Wirtschaftsprognose Der Preis-Wahnsinn geht weiter

Eine Drohne fliegt vor dem Helaba-Tower in Frankfurt/Main. Foto: dpa/Arne Dedert

Eine Teuerung, die das Ein­kommen und das Ersparte auffrisst: So schnell ist kein Ende der Preisspirale in Sicht, warnen Finanzexperten der Landesbank. In Thüringen gilt das noch mehr als im Rest Deutschlands.

 
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Auch wenn die Inflation im Lauf des Jahres etwas nachlassen dürfte: Im Jahresdurchschnitt sei mit einer Inflationsrate von sechs bis sieben Prozent zu rechnen, sagte die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Gertrud R. Traud, am Dienstag in Erfurt. In Thüringen fiel der Preisanstieg im Mai mit 8,8 Prozent wie schon in den Vormonaten kräftiger aus als im Bundesdurchschnitt (7,9 Prozent).

Größter Preistreiber sind laut der Helaba-Analyse weiterhin die Energiekosten. Während etwa der Gaspreis im April deutschlandweit um 33,8 Prozent zulegte, seien es in Thüringen 53,5 Prozent gewesen, ähnlich habe sich der Preis für Fernwärme entwickelt, erläuterte Helaba-Regionalexpertin Barbara Bahadori. Offenbar seien die Energiepreise in Thüringen in der Vergangenheit noch vergleichsweise günstig gewesen. An diesem Mittwoch wird die Analyse auch Thema beim Erfurter Wirtschaftskongress Erwicon sein.

Traud erwartet, dass von Seiten der Europäischen Zentralbank (EZB) nur relativ zaghaft gegengesteuert wird. Mit Zinsschritten im Juli, September und Dezember werde der Leitzins zum Jahresende wohl bei 0,75 Prozent liegen, der generelle Zins voraussichtlich bei drei Prozent. „Die EZB hat panische Angst davor, mit Leitzins-Erhöhungen eine Rezession auszulösen.“ Dies sei der Bundesbank in den 1970er Jahren gleich zwei Mal passiert, so die Chefvolkswirtin.

Ausgelöst worden seien die Preisanstiege nicht erst durch den Krieg in der Ukraine, sondern schon durch vier Mega-Trends in der Wirtschaft, sagte Traud: die Dekarbonisierung – also die Abkehr der Energiegewinnung von kohlenstoffhaltigen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas –, die Digitalisierung, die Deglobalisierung – also die Abkehr von der Abhängigkeit von China als dem Haupt-Lieferanten für viele Produkte und Zulieferungen – sowie durch die Demografie – also die Herausforderungen durch schrumpfende und immer älter werdende Bevölkerungen in vielen Industrieländern. Lange habe China durch billige Zulieferungen dafür gesorgt, die Preise niedrig zu halten – nun aber werde Europa quasi ebenfalls zum Opfer der chinesischen Null-Covid-Strategie, durch die viele große Ausfuhrhäfen über Monate hinweg blockiert waren.

Ebenfalls nicht hilfreich in Sachen Inflationsbekämpfung seien die staatlichen Förderprogramme in der Corona-Pandemie gewesen. Hier sei zwar viel Geld in die Hand genommen – es sei aber nicht für Investitionen ausgegeben worden. Ähnliches erlebe man jetzt mit dem Tankbonus, mit dem über drei Monate hinweg die Steuer auf Kraftstoffe gesenkt wird. „Sollen wir es jetzt etwa die drei Monate krachen lassen und richtig Gas geben – und dann?“, fragte die Ökonomin.

Einen generellen Öl- und Gaslieferstopp aus Russland sieht auch Traud nicht hilfreich. Abgesehen davon, dass dieser unserer Wirtschaft mehr schade als Russland, gebe es in den Lieferverträgen zudem eine Klausel, der zufolge Deutschland im Nachhinein für nicht abgenommene Lieferungen zur Kasse gebeten werden könnte. In einem Negativ-Szenario der Helaba werden für den Fall eines Lieferstopps noch viel drastischer steigende Energiepreise, der Ausfall ganzer Wirtschaftszweige, weiter explodierende Inflationsraten und damit massive Kaufkraft-Verluste und am Ende mindestens zwei Jahre Rezession vorausgesagt.

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