Feuilleton Wie die Krise dem Theater nützt

Mit der Premiere der Komödie "Die Kassette" beginnt am Freitag nach 15 Jahren Intendanz die letzte Meininger Spielzeit von Ansgar Haag. Foto (Archiv): ari Quelle: Unbekannt

Eine Komödie eröffnet - nicht ohne Hintersinn - am Freitag die neue Spielzeit des Meininger Theaters. Es ist die letzte von Ansgar Haag. Wenn man so will ist sein Geschick, das Theaterschiff durch die Pandemie zu schaukeln, auch eine Botschaft.

 
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Die Zeitendämmerung ist bereits zu spüren: Auf den Fluren hinter dem Bühneneingang stehen ganze Paletten voller frisch gedruckter Bücher. Die Meininger Theatergeschichte in zweiter Auflage, von Alfred Erck korrigiert, ergänzt und erweitert. Eine Theatergeschichte, die nun auch ihn, den Intendanten Ansgar Haag, und seine Kunst mit einschließt. Das Vorwort, erzählt er, habe er gemeinsam mit seinem Nachfolger Jens Neundorff von Enzberg geschrieben. "Das ist ja durchaus unüblich", sagt Haag. Er versteht es als Symbol für einen freundschaftlichen Wechsel, den er anstrebt. Ein anderes Symbol sind die nach Ende der Spielzeit im Juli 2021 nicht verlängerten Arbeitsverträge einiger Mitarbeiter. Das hat - durchaus üblich am Theater - sein Nachfolger veranlasst, weil die Kunst am Haus nach Haag eine andere sein wird und auch sein muss.

Die nächsten Premieren

"Die Kassette" (Komödie)

11. September, 19.30 Uhr

"Egmont" (Konzert)

12. September, 19.30 Uhr

Sonderkonzert "Notte Italiana"

18. September, 19.30 Uhr

"Through his teeth " (Oper)

25. September, 19.30 Uhr

"Sklaven leben" (Schauspiel)

1. Oktober, 19.30 Uhr (Kammer)

Sonderkonzert "Eroica"

4. Oktober, 19 Uhr

"Wir sind noch einmal davon gekommen" (Schauspiel)

9. Oktober, 19.30 Uhr

Sonderkonzert "Pastorale"

15. Oktober, 19.30 Uhr

"Wir" (Ballett)

23. Oktober, 19.30 Uhr

Und so umweht die neue Spielzeit ein Hauch des Abschieds - auch des Abschieds von einem Theater, das Ansgar Haag 15 Jahre lang in Meiningen ermöglicht hat. Schärfer allerdings ist der Wind der Pandemie, der seit Monaten durch die Theater-Flure fegt. Er hat den Intendanten noch einmal gefordert - auch jenseits der Kunst. Sein unbeirrbarer Wille, zum Beispiel längst vorbereitete Opern-Inszenierungen unter Corona-Auflagen doch noch auf die Bühne zu bringen, setzte kreative Energien am Theater frei - auch wenn das Publikum nicht alles, was er einst geplant hat, nun zu sehen bekommen wird. Und trotz harter Hygiene-Vorschriften - im Großen Haus dürfen 166 Zuschauer sitzen, in den Kammerspielen sind es rund 60 - scheint das Theater in der Lage, dieses Herausforderung auch rein logistisch zu meistern.

Das Abo bleibt

So jedenfalls erzählt Ansgar Haag von der Lage am Beginn seiner letzten Spielzeit. Er sagt Sätze wie: "Was die Theaterkasse gerade leistet, ist einfach unglaublich." Oder: "Das Abo wurde in Meiningen nicht aufgelöst - im Gegensatz zu anderen Theatern." Das war ihm wichtig, auch mit Blick auf seinen Nachfolger. Wer Abo-Karten hat, kann sie zurückstellen, umtauschen, in Gutscheine wandeln, Bücher kaufen, sich das Geld ausbezahlen lassen. Nur kündigen soll das Publikum die Abos nicht - eine bittere Erfahrung aus der Bosshart-Ära, die Ansgar Haag dem Meininger Theater nicht wieder zumuten mag.

