Eine Geisterstadt und viel Leere
Maik Heller berichtet über seinen erst 1987 erfolgten Einzug in eine Einraumwohnung in Suhl-Nord sowie nach seiner Eheschließung vom Umzug 1991 in eine Zweiraumwohnung. Seit seinem Geburtsjahr 1962 hatte er mehr als 23 Jahre bei den Eltern im Wohnviertel Aue 1 gelebt. „Suhl-Nord hatte fast alles, was eine Stadt haben muss“, schreibt er. „Einkaufsmöglichkeiten, einen kleinen, feinen Fußgängerboulevard mit diversen Fachgeschäften, Kindergärten und Krippen, Schulen, ein Ärztehaus, gastronomische Angebote, einen Jugendclub, Freizeit- und Sportmöglichkeiten, mehrere Spielplätze, gute Nahverkehrsanbindung im 15-Minutentakt.“ Was sei davon geblieben, fragt der Autor in seinem Zeitungsbeitrag. Eine Geisterstadt, viel Leere, viel Wildwuchsvegetation, so sein Eindruck heute.
Endzeitstimmung und Wehmut
Desireé Röhlig sieht den Stadtteil inzwischen aus zwei Blickwinkeln: einmal aus persönlicher Sicht, aber auch aus städtebaulicher Sicht. Die junge Frau hat in Suhl-Nord ihre Kindheit erlebt, ist später nach Erfurt gezogen und hat in Weimar Architektur studiert. 2016 schrieb sie im Bereich Urbanistik ihre Bachelorarbeit über den Stadtteil und spürte Endzeitstimmung, weil sie kein einziges Kind mehr sah. „Aus persönlicher Sicht ist es immer mit Wehmut verbunden, wenn man heute durch Suhl-Nord läuft“, sagt sie. Früher sei das Wohngebiet nachmittags immer voller Kinder gewesen, alle 500 Meter habe man einen Kinderspielplatz gehabt, alles sei voll gewesen, man habe da seine Freunde getroffen nach der Schule. „Genauso traurig ist es jetzt aus persönlicher Sicht, die Orte, die Spielplätze, die ich kannte, gibt es nicht mehr.“ Aus beruflicher Sicht sieht es die Autorin anders. Es sei sinnvoll gewesen, dieses Wohngebiet aufzugeben, sagt die Architektin, die inzwischen wegen ihres Partners nach Suhl zurückgekehrt ist. In ihrem Zeitungsbeitrag befasst sich Desireé Röhlig mit dem Lebensmittelpunkt Suhl-Nord, mit Baukunst und Kunst am Bau, mit der Freiflächengestaltung sowie mit der persönlichen Gestaltung der Wohnungen und Balkone, mit der die Bewohner ihre Individualität ausdrückten.
Oksana Skaletzka und Sviatoslava Andriiovska, beide sind Ukrainerinnen, haben Interviews mit Migranten geführt, die in Suhl-Nord eine Bleibe gefunden haben und ihre Meinung über den Stadtteil äußern. Anhand eines einsamen Stiefels, der mal einem Bewohner eines abgerissenen Wohnblocks gehörte, beschreiben die Ukrainerinnen ihre persönliche Reise durch Suhl-Nord. Sie endet an einem der noch verbliebenen und bewohnten Häuser, aus denen lautes Kinderlachen erschallt. Es gab und es gibt also noch Leben im Stadtteil – und damit auch die Hoffnung, dass es dort weiter Leben geben wird.
Lamprecht verteidigt Abrissbeschluss
Suhls Altbürgermeister Klaus Lamprecht (Die Linke), der seinerzeit an dem Stadtratsbeschluss zum Teilabriss von Suhl-Nord mitgewirkt hat, zeigt sich positiv überrascht von dem Projekt und dem Zeitungsmagazin. „Es spiegelt das Gefühlsleben der Menschen wider, die dort gewohnt haben. Es ist der erste Stadtteil Suhls, der leer gezogen wird“, sagt er. Der ganze Prozess sei nicht einfach gewesen, er habe auch viele Anfeindungen erlebt. Aber er verteidigt den Ratsbeschluss. Bei dem deutlichen Rückgang der Bevölkerung nach der Wende und einem Leerstand von rund 30 Prozent in Suhl-Nord habe es keine Alternative zum Teilabriss gegeben.
Lamprecht regt an, eine zweite Zeitungsausgabe zu erstellen, um zu dokumentieren, wie die Bewohner den Abrissprozess erlebt haben. Eine Idee, die vom Verein „unoffcial.pictures“ auch selbst erwogen wird. Es habe noch nie einen so ergiebigen Zeitungsworkshop gegeben, sagen die Initiatoren. Es seien so viele Texte und Fotos eingereicht worden und übrig geblieben, weil es zu wenig Platz in der Erstausgabe gab.
Diese kann schon jetzt als Denkmal für das sterbende Wohnviertel, für die noch verbliebenen Wohnblöcke und ihre Bewohner bezeichnet werden.