Warnung von Experten Ab jetzt kommen Klima-Katastrophen ungebremst

Markus Brauer/

Waldbrände, Hitzewellen, Überflutungen: Die extremen Wetterereignisse 2023 sind nach Ansicht von Klimaforschern eine Wendemarke. Viele Experten meinen, die Erderwärmung werde weit mehr als 1,5-Grad überschreiten. Um die Folgen abzufedern, seien nun die richtigen Vorbereitungen wichtig.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Klima-Katastrophe vor unserer Haustür: Zwei Touristen stehen auf dem Ottofelsen im Landkreis Harz. Seit 2018 gibt es im Harz ein immenses Baumsterben. Das ist laut Experten nicht zuletzt auch dem Klimawandel zuzuschreiben. Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Der Klimawandel wird nach Ansicht von Experten in großen Teilen ungebremst erfolgen. Die Chance, mit relativ wenig Aufwand das Klimasystem zu stabilisieren, sei verpasst, heißt es zum Auftakt des 13. Extremwetterkongresses in Hamburg. Damit seien nicht mehr abwendbare massive Veränderungen auf der Erde zu erwarten.

Nach der Werbung weiterlesen

Auf dem Weg in die Drei-Grad-Welt

„Wir müssen uns damit abfinden, dass die 1,5-Grad-Grenze überschritten werden wird. Damit ist das Pariser Rahmenabkommen in diesem Punkt faktisch gescheitert“, sagt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie.

„Das bedeutet auch, dass es nur noch mit enormen Anstrengungen möglich sein wird, die Erwärmung unter der Zwei-Grad-Grenze zu halten.“ Aktuell sei man eher auf dem Weg in eine Drei-Grad-Welt bis zum Ende des Jahrhunderts.

2023: Wendemarke für die Menschheit

Waldbrände, Hitzewellen, Überflutungen: Die extremen Wetterereignisse 2023 sind laut Experten eine Wendemarke. „Nie zuvor waren die globalen Luft- und Wassertemperaturen so hoch, wie in diesem Jahr“, heißt es in einer Mitteilung zum Kongress. „Nie zuvor haben Hitzerekorde und Waldbrände ein solches Ausmaß erreicht wie 2023.“

Die um fünf bis sechs Grad höheren Wassertemperaturen im Mittelmeerraum hätten zu Rekordwerten bei der Verdunstung und den nachfolgenden Niederschlägen in Europa und Nordafrika geführt. „Durch die Zufälligkeiten im chaotischen System der Atmosphäre kam es in Deutschland nicht zu den extremen Hitze- und Dürrephasen, wie wir sie in Südeuropa erlebt haben. Es wäre möglich gewesen.“

Klimawandel führt zu mehr Extremwetter

Der Moderator und Meteorologe Sven Plöger (2. v. re.) spricht bei einer Pressekonferenz im Internationalen Maritimen Museum zu Beginn des 13. Extremwetterkongresses in Hamburg. Foto: dpa/Franziska Spiecker

Die EU-Umweltagentur EEA hatte schon im späten Frühjahr gewarnt: „Aufgrund unseres sich verändernden Klimas wird das Wetter in Europa extremer.“ Hitzewellen werden der Behörde zufolge im Zuge des Klimawandels häufiger, intensiver und lang anhaltender. Bereits der Sommer 2022 sei ein „Sommer der Hitzewellen“ gewesen.

„Die schrecklichen Bilder der Unwetterkatastrophen in Griechenland, Bulgarien, der Türkei und in Libyen haben wir alle noch vor Augen“, betont Tobias Fuchs, Vorstandsmitglied beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach. „Die internationale Klimaforschung ist sich einig: Jede weitere Erderwärmung führt zu einer raschen Zunahme wetterbedingter Naturgefahren.“ Menschen müssen sich nach Ansicht von Fuchs besser auf die katastrophalen Folgen von Extremwetter wie Dürren, Waldbrände, Überflutungen vorbereiten.

