Erfurt - Als ein Thüringer Arbeitnehmer aus der Backwarenbranche seinen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben sollte, ahnte er nicht, dass sein Chef ihn hinters Licht führen wollte. 8,50 Euro würde er nun bekommen, hieß es auf dem Papier: Mindestlohn.

Statt der 26 Tage Urlaub sollte er nun aber nur noch 24 «Werktage» frei bekommen. «Werktage» allerdings schließen auch Samstage ein. Das bedeutet insgesamt sechs Tage weniger Urlaub für den Mindestlohn. «Ich war über den Erfindungsreichtum einiger Arbeitgeber doch erstaunt», sagt Jens Löbel, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten (NGG).

Seitdem der Mindestlohn vor etwa 100 Tagen eingeführt wurde, soll es vielen schlecht bezahlten Beschäftigten besser gehen. In der Realität aber gibt es dreiste Arbeitgeber, die höhere Mitarbeiterkosten durch andere Kürzungen bei ihrer Belegschaft wieder reinholen wollen.

Aus Gewerkschaftssekretär Löbel sprudelt es nur so heraus, wenn er nach trickreichen Bossen gefragt wird. Da seien zum Beispiel die Angestellten eines Süßwarenbetriebs, die zustimmen sollten, dass ihr Weihnachts- und Urlaubsgeld auf das Mehr des Mindestlohns angerechnet wird - dies ist nicht mit geltendem Recht vereinbar. «Es gibt ganz große Schweinereien», erzählt Löbel. Viele beginnen damit, dass der Arbeitgeber einen neuen Arbeitsvertrag aufsetzen lassen will. Vermeintlich, um den neuen Mindestlohn darin zu ergänzen. «Und wenn der Stift unter dem Arbeitsvertrag ist, ist es zu spät.»

Aber wie oft wird in Betrieben wirklich getrickst? Es halte sich in Grenzen, heißt es beim Thüringer Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). «Da wird so getan, als würde Wildwest herrschen», sagt Dehoga-Hauptgeschäftsführer Dirk Ellinger. Einzelbeispiele würden auch von Gewerkschaftsseite aufgebauscht. Dabei sei den meisten Betrieben nicht nur in der Gastronomie-Branche bewusst, dass die Mitarbeiter das Wichtigste seien, was sie hätten.

Einen Standpunkt, den auch der Allgemeine Arbeitgeberverband Thüringen umso stärker vertritt: «Ich gehe davon aus, dass man tatsächlich den Unternehmen trauen kann», sagt Sprecherin Ute Zacharias. Den Eindruck, ein großer Teil der Betriebe betrüge, könne sie nicht bestätigen. Auch Ministerien, Zoll und Arbeitsagenturen sprechen bisher von Ausnahmefällen.

Aber doch gibt es sie, die schwarzen Schafe unter den Chefs. Peter Hintermeier, der DGB-Kreisvorsitzende in Sömmerda, hatte kürzlich etwa 50 Arbeitnehmer befragt. Repräsentativ sei die Umfrage nicht, aber sie gibt zu denken: Bei 18 Arbeitern seien die Arbeitsverträge geändert worden. 12 sollten zusichern, auf den Mindestlohn zu verzichten - bei acht würden die Pausen nicht mehr bezahlt. Zuverlässige offizielle Zahlen zu den Verstößen gegen das Mindestlohngesetz gibt es dagegen noch nicht.