Kaltensundheim. Wohl war den sieben (von neun) Gemeinderäten nicht dabei, als sie am Mittwoch ihre frühere Entscheidung revidierten, welchen Trassenverlauf der B87n-Ortsumgehung sie bevorzugen würden. Nachdem klar war, dass die bisher gewünschte erweiterte Nordvariante keine Chance hätte, mussten sich die Gemeindevertreter geschlagen geben und auf eine Alternative festlegen. Zwischen zwei ungeliebten Varianten, der Nordtrasse durchs Lottetal und der Südumgehung, fiel die Entscheidung knapp für die Nordtrasse aus.


Keine andere Gemeinde, betonte Bürgermeister Edgar Gottbehüt, habe so viele Veranstaltungen zur Rhöntrasse organisiert. Er erläuterte zu Beginn der öffentlichen Gemeinderatssitzung den knapp 30 Gästen im Feuerwehrgerätehaus, warum dem Thema jetzt noch einmal eine ganze Sitzung gewidmet wird, obwohl die Gemeinde ihre offizielle Stellungnahme schon abgegeben hatte. „Unser Beschluss lautete, zu prüfen, ob eine noch nördlichere Trassenführung möglich wäre“, erinnerte der Gemeindechef. Bei nachfolgenden Gesprächen, unter anderem im Landratsamt, sei jedoch klargestellt worden: „Solange es eine andere Ortsumgehung geben kann, wird es nicht möglich sein, ein Vogelschutzgebiet zu durchqueren. Wir können also nicht weiter an unserer Variante festhalten“, teilte Edgar Gottbehüt mit. Die Entscheidung müsse demnach zwischen den beiden machbaren Trassen fallen – der nördlichen durch das Lottetal als Wunschvariante der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES) und der südlichen, bevorzugten Trasse der Nachbarn aus Kaltenwestheim und Mittelsdorf.

Als Gesprächspartner für Gemeinderäte und Bürger waren Vertreter der planungsbeauftragten DEGES eingeladen worden: die Diplom-Ingenieure René Schönberner und Martin Burger, Mitarbeiter des für Thüringen zuständigen Ressorts der DEGES.

DEGES bleibt bei Vorschlag

René Schönberner informierte, dass für die B 87n seit April 2007 das Raumordnungsverfahren im Gange sei. Schon wegen der Gewerbegebietsanbindung sehe die DEGES die Nordumgehung für Kaltensundheim vor. Man sei aber auf die Forderung eingegangen, eine Südvariante zu prüfen. Die wäre machbar, die DEGES selbst aber halte an ihrer nördlichen Vorzugsvariante fest, schickte er voraus. Die Raumordnungsbehörde habe noch nichts entschieden, zumal das Verfahren in Hessen derzeit etwas stagniere.

Nachdem sich zur vorherigen Gemeinderatssitzung Ende September noch einige Fragen ergeben hatten, arbeiteten die DEGES-Mitarbeiter zunächst diese ab. Demnach wird auch die (nunmehr) aktualisierte Stellungnahme des Kaltensundheimer Gemeinderats noch Berücksichtigung bei der Raumordnungsbehörde finden. Die abschließende Entscheidung über den „raumverträglichen Verkehrsweg“, sollte zwar bis zum Jahresende fallen, beantwortete René Schönberner eine weitere Frage. Doch gebe es die Abhängigkeit von der Entwicklung in Hessen. Edgar Gottbehüt wies darauf hin, dass im folgenden Planfeststellungsverfahren der Gemeinderat wieder in Detailfragen aktiv werden müsse.

