Die Nachwelt hat ihn mit Etiketten versehen: Einen der "bedeutendsten Autoren des bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert" nennt ihn eine Ausstellung, die heute Nachmittag im Spiegelsaal von Schloss Friedenstein Gotha eröffnet wird.

"Die Ahnen", "Soll und Haben" oder "Bilder aus der deutschen Vergangenheit" - Freytags Romane, Hundertausende Male gedruckt, finden sich - sofern sie nicht unwissende Nachkommen der Mülltonne anvertrauten - noch immer in dem ein oder anderen Haushalt. Familienerbstücke - meist noch in altdeutscher Fraktur.

Gustav Freytag gilt als einer der populärsten Dichter des späten 19. Jahrhunderts. Als "Sprecher des Bürgertums" sieht ihn Katja Vogel, die Ausstellungskuratorin. Mit einem wissenschaftlichen Kolloquium zum 120. Todestag hatte sich Schloss Friedenstein 2014 schon einmal mit Gustav Freytag beschäftigt. Der Aufsatzband dazu erscheint in wenigen Tagen.

Dennoch sind Schriftsteller und Werk heute so gut wie vergessen. Einst respektiert von den Fürsten und geliebt von seinen Lesern, den Gebildeten, treffen seine Sprache und Werke den Nerv jener Zeit - die aufstrebende, mit nationaler Attitüde versehen Bürgergesellschaft. Das erklärt, warum die Zeit so schnell über ihn hinwegfegen konnte.

Beseelt von einer Idee

Mit einem Poesiealbum aus dem Jahr 1829 beginnt die Ausstellung - es steht symbolisch für die lebenslange Verbundenheit des Dichters mit seiner oberschlesischen Heimat. Am 13. Juli 1816 erblickt er in Kreuzburg das Licht der Welt. Preuße von Geburt an zu sein - das beschäftigt ihn in den revolutionären und nationalen Bewegungen immer wieder. Er wird Journalist, begeistert von den nationalliberalen Ideen der 1840er Jahre. Schreibt für den "Grenzboten" und lässt sich 1867 sogar als Abgeordneter des Norddeutschen Reichstages für die Wahlkreise Schleusingen und Erfurt aufstellen.

Mit seinen politischen Beiträgen wirbt er für eine nationale Vereinigung unter preußischer Vorherrschaft. Aber er kritisiert auch die Niederschlagung des Schlesischen Weberaufstandes 1844. Preußen sucht ihn daraufhin steckbrieflich. Nicht von ungefähr verschlägt es Gustav Freytag 1851 nach Siebleben - einen kleinen Ort bei Gotha. Ein langer Weg führt ihn über Breslau, Berlin, Dresden und Leipzig ins Thüringische, wo er Ruhe für historische Stoffe und das Zeitgeschehen findet. Und auch, wie die Ausstellung notiert, auf ärztliches Anraten hin der "schlechten Leipziger Stadtluft" entkommen konnte.

Siebleben bietet politisches Asyl: Der Landesherr heißt Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha - ein Ernestiner. Hier erwirbt Gustav Freytag ein stattliches Anwesen nebst Grundstück, das noch heute im Besitz der Stadt Gotha ist. Der zugehörige Park-Pavillon beherbergt die vom Sieblebener Heimatverein betreute Gustav-Freytag-Gedenkstätte. Seine "Flucht" nach Gotha hätte ihm wenig genutzt, hätte ihn der Herzog nicht zunächst zum Vorleser und 1854 zum Hofrat ernannt.

Damit wird Gustav Freytag gothaischer Staatsbürger - eine Entscheidung, die ihn beweg: In einem Brief vom 27. August 1854 an seinen Leipziger Verleger schreibt er: "Der Herzog kann nicht viel tun. Er steht in Berlin so schwarz wie der Teufel angeschrieben." Er musste also entweder Gothaer werden oder sich in Berlin vor Gericht begeben. "Ach, ich bin nie ein so guter Preuße gewesen als jetzt, wo ich aufhören soll, einer zu sein", notiert Freytag melancholisch.

