jugendlichen die Populärkultur. Leider hatte unser System auch da das Nachsehen. Die Softpower bei Musik, Film, Mode und Technik lag uneinholbar entfernt im Westen Europas und in den USA. Eine simple Ruhla-Digitaluhr ohne Angeberpotenzial kostete 1985 265 DDR-Mark. Eine japanische No-Name Armbanduhr mit Taschenrechner zehn West-Mark. Es war offensichtlich: Die sozialistische Welt Moskaus und seiner Satelliten hatte keine Chance mehr, den Anschluss jemals zu erreichen.

Zu unserem Glück war die DDR in den 1980ern so irreparabel pleite, dass sie Zugeständnisse machen musste. Schon 1975 hatte die DDR die Schlussakte der Konferenz von Helsinki unterschrieben, in der eine Bombe versteckt war: „Die Teilnehmerstaaten stellen die Ausdehnung bei der Verbreitung von Information durch Rundfunksendungen fest und drücken die Hoffnung auf Fortsetzung dieses Prozesses aus, so dass das dem Interesse an gegenseitiger Verständigung zwischen den Völkern und den von der Konferenz festgelegten Zielen entspricht.“ Es dauerte zwar noch ein paar Jahre, aber noch in der ersten Hälfte der 1980er schaute wirklich jeder in der DDR Westfernsehen (Parteifunktionäre gaben es bloß nicht öffentlich zu). In den Blocks der Genossenschaften wurden ohne Hindernisse Gemeinschaftsantennen zum störungsfreien Empfang von ARD, ZDF, HR und BR installiert. Dazu gesellten sich DDR1 und DDR2.

Und so kam es, dass DDR-Bürger zu einem erheblichen Teil in der elektronischen Parallelwelt des Westens lebten und sich dort manchmal besser auskannten als mancher Westdeutscher. Die heile Welt des Sozialismus wurde überflutet von amerikanischen Fernsehserien und von westdeutschen (die meistens schlechter waren). Magnum raste mit einem Ferrari durch Hawaii, Jonathan Hart – „ein Selfmade-Millionär“ – löste mit Butler Max Kriminalfälle in „Hart aber herzlich“. In „Ein Colt für alle Fälle“ jagte Colt Seavers böse Buben in einem Pick-Up mit sechs Litern Hubraum, acht Zylindern und 250 PS durch Kalifornien. Der sowjetische Lada Niva schlich zur gleichen Zeit mit 59 PS durch Sibirien. Über „Wetten, dass..?“ im ZDF wurde mehr diskutiert als über „Ein Kessel Buntes“ auf DDR1, der Kessel war in den 1970ern steckengeblieben.

Irgendwann in dieser Zeit hörte meine Generation auch auf, die Puhdys (1969 gegründet) oder Karat (1975) cool zu finden. Tamara Danz und Silly trafen 1986 die Depression der DDR noch mit ihrem Song „Bataillon d’Amour“. Ansonsten kam Musik aus Großbritannien und den USA, manchmal aus Frankreich oder Westdeutschland. Wir hörten fast ausschließlich das Popradio Bayern 3, wo Thomas Gottschalk und Günther Jauch die Titel bis zum letzten Takt ausspielten, damit wir sie in der DDR auf Kassette aufnehmen konnten. „Formel Eins“ im Westfernsehen präsentierte wöchentlich die erfolgreichsten Musikvideos.

Mit der DDR ging es über die Jahre bergab. Politisch und wirtschaftlich war sie bereits vom Tod gezeichnet, weil ihr auch Michail Gorbatschow nicht mehr helfen konnte – sein Land und sein System waren selbst pleite. Dann liefen der DDR die Menschen in Scharen fort und wer noch geblieben war, der fragte sich, wie lange das gut gehen kann und ob er sich nicht auch auf die Reise machen sollte. „Wenn Leute unser Land verlassen“, sang der Singeklub der Parteijugend 1988 dazu. Darin heißt es: „Was sollen wir mit solchen Leuten, ist gut dass man sie ziehen lässt ... Das Land kann ohne sie auch leben.“ Ein Jahr später war der Spuk vorbei. Der Singeklub war verstummt, aber unsere Musik blieb.

Die wichtigste Fernsehsendung für Jugendliche: Formel Eins zeigt Musikvideos

Musikvideos sind in den 1980ern der letzte Schrei. Zum Glück gibt es die West-Fernsehsendung „Formel Eins“, die Jugendliche auch im Osten auf dem Laufenden hält.

Über dieses Musikvideo redet die ganze Welt – auch hinter dem Eisernen Vorhang: „Thriller“ von Michael Jackson. Es ist eine Zombiegeschichte mit einem Sack voller Spezialeffekte, die in endlosen 15 Minuten besungen wird. Der Meilenstein der Videogeschichte wird erstmals am 2. Dezember 1983 ausgestrahlt. Die DDR-Jugendlichen haben es in der Chartshow „Formel Eins“ gesehen, die seit 5. April 1983 in den Dritten Programmen der ARD gezeigt wird.

