Suhl - Das ist doch mal ein frischer Wind - junge Leute schreiben Texte, gehen damit in eine Art Dichterwettstreit und das Publikum entscheidet, wer siegreich die Wort-Arena verlässt. Der amerikanische Dichter Bob Holmann nannte das ein Paradebeispiel demokratischer Kunst. Mit dem Poetry Slam, der sich vor allem in Großstädten längst etabliert hat, haben die Macher des Freitagssalons - die Volkshochschule und der Verein Provinzkultur - den Nerv des Publikums ganz und gar getroffen. So viel Spaß, Spannung und vor allem eine solche Bandbreite literarischer Texte, die in kurzer Zeit - viel mehr als fünf Minuten stehen den Vortragenden nicht zu - ihre Botschaften zum Publikum transportieren müssen, erlebt man selten. Und dass auf der Bühne junge Leute stehen, die mit ihren Werken, ihren Gedanken und Worten so viel Tiefgang beweisen, verbreitet irgendwie gute Stimmung, auch Optimismus, weil da was nachwächst, dem nicht egal ist, etwas in der Politik, im Zwischenmenschlichen, in der Werte-Hierarchie abgeht.

Acht junge Leute aus vielen Ecken Deutschlands haben sich also in Suhl getroffen, um sich eine literarische Kissenschlacht zu liefern. Und das an solch einem für sie überraschenden Ort wie die Aula der Volkshochschule und direkt vor den Augen ihres Publikums, das hier nicht das von den Slammern gewohnt junge und studentische ist, sondern das etwas reifere. Und es hat funktioniert - auch als Jury. Mit braven Beifall-Spenden war es diesmal nämlich nicht getan. Urteilsfähigkeit war gefragt und zwar in aller Schnelle - und hoch die Wertungskarten! Die summieren den Kandidaten die Punkte. Kandidaten - ein gutes Stichwort für Max Kennel aus Ulm, 20 Jahre alt, seit sechs Jahren Liedermacher - ab Januar mit eigener CD - und seit ein paar Wochen nun auch Poetry Slammer.

Er nimmt die (Losbuden)Gesellschaft, die Weltpolitik und so ziemlich alle Spiele, die es gibt und macht daraus einen Text, der tiefer noch als unter die Haut ins Gehirn geht. Das ganze Leben ist ein Spiel und wir sind nur die Kandidaten... So viel Klarheit im Ausdruck trotz scheinbar verwirrender Sprach-Spiele - da muss das Publikum erstmal durchatmen und kann nicht anders, als stürmisch zu applaudieren und die höchste Punktzahl zu ziehen. Harte Konkurrenz für Andreas Budzier, der über Jesus - der ist in diesem Fall eine Katze - und die beinkranke Kuh fabuliert oder für Frances Luhn, die auf rappende Weise über Worte, Buchstaben und Gesellschaft ohne Sprache spricht.

Quasi ein Heimspiel hatte Christiane Strohbach. Die gebürtige Suhlerin, die jetzt in Marburg lebt, flüstert fragend, ob jemand die Stille hört und fährt fort mit ihrem Text über das Sprechen und Schweigen. Die Sichtweise eines siebenjährigen Kindes versucht Almut Nietsch von Kerry aus Ulm in skurril-vergnügliche Worte (wenn man einen Clown isst, muss der doch komisch schmecken) und Geschehnisse zu verpacken.

Florian Cieslik (Köln) klärt auf, warum alles Gute auch das Schlechte braucht und damit auch ihn, "der bei Wikipedia bei den unbedeutendsten Persönlichkeiten steht, den die Enten füttern und für den die Behörde eine Ausnahme macht und auf das Passbild für den Pass verzichtet". Der Gefühlswelt, den aneinander vorbeigedachten Gedanken und den Missverständnissen in der Liebe widmet sich Caroline Hemmann. Und Martin Ahmad rechnet ab mit der Oberflächlichkeit, die Ideale und Idealmaße über alles stellt und als Schönheit deklariert. Pfunde, Pickel ... - ist deswegen ein Mensch hässlich? Kaum, denn dieser junge Autor hat erkannt, dass der Mensch der schönste der Welt ist, wenn er nur ein ehrliches Lächeln im Gesicht trägt.

Kontrastprogramm

Super Texte, fantastische Vorträge, aber nur vier kommen weiter ins Finale, das letztendlich Max Kennel für sich entscheidet. Und zwar mit Betroffenheitslyrik, die die guten alten Dichter aufs Korn nimmt, die so viel über Liebe schrieben und wehklagten, selbst aber nie richtig zu lieben wagten.

Klatschen, trampeln, rufen, pfeifen - das Publikum teilt sich den Spaß mit den Akteuren, klopft ihnen auf die Schultern mit einem "Toll gemacht" und "Kommt bald wieder" und geht aufgekratzt diesmal noch nicht gleich nach Hause. So also geht Poetry Slam. Und es geht gut im Kontrast zu den üblichen Lesungen. Was Wunder, dass sich der Wunsch auftut, dass Poetry Slam auch in Suhl zu einer Tradition wachsen möge, die nicht nur das Kultur-Spektrum erweitern sondern auch der Jugend ein neues Stück Kultur-Heimat geben könnte. So endet der Freitagssalon mit einer Premiere, die Anstoß für etwas neues in der Suhler Jugend- und Kultur-Szene sein könnte.