Wettermoderator Sven Plöger forderte einen stärkeren Klimaschutz. Es brauche Ideen, um alle zum Mitmachen zu bewegen. „Der Klimaschutz muss ein Jahrhundertgeschäft in einer auf dem sozialen und ökologisch Auge ertüchtigten Marktwirtschaft ohne Hyperkonsum werden“, sagte Plöger. „Hier ist die Politik aufgefordert, die dafür nach wie vor fehlenden Leitplanken endlich zu schaffen.“

Warum sind die Warnungen der Klimaforscher berechtigt?

Wirklich überraschen können die Cassandra-Rufe der Wetterforscher eigentlich niemanden mehr. Wiederholen die Experten doch schon Jahren mantraartig, dass Extremwetterereignisse wegen des Klimawandels wahrscheinlicher werden.

Es ist allerhöchste Zeit gegenzusteuern. Der Sommer 2023 wirkt wie ein Paradebeispiel für ihre Aussagen, denn er liefert Wetterextreme en masse.

„Höllensommer“ in Spanien

Spanien: So hat Spanien einen „Höllensommer“ erlebt, wie die Tageszeitung „La Razón“ schreibt. Fünf offizielle Hitzewellen mit Temperaturen von teils deutlich über 45 Grad gab es seit dem 1. Juni bereits. „Wir ersticken alle!“, rief Star-Moderatorin Silvia Intxaurrondo im Juli im Fernsehen. Eine in weiten Teilen des Landes seit vielen Monaten anhaltende Trockenheit begünstigt zusammen mit der extremen Hitze und starker Winde die Ausbreitung von Waldbränden.

Teneriffa: Prominentestes Beispiel ist die Kanaren-Insel Teneriffa: Europa bangte eine Woche lang mit den Menschen dort. Die Flammen erfassten im Norden und Nordosten der Insel rund 15 000 Hektar – gut sieben Prozent des gesamten Territoriums. Nach der Stabilisierung des schlimmsten Feuers der vergangenen 40 Jahre sind nun fast 10 000 evakuierte Menschen in ihre Häuser zurückgekehrt.

„Wir verlassen das uns bekannte Terrain“

Kanada: Waldbrandexpertin Kirsten Thonicke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sagt: „Es treten einzelne Feuerereignisse auf, die so viel Fläche verbrennen wie sonst in einem Jahr.“ Das sei vor allem im Mittelmeerraum zu beobachten, aber auch beispielsweise derzeit in Kanada. „Feuer-Regime verändern sich gerade sehr stark, so dass wir das uns bekannte Terrain verlassen und uns die Feuerbekämpfung vor neue Herausforderungen stellt“, betont Thonicke.

Hawaii: Der Blick in weit von Europa entfernte Gebiete zeigt ganz Ähnliches: Die Waldbrände auf Maui im US-Bundesstaat Hawaii sind die tödlichsten in den USA seit mehr als 100 Jahren. Kanada kämpft bereits seit Monaten: In diesem Jahr handelt es sich um die schlimmste bekannte Waldbrand-Saison in der Landesgeschichte.

Deutschland: Geoökologin Thonicke sagt mit Blick auf Deutschland, wo in diesem Jahr vor allem der Waldbrand im Juni im brandenburgischen Jüterbog in Erinnerung geblieben ist: „Wenn es heiß und trocken ist, in Kombination mit heißen Winden, gibt es ein hohes Waldbrandrisiko. Da müssen wir alle sehr viel vorsichtiger sein, damit wir nicht durch Fahrlässigkeit ein Feuer auslösen.“

„Das Wetter in Europa wird extremer“

Die EU-Umweltagentur EEA hatte schon im späten Frühjahr gewarnt: „Aufgrund unseres sich verändernden Klimas wird das Wetter in Europa extremer.“ Hitzewellen werden der Behörde zufolge im Zuge des Klimawandels häufiger, intensiver und lang anhaltender. Bereits der Sommer 2022 sei ein „Sommer der Hitzewellen“ gewesen.

