Flüchtlinge in Oberhof Das Gefühl von Sicherheit schwindet

Die Oberhofer sind in Sorge. Sie befürchten, dass sich der Zuzug von 35 Flüchtlingen in der kommenden Woche negativ auf ihre Stadt und damit auf den Tourismus auswirken könnte. Vize-Landrätin Susanne Reich verspricht, Vorsicht bei der Auswahl der Bewohner walten zu lassen.

 
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Ob Sätze, die mit „Wir sind alle nicht rechts, aber...“ beginnen, dazu beitragen, eine angespannte Situation zu entschärfen, Gerüchte und Vorurteile zu entkräften, ist fraglich. Doch der Oberhofer Bürgermeister Thomas Schulz wagt es trotzdem: „Wir sind alle nicht rechts, aber die Sorgen, Ängste und Emotionen sollten wir ernstnehmen“, meint er. 200 Oberhofer waren am Mittwochabend der Einladung des Stadtchefs und der Verwaltung zur Einwohnerversammlung gefolgt. Das drängendste Thema: Der geplante Zuzug von Flüchtlingen in das Haus Rennsteig.

Allein der Fakt, dass in der kommenden Woche 35 Ausländer in die Gemeinschaftsunterkunft in der Tambacher Straße ziehen, beunruhigt die Bürger. Sie vermuten Zustände, wie in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, wo mehrmals in der Woche Polizei und Feuerwehr anrücken. Ein Bürger ist sich sicher, dass Oberhof das gleiche Schicksal ereilen werde, wie seinen bisherigen Wohnort Rudolstadt. Dort habe sich das soziale Klima verändert, seit Araber und Schwarz-Afrikaner zugezogen seien, sagt er. Es gebe nämlich einen großen Unterschied zwischen geflüchteten Ukrainern und Asylanten aus anderen Ländern, meint er. Wobei man auch aufpassen müsse, dass unter den ukrainischen Großfamilien keine Sinti und Roma seien, nannte ein anderer Gast ein weiteres wesentliches Unterscheidungskriterium.

Als er die Nachricht von der geplanten Flüchtlingsunterkunft erhalten habe, tauchten sofort Bilder in seinem Kopf auf, gesteht Bürgermeister Thomas Schulz. Er habe sich hilflos gefühlt. „Sieht der Kurpark bald aus wie der Erfurter Anger“ sei eine der ersten Fragen gewesen, die er sich gestellt habe. Eine Sorge, mit der er nicht allein dasteht. Der Stadtchef berichtet von Anrufen aufgebrachter Eltern, die sich um die Sicherheit ihrer Töchter, die das angrenzende Oberhofer Sportgymnasium besuchten, sorgen. In unmittelbarer Nähe befindet sich das neugebaute Familienhotel, in Richtung Grenzadler verlaufe die Trainingsstrecke der Sportschüler. „Es gibt sicher geeignetere Plätze für eine Flüchtlingsunterkunft“, meint Thomas Schulz.

„Nicht alle sind Straftäter“

Er habe mit Unternehmern gesprochen, die einen Wachdienst anheuern wollen, um ihr Hab und Gut zu schützen. „Was machen wir jetzt? Wir können sie ignorieren oder integrieren. Wir müssen mit der Situation umgehen, die sich jeder von uns anders gewünscht hat“, nennt Thomas Schulz die Optionen. Und er versucht, auch die andere Seite aufzuzeigen: Denn von Krieg seien vor allem die einfachen Leute betroffen, räumt er ein. „Nicht alle, die hierher kommen, sind Straftäter“ – auch, wenn sich das Gerücht, wonach die Problemfälle aus Suhl nach Oberhof umziehen, hartnäckig halte in der Stadt.

Vize-Landrätin Susanne Reich versichert, genau darauf zu achten, wer auf die Höh’ zieht und wer nicht. 42 Plätze stehen im Haus Rennsteig, einer Bundesimmobilie, zur Verfügung, maximal 35 Bewohner werden einziehen. In der kommenden Woche kommen die Ersten an, peu à peu werden es dann mehr. Anstatt auf junge Männer lege man den Fokus auf Familien, sagt sie, ohne ganz auszuschließen, dass – je nach Bedarf – auch alleinstehende Männer ein Zuhause auf Zeit finden. Außerdem werden die Bewohner immer wieder wechseln. Einige, weil sie als anerkannte Flüchtlinge dezentrale Wohnungen beziehen, andere, weil sie nach Hause geschickt werden, erklärt Susanne Reich.

