Zum Dreifach-Jubiläum dröhnten die Motoren: Knapp 1000 Moped- und Motorradliebhaber waren mit ihren Schätzen aus allen Himmelsrichtungen auf den Platz der Deutschen Einheit gekommen. Etwa 3000 Menschen bestaunten die dort zur Schau gestellten Schmuckstücke. Drum herum aber waren in der Stadt noch weitaus mehr der zwei- oder dreirädrigen Simson-Legenden zu sehen, zu hören und zu riechen.

Dabei sah es am Anfang fast danach aus, als ob dieses Fest regelrecht ins Wasser fallen würde. Der verregnete Morgen machte auch Joachim Scheibe Sorgen. Dabei hatte er tags zuvor noch verkündet: "Mit Simson fährt die Sonne mit! Dann aber war kurz nach 8 Uhr erst ein Fahrer da. Doch das Wetter hielt. Der Platz füllte sich und ich bin sehr zufrieden mit der Resonanz", sagt der Chef des Suhler Fahrzeugmuseum zum Ende der Veranstaltung.

"Ich wäre auch gekommen, wenn Kuhfladen vom Himmel gefallen wären", lacht der 66-jährige Karl-Heinz Kürschner. Der Eisfelder hat für das Treffen extra einen Originalmotor für sein SR1 wieder zurecht gemacht und sogar die Originalbereifung aufgezogen. "Mein Vater hatte als Verkaufsstellenleiter des Kohlehandels 1959 ein SR1 als Dienstfahrzeug mit nach Hause gebracht. Mit zehn hab ich damit schon heimlich Runden auf dem Hof gedreht. 1980 erwarb ich den gleichen Typ wieder und hab mir das gute Stück bis auf die letzte Schraube original zurecht gemacht." Selbst sein Rucksack hat Geschichte. "Aus Angst vor der Aussiedlung hatte meine Mutter 1954 ganz viele davon gekauft. Der hier war dabei und wurde noch nie benutzt", sagt der Eisfelder und zeigt den nagelneu wirkenden Rucksack aus derbem Leinen.

Quasi nach Hause brachte Björn Mögling aus Eichstedt in Bayern seine 425er Touren-AWO Baujahr 1953. Acht Jahre lang hatte der heute 34-Jährige nach dem Schmuckstück im Originalzustand gesucht. "Dann hatte ich sie in der Nähe von Suhl gefunden. Sie war im Dezember 1980 stillgelegt worden. Vor meiner Geburt. Diese AWO hat also regelrecht auf mich gewartet. Die Besitzer, ein älteres Ehepaar wollten mich erst kennenlernen, bevor sie mir die AWO verkauften. Zwei Stunden befragten sie mich. Ich hab das gute Stück gehegt und gepflegt", so der gebürtige Sachse, der Simsonfahrzeuge schon von klein auf kennt. "Meine Mutter hat mich hat mich schon auf der Schwalbe in den Kindergarten gefahren! Inzwischen bin ich seit 2004 selbst Simsonhändler in Bayern."

Einer, der die vielen AWOs auf dem Platz unter einem besonderen Aspekt betrachtet, ist Harald Gonnermann. Er ist der Sohn des AWO-Chefkonstrukteurs, Fritz Gonnermann, der 1975 "an einer lapidaren Grippe starb. Mein Papa würde sich freuen, wenn er das hier sehen könnte. In seinem Sinne wünsche ich allen eine gute Fahrt", sagt er auf der Bühne. Wenig später schlendert der 72-Jährige selbst über den Platz und steht lange bewundernd vor einem weißen, aufwendig hergerichteten AWO-Gespann. Selbst besitzt er natürlich auch eine AWO und andere Motorräder, fuhr Rennen und ist immer noch auf Oldtimer-Rallyes und großen Touren unterwegs. "Ich war gerade erst mit meiner Frau auf Motorradtour. 5000 Kilometer nach und über Irland. Auf dem Motorrad erlebt man die Gegend ganz anders", sagt er und gesteht, dass er für diese Fahrt keine AWO genommen hat und hätte.

Mit seinem Jugendweihe-S 50 ist Torsten Orban auf dem Platz. Der Suhler hatte es sich vor 37 Jahren für 1560 Mark gekauft. "Das Geld, das ich 1978 zur Jugendweihe bekam, reichte dafür aber nicht. Mein Opa hat den Rest draufgelegt." Gleich daneben steht ein pinkfarbenes S 51 mit lustigen Disney-Motiven. Dass sie damit nicht jedermanns Geschmack trifft, weiß Besitzerin Michaela Schmidt aus Schalkau. Seit vier Jahren fährt die 21-Jährige das gute Stück und liebt das Fahrgefühl darauf. Simson-Fans sind auch ihre Freunde. Einer fährt Habicht, ein anderer ein SR2. Torsten Orban hingegen ist an diesem Tag nicht nur als Fan dabei. Er gehört zu den vielen Ehrenamtlichen, die das Fest lange vorbereiteten und absicherten. Etwa 70 Helfer sind am Samstag mit leuchtenden Westen vor Ort, weisen Fahrer ein, sichern Strecken und Stuntshows ab oder helfen beim Aufstellen der Fahrzeuge auf dem Festplatz. Zur Seite stehen dabei dem Förderverein Fahrzeugmuseum Suhl e.V. auch ganz junge Helfer und wohl künftige Fahrer von S 50 und AWO: Schüler, der nach dem Suhler Rennfahrer benannten Paul-Greifzu-Schule.

