Es ist für mich deshalb nicht zu verstehen, wenn, wie berichtet, am Sonntag in Sonneberg etwa 1100 Leute (rund zwei Prozent der Kreisbevölkerung) sich anmaßen, ihren Individualismus zu Lasten der Gesellschaft ausleben zu wollen - „Eure Regeln interessieren uns nicht“. Es ist für mich auch nicht zu verstehen, wie man Verständnis für die Teilnehmenden haben kann – sie verstoßen ja nur gegen Gesetze und Verordnungen, gefährden andere und verbreiten vielleicht das Corona-Virus – man lobt, es sei friedlich und ohne zu hetzen geschehen, was für ein Erfolg?
Was für eine Respektlosigkeit! - gegenüber all den Anderen – nämlich der großen Mehrheit – die ganz selbstverständlich diese Gesetze einhalten und gegenüber denen, die Tag und Nacht arbeiten und sich einsetzen, um die Pandemie einzudämmen…
Die Veranstaltung wurde inszeniert, als wolle man was Gutes tun. Da ist von Mitgliedern einer „Initiative von Heilberufen“ die Rede. Wer das sein soll, bleibt offen – und auch Google kennt diese Organisation nicht, klingt aber achtbar. Ein Pfarrer wird aufgeboten, da fühlt man sich besser – „mit Gottes Hilfe“ - auch wenn man sonst eher nichts von der Kirche hält. Selbst Leonard Cohen muss mit herhalten, er kann sich ja nicht mehr wehren.
Pfarrer Martin Michaelis, mit dem ich seit seiner Zeit in Steinach freundschaftlich verbunden bin, war an dem Nachmittag noch bei uns zu Besuch – leider hatte er nicht den Mut, uns zu sagen, warum er hier war. Meine tiefe Enttäuschung teile ich mit vielen Steinacher und Steinacherinnen.
Und ganz friedlich und ohne Hetze war die Wortwahl, den Berichten zufolge, wohl nicht, wenn von einer „Obrigkeit“ die Rede ist, die man dann auch mit der zu Luthers Zeiten vergleichen will … und „die Politik“, „die Medien“, „die Gerichte“ … zum Feindbild machen will. Wer so billige populistische Phrasen drischt, will polarisieren und den Staat diskreditieren. Und wer daran Gefallen gefunden hat, muss sich fragen lassen, ob er oder sie, unsere Demokratie verstanden haben. Keinesfalls ausblenden darf man, dass aus aufwieglerischen Worten schon zu oft widerliche Taten geworden sind.
Ich kenne die, möglicherweise, höchst unterschiedlichen Motive der Teilnehmenden nicht. Sie sind weder zu rechtfertigen noch zu verstehen. Sicher, es ist nicht einfach, aus der Fülle von Informationen und Desinformationen, die uns täglich erreichen, Wichtiges und Unwichtiges, Richtiges und Unrichtiges zu filtern. Aber wer unsicher ist, kann sich an vielen zuverlässigen Quellen selbst informieren oder Rat einholen.
Eine weltweite Pandemie mit über fünf Millionen Toten lässt sich weder wegdemonstrieren noch wegleugnen, sie erfordert engagiertes und stringentes Handeln. Deshalb geht die Pandemie uns alle an. Es geht um eine gemeinsame Verantwortung, um gemeinsames verantwortliches Handeln im Interesse der Gesundheit aller, im Interesse des Gemeinwohls – und das Gemeinwohl ist nicht die Summe von allen möglichen Egoismen. Gemeinwohl kann für den einen oder anderen durchaus auch unbequem sein.
Eine funktionierende Gesellschaft ist mehr als eine bloße Ansammlung von Individualisten, eine funktionierende Gesellschaft braucht vor allem lebendige Solidarität.
Und wenn diese Pandemie bewältigt ist, dann sollten wir eine große gesamtgesellschaftliche Diskussion führen, wie wir in Zukunft leben wollen. Es wäre schön, wenn dann möglichst alle noch dabei wären.“
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