Unterstützung im Alltag

Die Neu-Oberhofer haben bis dato in den neun anderen Flüchtlingsunterkünften im Landkreis gewohnt und werden nun umverteilt. Sie werden von einer Sozialarbeiterin im Alltag begleitet. Nachts sorge ein Wachdienst für Sicherheit, schildert sie

Wer genau in der nächsten Woche einziehen wird, entscheide sich am Donnerstag. „Derzeit treffen wir eine Auswahl aus 1600 Ukrainern und 800 Asylsuchenden aus anderen Ländern.“

Sie hätten gern früher Bescheid gewusst, was in der Tambacher Straße geplant ist, so die Kritik aus den Reihen der Gäste. Mitte Oktober war die Information des Immobilieneigentümers an die Stadt herangetragen worden, dass das Haus als Unterkunft für Flüchtlinge angeboten werden soll. „Wir haben daraufhin sofort unsere Bedenken geäußert“, blickt Thomas Schulz zurück. Weil das Landratsamt aber stets auf der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten ist, nahm es das Angebot an. „Der Mietvertrag ist unbefristet, kann aber jederzeit gekündigt werden, wenn sich der Bedarf verändert oder ein Käufer für die Immobilie gefunden wird“, sagt Susanne Reich. Sie hofft, dass die Oberhofer ein Miteinander zwischen Einwohnern und Migranten ermöglichen.

Matthias Kaspar vom gleichnamigen Autohaus sieht vor allem Chancen im Zuzug: Gern würde er noch den einen oder anderen Kfz-Mechatroniker einstellen. Als Mitglied im Gewerbeverein der Stadt wisse er außerdem um den Fachkräftemangel in den Hotels und Gaststätten. „Wenn wir Leute finden, die hier arbeiten wollen, dann ist das ein Glücksgriff für uns“, meint er. Anders als über ausländische Fachkräfte ließe sich die Lücke im Personalbestand nicht mehr schließen. Er empfinde es als Luxus, dass der Landkreis extra für Oberhof eine Auswahl der Flüchtlinge treffe und hofft, dass man die Berufe der Ankommenden auch noch mit im Blick hat.

„Anstatt sie in die Ecke zu stellen, sollten wir sie integrieren und in Arbeit bringen, damit sie keine Zeit haben, sich anderen Blödsinn auszudenken“, stimmt Thomas Schulz zu. Er beschäftige in seinem Hotel vier verschiedene Nationen. „Ich behandele sie wie rohe Eier, weil ich möchte, dass sie bleiben“, sagt er. Selbst ungelernte Fachkräfte könnten in der Touristenstadt eine Anstellung finden – so sie denn wollen und dürfen.

Leere Hotels, leere Kassen

Um die Hotels und Gaststätten sorgt sich auch ein anderer Bürger. Er befürchtet, dass durch das Flüchtlingsheim die Gäste ausbleiben und die Bürger der Stadt kein Geld mehr verdienen. Grundstücke werden an Wert verlieren und Investoren werden keine Neubauten mehr anstoßen, skizziert er ein Szenario, für das er Applaus erntet. Vom Leuchtturm Oberhof, der zur WM angepriesen wurde, bleibe dann nichts mehr übrig. „Ich habe Angst davor, dass wir hier oben auf unserer Insel negativ beeinflusst werden.“

Oberhof sei eine weltoffene Stadt, betont Stadträtin Elke Elflein. Sie ist sich sicher, dass es viele Bürger gibt, die in der Gemeinschaftsunterkunft gern unterstützen würden. Ein Hilfsangebot, dass bei Susanne Reich auf offenen Ohren stößt.

„Wir treffen uns hier in einem Jahr wieder und ich hoffe, Sie können sich dann noch daran erinnern, was sie uns heute versprochen haben“, schließt ein Oberhofer die mehr als eineinhalbstündige Diskussion.

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