Festival Das Kunstfest blickt zurück in die Zukunft

„Fällt alle Bäume!“ – ein „anarchisches, komisch-böses und auch blutiges Objekttheater für zeitkritische Menschen ab 12 Jahren“ zeigt der belgische Künstler Benjamin Verdonck am 2./3. September im DNT. Foto: Wannes Cré

Am Anfang steht die Erinnerung: Der Künstler Günther Uecker will zum Auftakt des Weimarer Kunstfestes am kommenden Mittwoch sein im Kulturstadtjahr 1999 geschaffenes „Steinmal für Buchenwald“ auf dem Theaterplatz wieder errichten – gemeinsam mit Bürgern und Gästen

 
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Erinnern schafft Zukunft – unter diese Losung haben Frauke Kämmerling und Rolf C. Hemke, die beiden künstlerischen Leiter, das Kunstfest Weimar in diesem Jahr gestellt. Das Programm bietet hierfür vielfache Möglichkeiten, den Blick zurück und gleichsam nach vorne zu richten. Getreu der Überzeugung, ohne Blick in den Rückspiegel kommt man selten sicher voran. Die künstlerische Mischung des größten ostdeutschen Festivals für die zeitgenössischen Künste vereint traditionell Bildende Kunst, Schauspiel, Diskussionsangebote, Konzerte, Tanz, Literatur, Musiktheater, Film und künstlerische Performances.

Eingeladen sind zu dem zweieinhalbwöchigen Festival vom 23. August bis 10. September auch in diesem Jahr zahlreiche populäre Künstler und Ensembles, Politiker, Schriftsteller, Zeitzeugen – und natürlich das Publikum. Längst hat das Kunstfest nach dem Initial des Kulturstadtjahres seine Strahlkraft in Ost und West über die Thüringer Landesgrenzen hinaus entfaltet. Weimar als Ort der Klassik und Moderne zwischen Goethe, Schiller, Bauhaus und Buchenwald bildet dabei die Folie, vor der die Brüche der Zeit künstlerische Kommentierung erfahren.

Der Blick zurück auf die eigene deutsche Geschichte und damit die Erinnerung an die eigene Verantwortung gehört zur DNA des Kunstfestes. Der Krieg, damals wie heute, steht demonstrativ gleich zu Beginn im Fokus der künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei wird der 1930 in Mecklenburg geborene Künstler Günther Uecker noch einmal an seine Arbeit aus dem Kulturstadtjahr 1999 anknüpfen und das vor 24 Jahren von ihm geschaffene „Steinmal für Buchenwald“ auf dem Theaterplatz aufbauen – jeder darf dabei mithelfen (23. August, ab 14 Uhr).

Robert Wilson zeigt „Ubu Roi“

Die amerikanische Regielegende Robert Wilson wird in Weimar die deutsche Erstaufführung von Alfred Jarrys Antikriegsfarce „Ubu Roi“ präsentieren. Sie gilt als wichtigste Antikriegs- und Totalitarismusfarce der Theatergeschichte und beschäftigt sich mit der Banalität des Bösen. Die Inszenierung des Amerikaners verwendet Originalfiguren des katalanischen Surrealisten Joan Miró, der sich zeit seines Lebens der Bauhaus-Schule verbunden sah (Premiere 23. August, 21 Uhr, im E-Werk, weitere Termine 24./25./26. August). Auch Robert Wilson hat sich intensiv – etwa 2003 als Gastprofessor der Bauhaus-Uni Weimar – mit der berühmten Architektur- und Gestaltungsschule auseinandergesetzt. So erinnert seine Theaterarbeit an die Eröffnung der legendären Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar – kurz bevor die Schule aus politischen Gründen 1925 nach Dessau umziehen musste.

Schließlich gehört auch eine Gesprächsreihe über Krieg und Frieden zum Auftakt des Kunstfestes. Unter der Losung „Gebrochene Zeit“ sucht der Historiker Volkhard Knigge, der ehemalige Leiter der Gedenkstätten Buchenwald, in drei Gesprächen künstlerische Antworten auf Gegenmenschlichkeit, Krieg und Gewalt. Dass die Zeit wie ein ruhiger Strom dahinfließt und den Menschen in eine glückliche Zukunft trägt, sei kaum mehr als eine Illusion, meint Knigge. Der polnische Auschwitz- und Buchenwaldüberlebende Jozef Szajna bilanziert beim Blick auf das 20. Jahrhundert bitter: „Das Schreckliche ist der Hass nach dem Hass, der Krieg nach dem Krieg, die Verachtung nach der Verachtung.“ Damit formuliert er auch eine Vorahnung von dem, was dem Krieg in der Ukraine folgen wird.