Auch der Herzog weiß um die schwierige Situation des befreundeten Dichters, wenn er in den Fünfzigerjahren kommentiert: "Es war unendlich charakteristisch für jene Jahre, dass man in Preußen lüstern war, zu den sonstigen Taten der Reaktion auch den vormärzlichen Ruhm hinzuzufügen, den damals eben gefeiertsten und beliebtesten lebenden Schriftsteller der Nation herauszugreifen und mit einer, wenn auch voraussichtlich nicht allzu schweren Märtyrerkrone auszuzeichnen. Vor der angedrohten Verhaftung war Gustav Freytag geschützt, dass die preußischen Staatsgrenzen nicht allzu schwer vermieden werden konnten, wenn man in Thüringen und Sachsen lebte, doch musste er sich hüten, von Gotha über Erfurt nach Leipzig zu reisen."

Unter diesen relativ sicheren Bedingungen schrieb der Dichter von 1851 bis zu seinem Tod 1895 in Siebleben einen Großteil seiner wichtigen Werke: Den Kaufmannsroman "Soll und Haben", der alleine zu Lebzeiten 30 Auflagen erlebt und bis 1925 rund 750 000 Mal verkauft wird. Mit Werten wie Fleiß, Geschäftssinn, Mut und Verlässlichkeit habe Freytag im Roman das Bürgertum definiert, meint Katja Vogel.

Er spiegelte gewissermaßen dessen Selbstverständnis - ein wesentlicher Grund für seinen Erfolg. Mit den "Bildern aus der deutschen Vergangenheit" verfasst Freytag ein kulturhistorisches Monumentalwerk, das bis in die Dreißigerjahre Grundlage des Geschichtsunterrichts ist. Der Erfolg beruht auch hier vor allem auf der Sprache und dem Blickwinkel des Autors: "Aus bürgerlicher Perspektive schildert Freytag in einem unterhaltsamen Stil die preußisch und protestantisch geprägte staatsgeschichtliche Entwicklung Deutschlands. In anschaulicher Weise erzählt er über das Leben des Volkes, zumeist der unterdrückten Sozialschichten zwischen Völkerwanderungszeit Bund den revolutionären Wirren von 1848", heißt es in der Ausstellung. Kein Wunder: Für dieses Werk hatte Freytag über 6000 historische Flugschriften ausgewertet.

Drei Ehen - zwei Söhne

Schließlich die Historien-Saga "Die Ahnen" - jener Roman, mit dem Gustav Freytag nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 den Geschmack der Zeit trifft. Dem deutschen Nationalstaat und vor allem der Identitätsbildung der deutschen Nation, so Vogel, habe er mit seiner spannenden, entpolitisierten Unterhaltung ein literarisches Denkmal gesetzt.

Im persönlichen Leben muss Gustav Freytag mehrere Schicksalsschläge hinnehmen. 1875 stirbt seine erste Ehefrau, Emilie Scholz. Er heiratet wieder. Die neue Lebensgefährtin, Marie Dietrich, bringt 1876 Sohn Gustav zur Welt. Der zweite Sohn stirbt 1884 im Alter von sieben Jahren. Seine Mutter wird im gleichen Jahr wegen einer unheilbaren Nervenkrankheit in eine Heilanstalt eingeliefert - Gustav Freytag lässt sich scheiden. In den folgenden Jahren lebt er zuerst mit seinem Sohn allein. Später lernt er die 35 Jahre jüngere, aber verheiratete Anna Strakosch - kennen und wirbt fünf Jahre um sie. Nach einem Machtwort des Herzogs wird die Ehe 1891 geschieden und im gleichen Jahr heiratet Anna Strakosch - in Anwesenheit des Herzogs - Gustav Freytag. Die beiden Stieftöchter werden später die Briefe Freytags an Anna Strakosch herausbringen. Ihrer Mutter ist es zu danken, dass ihr am 30. April 1895 in Wiesbaden verstorbener Ehemann, der zum Inbegriff des deutschen Liberalismus wurde, auf dem Friedhof von Siebleben seine letzte Ruhe findet - auch sie wird 1911 hier beigesetzt.

Ausstellung "Verehrt und vergessen" auf Schloss Friedenstein bis zum 25. September. Die Gustav-Freytag-Gedenkstätte in Gotha-Siebleben kann Sa/So von 14-17 Uhr besichtigt werden. Festveranstaltung zum 200. Geburtstag am 16. Juli, 14 Uhr, in der Kirche Siebleben.