Thüringen Coronavirus verschärft die Mangelwirtschaft in Apotheken

Ein Apotheker stellt eine Desinfektionslösung für die Hände her. Wenn die dafür benötigten Grundstoffe lieferbar sind, ist das für Pharmazeuten kein Hexenwerk, sondern Basiskönnen. Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa Quelle: Unbekannt

Einfach in die Apotheke gehen und das Medikament bekommen, das der Arzt verordnet hat? Wenn es so einfach wäre. Corona verschärft ein bekanntes Problem. Selbst die Rohstoffe für Desinfektionsmittel sind nicht immer zu bekommen.

 
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Suhl/Erfurt/Berlin - Apotheker ist in diesen Tagen auch kein Traumjob. Noch häufiger als sonst müssen sie ihren Kunden sagen, dass sie bestimmte Präparate derzeit nicht liefern können. Zu bestimmten Wirkstoffen, die für manche Patienten lebenswichtig sein können, ist in der aktuellen Corona-Hysterie noch ein weiteres, viel profaneres Produkt hinzugekommen. Desinfektionsmittel.

Ob Apotheke, Drogerie oder Kaufhalle: Fast überall sind Desinfektionsmittel in diesen Tagen ausverkauft. Dabei wiederholen Ärzte immer wieder, dass gründliches Händewaschen mit warmem Wasser und Seife im Alltag ausreiche. Doch die Menschen scheinen diese Hinweise nicht hören zu wollen. Am Montag bildeten sich bei einem großen Discounter lange Schlangen, der noch ein paar Paletten Desinfektionsspray auf den Markt geworfen hat.

Die Lösung könnte einfach sein. So sagte Friedemann Schmidt, Präsident der Abda, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, dass Apotheker in der aktuellen Situation Abhilfe schaffen könnten. "Apotheken sind mehr als nur Abgabestellen. In jeder Apotheke gibt es ein Labor, in dem der Apotheker aus Grundsubstanzen selbst Desinfektionsmittel anfertigen kann - für Patienten, aber besonders auch für Arztpraxen oder Pflegeheime, die dringend darauf angewiesen sind", erklärte Schmidt. In der Theorie sei das so, bestätigt ein Südthüringer Apotheker. In der Praxis wisse er heute aber nicht, ob er morgen auch wirklich die bestellten Grundsubstanzen zur Herstellung von Desinfektionsmitteln für seine Kunden geliefert bekomme. Denn die hohe Nachfrage trifft auf ein anderes Problem, das den Apotheken seit Jahren zu schaffen macht: Den Lieferengpässen. Diese haben sich bei Arzneimitteln laut Abda im Jahr 2019 auf 18,0 Millionen Packungen fast verdoppelt - nach 9,3 Millionen Medikamenten im Jahr 2018. Im Jahr 2017 waren es sogar nur 4,7 Millionen Arzneimittel gewesen.

Die Gesamtzahl der in den Apotheken auf Rezept abgegebenen Medikamente ist derweil in allen drei Jahren bei etwa 650 Millionen konstant geblieben. Das ergibt eine Auswertung des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts auf Basis von Abrechnungen der Apotheken mit den gesetzlichen Krankenkassen. Dabei werden nur Rabattarzneimittel berücksichtigt, weil dort das Rezept entsprechend gekennzeichnet ist, sodass das wahre Ausmaß von Lieferengpässen sogar noch unterschätzt wird, erklärte der Spitzenverband der Apotheker. In der Rangliste der Nichtverfügbarkeiten im Jahr 2019 liegt Candesartan (Blutdrucksenker) mit 1,8 Millionen Packungen vor Allopurinol (Gichtmittel) und Valsartan (Blutdrucksenker) mit jeweils 0,8 Millionen Packungen.

"Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind leider schon seit Jahren ein großes Problem für die Versorgung von Millionen Patienten", sagte Verbandspräsident Schmidt. Mit dem neuen, traurigen Rekordniveau an Lieferengpässen zeige sich immer mehr, dass Apotheker als Krisenmanager agieren müssten, wenn sie ihre Patienten wenigstens mit Alternativpräparaten versorgen wollen. Dass die Apotheken in der derzeitigen Coronavirus-Krise die Desinfektionsmittel nun auch noch selbst herstellen müssen, ist ein zusätzlicher Belastungsfaktor.

Und auch der Arzneimittel-Großhandel beklagt seit Jahren, dass er die Apotheken nicht ausreichend beliefern könne. So teilt der Großhändler Noweda, der auch ein Logistikzentrum bei Erfurt betreibt, mit, dass die Ursache weiterer Lieferengpässe an der gebündelten Produktion vieler wichtiger Arzneimittel vor allem in Indien und China liege. "Fällt eine Produktion im Herstellerland - zum Beispiel in China - aus, hat das Auswirkungen auf den weltweiten Arzneimittelmarkt und damit auf die Lieferfähigkeit der Medikamente", teilt Noweda mit.

Mischung muss stimmen

Und auch Indien habe bereits auf die Produktionsausfälle in China aufgrund des Coronavirus reagiert. Das dortige Wirtschaftsministerium habe Einschränkungen beim Export von 13 Wirkstoffen und Zubereitungen verhängt. "Diese Anweisung könnte dramatische Folgen nach sich ziehen", warnt Michael Kuck, Vorstandsvorsitzender der Noweda. "Zusätzliche Risiken können entstehen, wenn ein Herstellerland Arzneimittel zurückhält, weil es plötzlich Medikamente im größeren Umfang für die eigene Bevölkerung benötigt, zum Beispiel wegen einer Pandemie in Asien." Im Übrigen wurden die Verantwortlichen in Politik und Krankenkassen seit langem darauf hingewiesen, dass sich die Abhängigkeit von anderen Ländern in der Arzneimittelproduktion zum Nachteil der eigenen Bevölkerung auswirken kann, so Kuck.

Sollte die Lieferkette nicht abreißen, so können Apotheker dank einer befristeten Genehmigung Produkte zur hygienischen Händedesinfektion herstellen und in den Verkehr bringen. Bis Anfang der Woche gab es dagegen rechtliche Hürden. Gegen das Coronavirus eingesetzt werden 70-prozentiges Isopropanol (auch 2-Propanol genannt) oder ein Gemisch aus Isopropanol mit Wasserstoffperoxid und Glycerol. Apotheker können zur Händedesinfektion auch Ethanol-Wasser-Gemische herstellen, erklärt Friedemann Schmidt. Der pharmazeutische Großhandel bemühe sich, die Rohstoffe für die Anfertigung dieser Desinfektionsmittel in ausreichender Menge in die Apotheken zu bringen.

Im Internet kursieren unterdessen längst Videos, wie sich Verbraucher ihre Desinfektionsmittel selbst anrühren können. Doch davon rät Schmidt ab. "Niemand sollte sich selbst zu Hause ein Desinfektionsmittel aus frei verfügbaren Zutaten zusammenrühren. Das kann gefährlich werden." Hochprozentiger Alkohol könne sich entzünden. In zu geringen Konzentrationen sei er nicht gegen Coronaviren wirksam. jol

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