Wenn's ganz hart klingen soll, muss Trubschacher ran. Und Sätze sagen wie: Wer den deutschen Schlager als Musik bezeichne, halte den Bombenkrieg bestimmt für einen Teil der Städteplanung. Oder: Wer als Zahnarzt ohne Mundschutz durch die Straßen laufe und auch nur von einem Patienten erkannt werde, der weiß, dass er schöne Augen hat. Kein Zweifel, Trubschacher ist ein harter Kerl. Trubschacher ist eine Kunstfigur. Der, der sie erfunden hat, sitzt am Dienstagabend im Atrium der Suhler Sparkasse und liest Kurzgeschichten. Obwohl: So genau sagen lässt sich das gar nicht. Es sind mehr kurze Episoden, ziemlich genaue Beobachtungen, ziemlich treffende Beschreibungen, manchmal auch fiktive Hirngespinste. Sätze, die oft in ihrer sprachlichen Schnörkellosigkeit an des Zuhörers Ohr knallen wie ein Peitschenhieb auf blanken Boden. Sätze, die auch mitfühlen lassen. Kunze-Texte eben. So kennt man diesen Kerl seit Jahren und Jahrzehnten. Ein bisschen.

Klare Sprache

Ein bisschen mehr lernt man ihn mit diesem Buch kennen. "Vor Gebrauch schütteln" hat der Autor seine literarische Sammlung genannt. Soeben ist sie im Berliner Aufbau-Verlag erschienen. Die Rhön-Rennsteig-Sparkasse hat die sprachgewaltigen Dichter und Musiker zum elften Provinzschrei in ihre Suhler Filiale eingeladen. Schon nach den ersten Texten dämmert es dem Zuhörer: Der Titel, dem zum Imperativ nur das Ausrufezeichen fehlt, führt in die Irre. Hier muss kein Inhalt aufgeschüttelt werden, um seine Geschmackspartikel voll entfalten zu können. Genau andersherum ist es: Wer zuhört, der wird durchgeschüttelt. Von ganz alleine. Und ganz gehörig. Denn die literarischen Ergüsse des studierten Germanisten und Philosophen sind mit diabolischer Fantasie ausgeschmückte Lebenseindrücke, die niemand sonst mit einer solch brillanten sprachlicher Klarheit und Rücksichtslosigkeit zu Papier zu bringen vermag.

Wer im Theater ein bisschen rum blödelt, darf Wagner inszenieren, liest Kunze. Wer Millionen Leute finanziell ruiniert, erhält Prämien und Boni, liest Kunze. Man nenne dies Erfolg. Nur das Gute, das sei erfolglos. Er rate jeden, der mit einer Panne auf dem Seitenstreifen einer Autobahn liegen bleibt und zum illustren Schauobjekt wird, aufrechten Hauptes zurückzugaffen. Warum den Kopf vor Leuten einziehen, die es für ihre größte Tat halten, beim Stau über den Parkplatz auszuweichen und sich weiter vorne wieder in die Schlange einzuordnen? Er wünsche sich den Tag herbei, liest Kunze, an dem man für "Girls-Day" wieder "Mädchen-Tag" sagen dürfe ohne gleich für Adolf Hitler gehalten zu werden. Den Tag, an denen Vieh-Transporte nicht mehr mit lustigen Bildchen fröhlich grunzender Schweine verziert werden. Den Tag, an dem Autoaufkleber "Baby an Bord" oder "Carsten on Tour" verboten werden. Den Tag, an dem deutsche Soldaten in Afghanistan nicht getötet wurden, sondern für Deutschland gefallen sind.

Kunzes Texte sind eine bunte Mischung. Harmlose Alltagsbeobachtung und provokantes politisches Statement wechseln ohne Vorankündigung. Die Unterzeile "Kein Roman" gönnt er nicht umsonst seinem Buch. Es sind Texte, deren Themen keiner erkennbaren Ordnung gehorchen und die nur die Gemeinsamkeit besitzen, dass der Autor an ihnen Anstoß genommen hat. Kunze ist dabei ein sehr genauer Beobachter. Und ein sehr klarer Erzähler. Das Fabulieren ist seine Sache nicht. Er lässt seinen Gedanken freien Lauf. So abgedroschen dieser Formulierung auch klingen mag, hier trifft sie zu. Denn bei Kunzes Texten gibt es keine Anstand, keine Sitte, nicht den verquasten "guten Ton". Kunze bildet deutsche Hauptsätze. Und er formuliert dabei doch nur, was viele denken.

Hart und herzlich

In Suhl raunt das Publikum, wenn er so liest. Und dann durchbricht er seine frustvollen Alltagstiraden mit liebevollen Sätzen. Etwa, wenn er mit Lust und Ironie von der Pornosammlung seines Vaters erzählt, wenn er mit wenigen Sätzen sagt, was er an ihm hatte und was er an ihm nicht ausstehen konnte. Und wenn dann, am Ende des Textes, doch ein Gefühl der Liebe zurückbleibt. Diese Stelle, die Erinnerung an den Vater, ist wohl eine der stärksten des Buches. Nicht nur, weil sie autobiografisch ist. Sondern auch, weil Kunze hart und herzlich zugleich auf diesen Mann zurückblicken kann, der im Krieg als Frontoffizier der SS gedient hat und erst 1956 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Dieses gebrochene Leben webt Heinz Rudolf Kunze mit in seinen Text ein, ohne dass man auch nur eine Zeile davon lesen würde. Und genau das ist seine Kunst.

Am Ende spielt und singt er noch zwei Stücke. Es ist das Bonbon des Abends, das die aufgewühlten Gemüter wieder ein wenig glätten soll. Heinz Rudolf Kunze hat sie vorher anderthalb Stunden lang ordentlich durchgeschüttelt. Hat sie schockiert - und doch auch gerührt. Seine Beobachtungen sind wie eine Gebrauchsanweisung für den deutschen Alltag. Und wer würde ernsthaft behaupten, dass sich der Autor all das Überdrehte, Durchgeknallte, Widerwärtige, Dreckige, Abgründige, diesen ganz Schmutz und Gestank, den er da ausgemacht, nur ausgedacht hat?

Heinz Rudolf Kunze: "Vor Gebrauch schütteln" Aufbau-Verlag Berlin 2002 - 18,99 Euro