Andererseits aber würden wohl auch geschlossene Schulen nicht zu dem Ergebnis führen, das sich die Lockdown-Befürworter erhoffen. In der Theorie, sagen die beiden Pädagogen, würden sie einen kurzen, harten Lockdown mit umfassenden Schul- und Kitaschließungen befürworten. Aus der Hoffnung heraus, so aus der Dauerspirale von Präsenzunterricht, Quarantäne, Distanz- und Wechselunterricht ausbrechen zu können. Doch in der Praxis werde die Zahl der Kontakte so nicht drastisch sinken.
Offiziell geschlossene Schulen würden nur dazu führen, dass sich Eltern einen Anspruch auf Notbetreuung ihrer Kinder organisierten, wie im bislang letzten Winterlockdown, sagt die Schulleiterin. Bei ihr hätten damals etwa 75 Prozent der Kinder in der Notbetreuung gesessen. Und ein Zurück zu den ganz strengen Notbetreuungsregeln wie im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gebe es nicht. „Damals waren wir alle total geschockt und bereit, ganz strenge Vorgaben zu akzeptieren“, sagt die Schulleiterin.
Nach fast zwei Jahren Corona, angesichts all der Anstrengungen, die diese Zeit für Familien bedeute, gebe es diese Bereitschaft nicht mehr, sagt sie. Schon mehrfach habe sie beobachtet, dass Schüler unterschiedlicher Familien, die sich in den Schulen mit Maske und Abstand begegnet seien, nach dem Unterricht vom Vater einer Familie abgeholt worden seien, um dann von ihm am Nachmittag gemeinsam betreut zu werden – ganz sicher ohne Maske, ohne Abstand. „Ich sage Ihnen, was passieren würde, wenn wir die Schulen jetzt schließen“, sagt der Schulleiter. „Die treffen sich auf dem Spielplatz.“
Mehr Eigenverantwortung
Also weiter so wie in den vergangenen Monaten? Immer weiter bis zur totalen Erschöpfung der Lehrer, Schüler, Eltern, bis zur Herdenimmunität, erreicht durch die fortschreitende Durchseuchung vor allem der Kleinsten und Kleinen?
So unterschiedliche Vorstellungen die beiden Pädagogen und Gerlitz auch zu einem kurzen, harten Lockdown haben, so einig sind sich die drei, dass deutlich mehr Eigenverantwortung der Schulen und der Kommunen der Weg wären, um aus der Diskussion um offene oder geschlossene Schulen auszubrechen. Und – vor allem der Schulleiter betont das – das Aufheben der Präsenzpflicht. Gleich am Beginn des neuen Jahres. Ganz anders als 2021.
Im zu Ende gehenden Jahr seien die Lehrer durch das Thüringer Bildungsministerium wie bloße Befehlsempfänger behandelt worden, sagen die Schulleiterin und der Schulleiter. In den Worten des Letzteren: „Das war so, als wären wir Soldaten und Holter, als General vorne dran, hat gesagt, wo es lang geht.“ Auf diese Weise sei es den Schulen zum Beispiel durch das Ministerium ausdrücklich verbotenen worden, Hygienekonzepte zu erlassen, die strenger hätten sein sollen, als ein vom Ministerium schon 2020 entworfenes Stufenpapier. Staatssekretärin Heesen, erzählt die Schulleiterin, habe den Schulen in einer ihrer ersten Videokonferenzen mit Vertretern von Schulleitungen zudem „direkt einen Maulkorb umgehängt“ und erklärt, über Probleme solle keinesfalls mit der Presse gesprochen werden.
Gerlitz erzählt kurz darauf noch wahnwitzigere Geschichten. Wie etwa die, dass das Ministerium der Stadt verboten habe, auf kommunale Kosten Coronatests für die Schulen zu beschaffen, nachdem es Lieferschwierigen bei den ministeriell gekauften Tests gegeben habe. Manche in Jena erzählen inzwischen, dieses Verbot sei schließlich einfach unterlaufen worden. Unter der Hand seien tatsächlich tausende von der Kommune beschaffte Tests an Schulen eingesetzt wurden. Gegen den Willen des Ministeriums.
Was man sich in Jena stattdessen wünscht: Mehr kommunale Eigenverantwortung, wenngleich die landesweiten Erfahrungen aus dieser Pandemie zeigen, dass dieser Wunsch auch ein zweischneidiges Schwert sein kann. Denn gleichwohl man in Jena auch eher für mehr als für weniger Infektionsschutz plädiert, in anderen kreisfreien Städten und Landkreisen waren die Verantwortlichen zuletzt oft viel zurückhaltender dabei, strengere Regeln an den Schulen aufzustellen oder durchzusetzen. So, wie es kein Zufall ist, dass Gerlitz beim Betreten der Schule sofort über Omikron redet, ist es kein Zufall gewesen, dass Jena als erste größere deutsche Stadt schon im Frühjahr 2020 eine Maskenpflicht eingeführt hatte.
Aus ihrer unmittelbaren Erfahrung aber, sagen die Schulleiterin, der Schulleiter und Gerlitz, wüssten die Schulen und das Gesundheitsamt vor Ort am besten, wie Schulen zu einem möglichst sicheren Raum gemacht werden könnten. Wobei es dann auch vorkommen könne, dass zu einer bestimmten Zeit an einer Schule die Hygieneregeln A und an einer anderen die Hygieneregeln B gelten würden – während eine andere Schule vorübergehen vielleicht komplett geschlossen werden müsste, weil sie zu einem Corona-Hotspot geworden ist. „Die Eltern verstehen, dass man auf unterschiedliche Situationen mit unterschiedlichen Maßnahmen reagieren muss, wenn man ihnen das nur ausführlich erklärt“, sagt der Schulleiter.
Als auf dem Weg nach draußen die schwere Tür am Eingang der Schule wieder ins Schloss fällt, dauert es keine 24 Stunden, bis die Meldung in der Welt ist, dass auch Holter angesichts der Omikron-Gefahr Wechsel- und Distanzunterricht im neuen Jahr für möglich hält und er dafür plädiert, an den ersten beiden Schultagen im neuen Jahr keinen Unterricht anzubieten. Das deutet – kurz vor dem letzten Schultag dieses Jahres an diesem Mittwoch – eine neue Flexibilität immerhin an, die man sich in Jena schon lange wünscht.