Prähistorische Trisomie-21-Kinder Down-Syndrom in der Steinzeit: Früher Tod trotz großer Fürsorge

Markus Brauer/

Auch in prähistorischer Zeit lebten bereits Kinder mit dem Geburtsdefekt einer Trisomie wie dem Down-Syndrom. Sie wurden umsorgt und als besonders betrachtet, dennoch starben sie meist kurz nach der Geburt. Das zeigt eine Analyse von Gräbern und von Tausenden Proben durch Leipziger Forscher.

 
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Luftaufnahme der früheisenzeitlichen Siedlung Alto de la Cruz, Navarra, während der Ausgrabungsarbeiten von 1989. Foto: Government of Navarre and J.L. Larrion/dpa

Der Mensch ist ein Mysterium des Lebens. Vielleicht ist er sich selbst sogar das größte Rätsel, dem er im Laufe seines Lebens begegnet. Ein hervorstechender Grund für seine ungeheure Rätselhaftigkeit ist zytologischer Natur. In der Biologie ist Zytologie das Teilgebiet, welches sich mit dem Aufbau und den Funktionen der Zellen.

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Der Mensch: Organismus aus Billionen Zellen

  • Zellen: Zellen sind die kleinste biologische Einheit jedes Organismus. Der Mensch besteht aus Billionen von Zellen. Erst durch ihr perfektes Zusammenspiel entsteht Leben. Damit die Zellen wissen, wie sie aussehen und funktionieren sollen, enthalten sie in verschlüsselter Form Informationen, die sich in ihrem Zellkern befinden.
  • Gene: Dieses Datenmaterial, das für ein bestimmtes Merkmal des Organismus verantwortlich ist, nennt man Gen. Der Mensch besitzt 23 Chromosomen-Paare, die Träger aller Erbinformation sind.
  • Chromosomen: Der Gen-Code – also die Erbinformationen im Zellkern – ist auf den Chromosomen gespeichert. Jede menschliche Zelle besteht aus 46 solcher Chromosomen: 23 väterliche und 23 mütterliche Erbgut-Abschnitte, die in der befruchteten Eizelle zusammenfinden. Man muss sich Chromosomen als lange, fadenförmige Gebilde vorstellen, die aus DNA (Desoxyribonukleinsäure; englisch: DNA - „Deoxyribonucleic acid“) und Proteinen (Eiweißmolekülen) bestehen.
  • Trisomie: Liegt ein Chromosom nicht in der normalen Anzahl vor, spricht man von Fehlverteilungen oder Aneuploidien. Liegt ein bestimmtes Chromosom dreifach statt zweifach vor, spricht man von einer Trisomie. Die Trisomien 21, 18 und 13 sind die häufigsten Chromosomenstörungen, die Ursache einer in der Frühschwangerschaft zu diagnostizierenden Entwicklungsstörung des Kindes sind.

Down-Syndrom im Neolithikum: Prähistorische Trisomie-Kinder

Grabstätte eines pränatalen Säuglings mit Down-Syndrom aus der eisenzeitlichen Stätte Las Eretas. Er wurde in einem der Häuser der Siedlung begraben. Foto: Government of Navarre and J.L. Larrion/dpa

Auch in prähistorischer Zeit lebten bereits Kinder mit dem Geburtsdefekt einer Trisomie wie etwa Trisomie 21 – dem Down-Syndrom. Sie wurden umsorgt und als besonders betrachtet. Dennoch starben sie meist kurz nach der Geburt. Das zeigt eine Analyse von Gräbern und von Tausenden Proben.

Bei der Analyse von knapp 10 000 Proben von überwiegend prähistorischen Menschen ist ein internationales Forschungsteam auf sieben Babys mit Trisomien gestoßen. Sechs von ihnen hatten die auch als Down-Syndrom bekannte Trisomie 21, ein weiteres die wesentlich seltenere Trisomie 18, auch Edwards-Syndrom genannt.

Kurzes, aber respektiertes Leben

3D-Rekonstruktion der früheisenzeitlichen Siedlung von Las Eretas in Alto de La Cruz , Navarra. Foto: IIñaki Diéguez/Javier Armendáriz/dpa

Die Kinder mit diesen Geburtsdefekten lebten zwar nicht lange, waren aber allem Anschein nach als Mitglieder ihrer jeweiligen Gemeinschaft respektiert.

Das folgert das Team um Adam Rohrlach und Kay Prüfer vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Fachblatt „Nature Communications“ aus den Umständen ihrer Beisetzungen.