So ist es gerade weniger die Kunst, die ihn umtreibt, als die Begleitumstände des Theaterspiels. Es geht um Masken und Abstände, um Spielbetrieb und Kurzarbeit. Bis auf wenige Ausnahmen habe das Theater die Kurzarbeit der letzten Monate für die Mitarbeiter beendet, sagt Haag. Ergo müsse er die Angestellten nun wieder aus eigenem Etat bezahlen - angesichts zu erwartender nur minimaler Ticket-Erlöse und trotz großzügiger Corona-Hilfen aus Erfurt für Haag eine sportliche Herausforderung. Er sieht nicht nur die Angestellten, sondern auch die Solo-Selbstständigen oder Orchesteraushilfen. Die einen haben Verträge für Produktionen, die nun gar nicht auf die Bühne kommen, in der Tasche. Die anderen wurden gar nicht erst beschäftigt. Die einen müssen irgendwie ja doch bezahlt werden, bei den anderen fühlt er sich moralisch in der Pflicht. Eine Lösung hat Ansgar Haag noch nicht. Aber er sagt auch: "Ich spreche das Problem an."

Und doch nützt die Krise dem Theater. Nicht nur, weil Krisenmanagement wertvolle Erfahrungen zeitigt. Nicht nur, weil das Publikum vielleicht ja doch echte Sehnsucht nach Schauspiel, Oper, Ballett verspürt. Von lebendigen Menschen auf der Bühne vorgetragen, und nicht aus dem Netz "heruntergeladen". Sie nützt auch, weil sich Ansgar Haag bestätigt fühlt: "Das Ensemble-Theater, das in Meiningen schon immer gepflegt wurde, zahlt sich aus." Das Ensemble trotz der Krise, weil es besser abgesichert ist als eine Truppe, die sich für jede Produktion lose zusammenfinden würde.

Die Frage, was sich aus diesen Zeiten gewinnen lässt, treibt ihn schon eine ganze Weile um. Ein Gedanke: "Ich würde nicht darauf warten, dass alles wieder so wird wie vorher." Er möchte überhaupt nicht warten. Er kann auch nicht warten, weil ihm sonst die Zeit davon läuft, die ihm für seine Kunst bis Juli kommenden Jahres noch in Meiningen bleibt. Sitzen auf Distanz ist für ihn kein Zukunftsmodell für das Theater - er muss es akzeptieren. Spielen auf Distanz - Stücke gar umschreiben - auch das sei nicht prickelnd. Trotzdem gibt es zwischen dem nicht dürfen und nicht wollen andere Wege.

Das Haus wird verkabelt

Ab Januar will Ansgar Haag den "Fliegenden Holländer", ab April auch den norwegischen Kompositionsauftrag "Gespenster" auf die Opernbühne bringen. Trotz Corona. "Wir werden das Haus verkabeln", sagt der Intendant. Das Orchester sitzt auf der Großen Probebühne, der Chor steht auf der Hinterbühne, die Sänger auf der Vorderbühne. Der Graben bleibt zu. Mit Lautsprechern fürs Publikum und Monitoren und Mikrofonen für die einzelnen Künstlergruppen soll ein Opern-Erlebnis entstehen. "Das ist ein Experiment", sagt Haag. "Wir richten das jetzt so ein." Freilich wäre er glücklich, würde diese Technik ab Januar nicht gebraucht, weil die Regeln wieder normalen Spielbetrieb erlauben. Aber tun sie es nicht, hätte Meiningen die Technologie für die "Corona"-Oper bereits fix und fertig installiert.

Daneben bleibt ihm noch die Zeit für Kunst. Im Januar steht "Maria Stuart" auf dem Spielplan. Er wird Regie führen. Noch einmal Schiller in Meiningen. Gerade in Meiningen. Er wird hier wohnen bleiben. Und auch das ist so etwas wie ein Symbol. Viele Künstler zog es nach einigen Jahren immer weg aus dieser Stadt. Er spürt solche Sehnsucht nicht. Vielleicht, ja vielleicht fühlt sich Ansgar Haag woanders verloren.

www.meininger-staatstheater.de

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