Die Sendung ist Kult und wird durch nichts aus dem DDR-Studio in Adlershof übertroffen. Formel Eins läuft bis 1990 mit insgesamt 307 Folgen. Erster Moderator ist Peter Illmann (bis Dezember 1984). Ihm folgen Ingolf Lück ( bis Dezember 1985), Stefanie Tücking (bis Dezember 1987) und Kai Böcking.

Auch Thomas Anders ist ein großer Fan von Formel Eins. Die Musikvideosendung sei ein unbedingtes Muss für Fans gewesen, wird sich der Sänger der Gruppe „Modern Talking“ später im WDR erinnern: „Man musste Formel Eins gucken.“ Für den Musiker ist klar: „Der erste Schritt in die Charts und dann in die Formel Eins. Das war das erklärte Ziel.“ Mit Modern Talking schafft er es in die Sendung und muss verkraften, dass Moderator Ingolf Lück das Debüt-Video zu „You’re My Heart, You’re My Soul“ mit erklärtem Widerwillen ankündigt. „Man war stolz und dann kommt so ein Lück und macht auf intellektuell“, sagt Anders. „Aber er hat es überlebt und wir auch.“ Ein paar Wochen nach der Ausstrahlung wird der Titel 1985 ohnehin die Nummer eins der deutschen Hitparade.

Insgesamt verkauft Modern Talking in den 1980er-Jahren 60 Millionen Tonträger. Unumstritten ist Modern Talking auch unter den ostdeutschen Jugendlichen nicht – man liebt oder hasst die Gruppe. Aber sie spielt die Begleitmusik des Jahrzehnts.

An wen erinnern wir uns aus den 1980ern? A-ha, Phil Collins, Depeche Mode, Duran Duran, Eurythmics, Falco, Peter Gabriel, Whitney Houston, Michael Jackson, Grace Jones, George Michael, Prince, Sade, U2, Rick Astley, Bryan Adams, Alphaville, The Alan Parsons Project, Bronski Beat, Culture Club, The Cure, Billy Idol, Iron Maiden, Madonna, Meat Loaf, Pet Shop Boys, Prince – das Gedächtnis ist voller Musikvideos.

Zu Beginn des Jahrzehnts wird allerdings deutsch gesungen: Die Neue Deutsche Welle macht Kasse und Teenager können die Texte fehlerfrei mitsingen. „Da Da Da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha“ von Trio wird am 9. Februar 1982 veröffentlicht und entwickelt sich zu einem der größten kommerziellen Erfolge. Das herrlich dämliche Lied erscheint in etwa 30 Ländern. Die Ärzte, Erste Allgemeine Verunsicherung, Spider Murphy Gang, Geier Sturzflug, Hubert Kah, Peter Schilling und Nena sind Wellenreiter.

Das Jahrzehnt der großen Schulterpolster

So viel Schulter war nie wieder. Die Mode der 1980er Jahre hat einen ikonischen Schnitt, der in Erinnerung bleibt: ausladende Schulterpolster selbst bei den Herren. Zu den bedeutenden Bekleidungstrends zählen Jeansjacken, Lederhosen, Fliegerjacken aus Leder, Overalls, hautenge und stonewashed Jeans, Poloshirts, Leggings und Beinstulpen.

Schulterpolster. Foto: www.imago-images.de

Was nicht nur potenzielle Schwiegermütter freut: Die Popper-Bewegung mit schwungvoller Scheiteltolle und ordentlich ausrasiertem Nacken (auch gerne in einem hauchzarten Zöpfchen auslaufend) sowie adretter Kleidung. Wer kein Popper ist – besonders Punks, Rocker und Mods – ist aus ihrer Sicht ein Prolo.

Popper gibt es auch in der DDR, aber eigentlich breitet sich die Jugendbewegung von Hamburger Gymnasien aus. Die meist aus der Mittel- bis Oberschicht stammenden Anhänger geben sich dort bewusst konformistisch und unpolitisch. Sie zelebrieren demonstrativ den Konsum, aus Überdruss an und aus Protest gegen die vorangegangenen und vorhandenen konsumkritischen Jugendkulturen – also eine Rebellion gegen die Rebellion.

Mit schmaler Lederkrawatte und Karottenhose hat man den Stilolymp erklommen. Karottenhosen haben eine Schnittform, die in der Silhouette jedes Hosenbeins einer Karotte nahekommt. Sie ist im Hüftbereich eher weiter geschnitten, um sich zu den Knöcheln hin zu verjüngen. Die Weite im Hüftbereich wird mit von Bundfalten erreicht. Bei sehr schlanken Menschen ergibt sich eine deutliche Betonung der Hüfte. Die Alten können gut damit umgehen: Vieles in der Mode der 1980er erinnert an die der 1950er.

Aktuelle Konzerte

Die 80er zurück in Suhl:
Wer das Gefühl von damals noch einmal erleben möchte, der sollte am 16. Juni zum Konzert von Thomas Anders (ehemals Modern Talking) oder am 24. Juni zum Konzert von Silly auf den Platz der Deutschen Einheit nach Suhl kommen. Karten unter Telefon (0 36 81) 79 24 13 oder www.sos-festival.de.

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