Gestorben im Alter von einem Jahr

Sterbliche Überreste von „CRU001“, einem Jungen, der bei oder kurz vor der Geburt starb und in Alto de la Cruz bestattet wurde. Foto: Government of Navarre and J. L. Larrion/dpa

Bei den sieben Babys handelt es sich um drei Jungen und vier Mädchen. Keines von ihnen wurde viel älter als ein Jahr. Sechs der Kinder lebten in prähistorischer Zeit vor 5000 bis vor 2500 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Länder Spanien (Las Eretas in der Ausgrabungsstätte Alto de la Cruz in der Region Navarra), Griechenland und Bulgarien. Ein weiterer Junge, dessen Überreste von einem Kirchenfriedhof in Finnland stammen, lebte im 17. oder 18. Jahrhundert.

Fünf prähistorische Gräber von Kindern mit Down-Syndrom lagen innerhalb von Siedlungen und enthielten teilweise besondere Grabbeigaben wie bunte Perlenketten, Bronze-Ringe oder Muscheln. „Diese Art der Bestattung zeigt, dass die Kinder als Teil ihrer damaligen Gemeinschaften umsorgt und geschätzt wurden“, erklärt Erstautor Rohrlach.

Trisomie 18 und 21: Edwards- und Down-Syndrom

Wie bereits erwähnt tragen die von Trisomien Betroffenen drei statt zwei Kopien eines Chromosoms oder eines Teils davon. Beim Down-Syndrom, das bei etwa 1 von 1000 Geburten auftritt, ist es das Chromosom 21.

Beim Edwards-Syndrom, das mit einer Häufigkeit unter 1 von 3000 Geburten noch wesentlich seltener ist, ist das Chromosom 18 betroffen.

„Ganz besondere Babys“

Drei Kinder mit Trisomie 21 und das Mädchen mit Trisomie 18 stammen aus der prähistorischen Ausgrabungsstätte Las Eretas/Alto de la Cruz bei der Stadt Cortez in der nordspanischen Region Navarra.

„Momentan ist noch unklar, warum wir an diesen Stätten vergleichsweise viele solcher Fälle mit Erkrankungen finden“, erläutert Co-Autor Roberto Risch von der Universität Autònoma de Barcelona. „Wir wissen aber, dass diese zu den wenigen Kindern gehörten, denen das Privileg zuteil wurde, innerhalb ihrer Siedlungen bestattet zu werden. Ein Hinweis darauf, dass sie als ganz besondere Babys betrachtet wurden.“

Der Junge von Poulnabrone

Der Poulnabrone-Dolmen in Irland war einst ein Grab. Es stammt aus der Jungsteinzeit. Foto: Imago/Robert Harding

Der bislang früheste Nachweis von Trisomie 21 ist 5500 Jahre alt. Er stammt von einem Jungen aus dem Megalith-Grab Poulnabrone im Westen von Irland.

Das Kind von Saint-Jean-des-Vignes

Das Skelett eines fünf bis sieben Jahrealte Kindes, n Trisomie 21 litt und im 5./6. Jahrhundert lebte, wurde auf dem Friedhof von Saint-Jean-des-Vignes gefunden. Foto: International Journal of Paleopathology (IJPP)/Cl/. Afan, 1989

In einem, weit jüngeren Fall lag ein fünf bis sieben Jahre altes Kind lag zwischen Gräbern von Erwachsenen auf dem kleinen Friedhof von Saint-Jean-des-Vignes im Nordosten Frankreichs. Doch etwas war anders bei diesem jungen Menschen, der im 5. oder 6. n. Chr. gelebt hatte. Wahrscheinlich lag sein 21. Chromosom dreifach vor. Es litt also am Down-Syndrom.

„Daraus folgern wir“, schreiben die französischen Archäologen, welche die Überreste untersucht hatten, in ihrer Studie im „International Journal of Palaeopathology“, „dass das Kind mit Down-Syndrom im Tod nicht anders behandelt wurde als alle anderen Gemeindemitglieder.“ Vom Tod, finden sie, könne man durchaus auch auf das Leben schließen.: „Das interpretieren wir dahingehend, dass dieses Kind im Leben trotz seiner Behinderung nicht stigmatisiert wurde.“

Tröstliche Botschaft

Behütet, umsorgt und geschützt bis in den Tod und darüber hinaus trotz allem Anderssein: Das ist eine ebenso tröstliche wie tröstende Botschaft – auch und gerade für unsere heutige Zeit der vielen Verirrungen und Verwirrungen. Eine Botschaft, die es wert ist, weitererzählt zu werden.