Volkhard Knigge spricht mit dem Künstler Günter Uecker, dem Politiker Bodo Ramelow und dem Schriftsteller Ingo Schulze (23. August, 19 Uhr im Hotel Elephant), mit dem Schriftsteller Hendrik Bolz und Carsten Schneider, dem Ostbeauftragten der Bundesregierung (31. August, 20 Uhr im Hotel Elephant), mit dem Bildhauer Rudolf Herz, dem Journalisten Matthias Reichelt, der Kunsthistorikerin Verena Krieger und dem neuen Direktor der Gedenkstätten Buchenwald, Jens-Christian Wagner (9. September, 15 Uhr im Lichthaus Kino).

Mit der Gründung des Bauhaus 1919 in Weimar habe sich nach dem desaströsen Ende des I. Weltkrieges nicht nur ein künstlerischer Aufbruch, sondern auch die Utopie eines neuen Menschen und einer umfassend veränderten Gesellschaft verbunden, meinen Frauke Kämmerling und Rolf C. Hemke in ihren konzeptionellen Gedanken zum Kunstfest. Diese Hoffnung sei seitdem vielfach durch Krieg und Völkermord enttäuscht worden. Aktuell eben auch durch den russischen Krieg gegen die Ukraine.

Kunst stiftet Frieden

Der deutsch-türkisch-armenische Komponist und Regisseur Marc Sinan stellt sein Projekt „Kriegsweihe“ in diesen Kontext. 100 Jahre nach der ersten großen Bauhaus-Ausstellung soll eine „partizipative Antikriegsperformance“ in Weimar in Form eines dreiteiligen Stadtraumkonzertes an wechselnden Orten stattfinden (1.-3. September in der Innenstadt, Abschlusskonzert 3. September, 20 Uhr im DNT). Sein Ziel ist es, die friedensstiftende Kraft der Kunst zu feiern. Das zweite große Musiktheaterprojekt des Kunstfestes inszeniert die Weimarer Opern-Direktorin Andrea Moses mit der Uraufführung von „Missing in cantu“ des Österreichers Johannes Maria Staud. Der sieht das globale kapitalistische System am Ende einer jahrhundertelangen Selbstzerstörung der eigenen Lebensgrundlagen (Premiere 2. September, 19.30 Uhr im DNT, weitere Aufführung am 7. September).

Das traditionelle Gedächtniskonzert Buchenwald steht diesmal unter der Losung „Hymnus auf die Musik – Glaube an das Leben“. Mit Kompositionen von Alexander Weprik („Lieder und Tänze des Gettos“), Simon Laks („Poem für Violine und Orchester“) und Arthur Honegger (Sinfonie Nr. 3). Der serbische Schriftsteller Ivan Ivanji wird dabei ein Grußwort sprechen, der Schauspieler Dominique Horwitz übernimmt die Rezitationen, es spielt das MDR-Sinfonieorchester (25. August um 20 Uhr in der Weimarhalle).

Das unmittelbare Erlebnis

Das Kunstfest setze in Anbetracht der aktuellen Konflikte bewusst auf die Kraft der Kunst, meinen Kämmerling und Hemke. Diese realisiere sich für den Betrachtenden im Angesicht des Kunstwerks. Das „Moment der unmittelbaren und lebendigen Rezeption“ könne letztlich durch kein noch so ausgeklügeltes virtuelles Projekt ersetzt werden. Das unmittelbare Erlebnis sei dabei auch das wirksamste Mittel, um „inhaltsleeren Erinnerungsroutinen“ entgegenzuwirken und den Blick nach vorne zu richten. In diesem Sinne laden die beiden Organisatoren das Publikum zum Kunstfest 2023 ein.

Das komplette Programm und alle Infos zu den einzelnen Projekten unter kunstfest-weimar.de, Karten unter Tel.: 03643/755334

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