„Man begreift einen Menschen nur, wenn man seine Vergangenheit kennt“, sagt Landolf Scherzer. Deshalb ist er Reporter geworden. Deshalb zieht er durch die Welt und stellt Fragen nach dem Leben und dem Erlebten. Was man ihm erzählt, füllt seine Bücher. Aber, das gilt auch für ihn. Wer seine Texte liest, weiß, wie er denkt, wie fühlt. Aber was ihn antreibt, was ihn prägt, erzählen sie nicht. In seinem biografischen Gespräch mit Hans-Dieter Schütt gibt er dem Leser nun Hinweise. Und in Suhl sagt er: „Man hat Verluste, wenn die Eltern etwas nicht erzählen. Das habe ich gespürt.“ Der Vater hat ihn geprägt. Die Unfähigkeit, zu erzählen. Vielleicht liegt genau hier ein Puzzle zu Scherzers eigenem Lebensweg. Vielleicht fragt er deshalb Menschen nach ihren Erlebnissen. Vielleicht ist er genau deshalb Reporter geworden. Hans-Dieter Schütt will wissen, ob er bei seinen Recherche-Reisen, bei denen er fast immer auf sich alleine gestellt ist, auch einmal Angst habe. „Nein“, sagt Scherzer, „höchstens davor, dass ich niemanden treffe, mit dem ich reden kann.“
An diesem Abend lenkt Schütt das Gespräch noch einmal auf den „Ersten“ – den größten Erfolg des Suhler Schriftstellers. Mit diesem Buch steht Scherzer im Zenit der Literaturszene der DDR. Im Publikum erinnert sich der ein oder andere an das Jahr 1988, als die Reportage über Hans-Dieter Fritschler, den Ersten Sekretär der SED-Kreisleitung Bad Salzungen, gedruckt erschien. „Wie eine Bombe“ sei das eingeschlagen, erzählen sie auf dem Platz der Deutschen Einheit. Eine ungeschönte Innenansicht des SED-Betriebs, die vorher noch nie jemand aufgeschrieben hatte, aufschreiben durfte. Acht Wochen lang konnte Scherzer den Ersten Sekretär begleiten. Einige Jahre hatte er mit der SED-Bezirksleitung um dieses Projekt gerungen. In Suhl sagt er: „Ein Glück fiel die Wahl auf Hans-Dieter Fritschler. Er hatte einen Veränderungswillen der nicht im Widerspruch zur Loyalität zur Partei stand.“ Und damit war er dem Autoren Scherzer selbst sehr nahe. In Suhl bekennt der im Rückblick auf den Sozialismus der DDR: „Ich hielt viele Dinge für veränderbar. Das war vielleicht ein Fehler.“
Hans-Dieter Schütt bekommt am Ende eine Büchse Thüringer Rotwurst von Landolf Scherzer – als augenzwinkerndes Dankeschön für dieses Buch und die Einblicke in das Leben eines Mannes, dessen Meinung vor allem hierzulande noch immer etwas zählt. Über die Wurst haben sie auch gesprochen. Und wenn der Berliner Schütt sie in der fernen Hauptstadt verspeist, versteht er den Thüringer Scherzer und seine Ansichten vielleicht noch ein Stückchen besser.
Landolf Scherzer bekommt am Ende einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Suhl zum Dank. Oberbürgermeister André Knapp selbst wagte sich als „Autogrammjäger“ auf die Bühne. Der Autor, sagt Knapp, habe die „Bewährung in der Provinz“ bestanden und möge der Stadt doch die Ehre erweisen. Das tut der so Überrumpelte auch. Und sagt: „Ich freue mich darüber“.
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