Dass vor allem so viele junge Menschen diese Mokicks, die seit 25 Jahren nicht mehr gebaut werden, fahren und schätzen, begeistert Karl Clauss Dietel. Er hat dem S 50 gemeinsam mit dem aus Gera stammenden Lutz Rudolph Form und Gestalt gegeben und allein die ganze Vogelserie gestaltet. Ihr sogenanntes "Offenes Prinzip", nachdem alle Teile gut erreichbar, austauschbar, kombinierbar sind, "spricht die jungen Leute an. Sie können sich ihr Mokick so zusammen stellen, wie sie es wollen. Ich freue mich jeden Tag, wenn diese mir auf der Straße begegnen", sagt der Mann, der 2015 erst den Bundesdesign-Preis erhielt. Und obwohl er weiß, dass noch hunderttausende Zeugnisse seiner Arbeit durch die Gegend rollen, hat es den 81-Jährigen auf dem größten deutschen Simson-Treffen in Zwickau im Sommer "regelrecht umgehauen". Fast 3000 Simson-Fans waren dort mit S 50, Schwalbe, Spatz und Star. Die meisten von ihnen, wesentlich jünger als ihre Zweiräder, "und sie finden was an diesen Fahrzeugen. Sie wollen nichts zum Wegwerfen, sondern etwas Nachhaltiges", sagt Dietel. Nach Zwickau führte ihn übrigens ein Drehteam. Die entstandene Film soll "Ende Oktober auf dem Internationalen Dokumentarfilm-Festival in Leipzig zu sehen sein", weiß Marc Frömberg, der Marketing-Chef des MZA. Die Zweirad-Technik-Firma, die alle Simson-Markenrechte erworben hat und auf dem alten Simson-Gelände in Suhl mit etwa 25 Beschäftigten Moped-Teile produziert, war immerhin Sponsor und Co-Produzent des Filmes. Zum Dreier-Jubiläum in Suhl lud das Unternehmen auch wieder in die Produktionshallen ein. Hunderte nutzen die Gelegenheit und stehen vor dem Eingang schon mal Schlange. Eingeladen hat das MZA auch zu Geschicklichkeits-Tests und stellt seine Kalender für 2016 vor: Mit sexy Models und etwas anders gestalteten Simson-Mopeds.

Doch nicht nur optisch, auch akustisch kommen Fans in der Stadtmitte auf ihre Kosten. Mit garantiert nicht TÜV-zulässigen Dezibel präsentieren ehemalige und aktuelle Rennfahrer 15 Motorräder direkt vor dem Congress-Center. Von der dröhnenden Lautstärke unbeeindruckt fährt auch Helmut Weber eine kleine Strecke. Hörtechnisch "geht nicht mehr kaputt, als schon kaputt ist", lacht der Rentner, der auf einer Renn-AWO im Jahre 1957 DDR-Meister war. Eigens für ihn, den früheren Simson-Werks- und Rennfahrer ist damals sogar ein Prototyp mit 350-Kubikmotor gebaut worden. Einer, der dem Rennfahrer zu jener Zeit als Rennmonteur in der FAJAS-Sportabteilung, Bereich Straßenrennen, zur Seite stand, ist auch zum 65. AWO-Jubiläum in Suhl neben ihm, Harry Riese. Die beiden rüstigen 83-Jährigen erzählen Geschichte und Geschichten, die Bücher füllen würden und strahlen, als Andre Scheit, ein AWO-Fan aus Berlin, sie bittet, sich doch mit ihm vor seiner AWO fotografieren zu lassen. Mit der war er bereits zum 50. Jubiläum dabei.

Einer, der einst alle AWOs vor der Auslieferung sozusagen auf Herz und Nieren prüfte, ist aus Unterschönau nach Suhl gekommen. Herbert Horn war Motoreneinfahrer im Simson und fuhr täglich 10 bis 12 Maschinen auf drei verschiedenen Strecken in Suhl ein. "1953 hab ich mir dann in der HO Suhl ein Gespann gekauft. Die hatte gerade zwei Stück. Etwa 2700 Mark kostete meins", sagt der heute 81-Jährige. Ein Jahr zuvor war er mit Herbert Vonderlind im Beiwagen DDR-Meister im Gespannfahren geworden. "Quer durch Thüringen" hieß die Meisterschaft, die die damals 17- und 18-Jährigen insgesamt 200 Kilometer quer durch das Land führte.

Nicht gar so viele Kilometer, aber auch quer durch Suhl und Umland tourten am Sonnabend noch hunderte Fahrer der gefeierten Mopeds, Mokicks und Motorräder im Corso zum Abschluss des Jubiläen-Festes. Die schwarzen, erneut aufziehenden Regenwolken hatten sich tatsächlich bis dahin zurückgehalten. Kurz nach der Ausfahrt öffnete der Himmel wieder seine Schleusen.