Mit einer noch weiter südlicheren Trasse würde es schwierig, ging Martin Burger auf eine weitere Frage des Gemeinderats ein: „Es wird kritischer, wenn wir weiter nach Süden abrücken.“

Nachdem das geklärt war, meldeten sich nun die Kaltensundheimer Bürger mit emotionalen Appellen zu Wort. Die strikten Gegner der Rhöntrasse, darunter Mitglieder der Bürgerinitiative, waren in dieser Runde deutlich in der Überzahl. Etliche Anwesende stellten die Bundesstraße grundsätzlich in Frage und warfen die Frage auf, warum man hier über Variante A oder B rede, statt über Rhöntrasse ja oder nein. Sie ließen sich auch nicht von dem Hinweis beirren, dass es für die Grundsatzdiskussion zu spät sei.
Elke Dietzel von der Bürgerinitiative machte mit eindringlichen Worten deutlich, dass es sich bei der B 87n nicht um eine gemütliche Bundesstraße, sondern die Verbindung zweier Autobahnen handeln werde, was Schwerlastverkehr auf der Suche nach mautfreien Straßen direkt anziehe. Mit der Ruhe und gesunden Luft in Kaltensundheim und Umgebung sei es dann vorbei. Welcher junge Mensch ziehe freiwillig an einen solchen Ort, um sich niederzulassen, welcher Tourist wolle hier noch beherbergt werden oder wandern, warnte die Kaltensundheimerin. „Ich sehe nicht ein, dass mein Ort bluten muss, damit die Bundesrepublik eine Verbindung zweier Autobahnen bekommt“, mahnte sie.

Martin Burger zweifelte die von ihr angeführten täglich 20000 Autos an und verwies auf „solide Berechnungen“ der DEGES. Und René Schönberner bestand darauf, dass es enormen Bedarf gebe, zwei Wirtschaftsräume miteinander zu verbinden. Elke Dietzel bekam jedoch große Unterstützung von den Anwesenden, darunter viele junge Leute. Jede Menge Argumente wurden zusammengetragen. Von der Verschandelung des Landschaftsbildes und der Schädigung von Flora und Fauna bis zu massiven Einschnitten in die Lebensqualität durch Lärm und Luftverschmutzung. Problematisch sei insbesondere der landschaftsverändernde Ausbaugrad. Die Hohe Rhön sei danach nicht mehr dieselbe. Auch kamen Alternativvorschläge, wonach eine Landesstraße mit kleinen Ortsumgehungen ohne all die schädlichen Nebenwirkungen reichen würde.

Allerdings gab es auch gegenteilige Meinungen, beispielsweise von einem Anwohner der Hauptstraße, der sich sehnlichst wünscht, dass der massive Verkehr endlich aus dem Ort verbannt wird. Auch Gemeinderätin Monika Büchner äußerte ihre Überzeugung, dass bei all den kritischen Tönen doch die Mehrheit der Kaltensundheimer für die Rhöntrasse sei. „Wir sind jetzt die Buhmänner. Dabei müsste man den Schwarzen Peter dem Land zurückgeben“, ärgerte sich Gemeinderat Georg Dietzel. „Wir diskutieren über Sachverhalte, die wir gar nicht ändern können. So kann gelebte Demokratie nicht funktionieren.“

Schließlich wurde das Für und Wider der Varianten abgewogen. Elke Dietzel verwies auf eine Unterschriftensammlung, wonach die Mehrheit der Bürger gegen die Südvariante sei. Das spiegelte sich schließlich auch in der gemeindlichen Stellungnahme wider.

Knappe Mehrheit

Ursprünglich hatte an diesem Abend nur diskutiert werden sollen, doch Uwe Möllerhenn drängte dazu, auch gleich zu beschließen. Sein Antrag setzte sich durch, sodass am Ende über die beiden Trassenvarianten abzustimmen war, die eine Genehmigungschance haben. Schweren Herzens entschied sich eine knappe 4:3-Mehrheit des Gemeinderats bei dieser Wahl „zwischen Not und Elend“, wie es eine junge Frau bezeichnete, für die Nordvariante, die kürzer sei und am Gewerbegebiet vorbeiführe. Zum Unverständnis allerdings einiger Bürger, denn die Trasse durchs Lottetal, eng an der Ortslage vorbei, war einst vehement abgelehnt worden. (any)