Der Juli 2023 nun ist sogar heißer gewesen als jeder andere je gemessene Monat. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa bestätigte Mitte August Aussagen des EU-Klimawandeldienstes Copernicus: Der Juli sei 0,24 Grad Celsius wärmer gewesen als der bislang wärmste Juli in den Aufzeichnungen der Behörde, die bis 1880 zurückgingen.

„Einziger Planet, den wir haben“

Nasa-Chef Bill Nelson sagt: „Die Wissenschaft ist eindeutig. Wir müssen jetzt handeln, um unsere Gemeinschaft und unseren Planeten zu schützen; es ist der einzige, den wir haben.“ Besonders heiß waren der Nasa zufolge Teile Südamerikas, Nordafrikas, Nordamerikas und der Antarktischen Halbinsel.

In der Türkei wurde kürzlich die heißeste Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen: Im zentraltürkischen Eskisehir seien am 15. August 49,5 Grad Celsius erreicht worden – das sei heißer als beim bisherigen Rekord im Juli 2021, schreibt Umweltminister Mehmet Özhaseki auf der Online-Plattform X, vormals Twitter.

Verqualmte Luft

Griechenland: In Griechenland erleben derzeit Millionen Menschen dieses Szenario: Diesige, verqualmte Luft noch Hunderte Kilometer von den Bränden entfernt, ein von Rauchschwaden verdeckter Himmel und die Sonne lediglich als kleiner leuchtender Punkt am Horizont.

Das Land hat in diesem Sommer gegen gewaltige Vegetationsbrände im Nordosten und nahe der Hauptstadt Athen angekämpft. Über Wochen hatten die Thermometer in Griechenland immer wieder mehr als 40 Grad gezeigt, lange Zeit ohne Regen. „Wir haben im Mittelmeer seit Jahrtausenden Waldbrände, das ist nichts Neues. Neu ist aber die Intensität der Brände auf Grund des Klimawandels“, bilanziert Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis.

Langfristige Klimaprognosen deuten darauf hin, dass es im Laufe des Jahrhunderts gerade in Süd- und Mitteleuropa noch trockener wird – mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen für die Landwirtschaft, aber auch mit Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung.

Teils eher verregneter Sommer – aber große Unterschiede

Europa: Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach heißt es mit Blick auf den Sommer 2023 in Europa, in einem Gebiet von Süd-Skandinavien über Mittel- bis nach Südosteuropa sei der Sommer eher verregnet gewesen.

„Es gab aber große Unterschiede in den einzelnen Sommermonaten und auch extreme Hitze und Starkgewitter“, so der DWD mit Verweis auf die „extreme Hitzewelle im gesamten Mittelmeerraum“ in der zweiten Julihälfte. Nach Angaben des britischen Wetterdiensts war es in Großbritannien der Juli mit dem meisten Niederschlag seit 2009.

Gibt es mehr Wetterextreme?

Italien: Bei Starkgewittern in Nordost-Italien sei ein 19 Zentimeter großes Hagelkorn gefunden worden, „ein neuer Europarekord“, so DWD-Experte Peter Bissolli. Das Wetter in Italien hatte das Land im Juli in zwei Teile geteilt: Unwetter und Hagelstürme im Norden und extreme Hitze und Waldbrände im Süden.

Die schweren Unwetter im Norden forderten mehrere Todesopfer und verwüsteten einige Gemeinden. Fast zeitgleich wüteten auf den Mittelmeerinseln Sizilien und Sardinien sowie in den südlichen Regionen des Festlandes teils schwere Wald- und Flächenbrände. „Nichts ist mehr wie zuvor“, betont Italiens Zivilschutz-Minister Nello Musumeci angesichts der Extremereignisse.

Überschwemmungen und Erdrutsche

Slowenien: Über großen Teilen Sloweniens gingen Anfang August sintflutartige Regenfälle nieder. Überschwemmungen und Erdrutsche rissen Hunderte Häuser und Brücken weg, brachten einen Damm zum Einsturz. Straßen und Eisenbahngleise standen unter Wasser. Es war die schlimmste Naturkatastrophe, die das 2,1-Millionen-Einwohner-Land in seiner jungen Geschichte erlebt hat. Ganze Ortsteile und Dörfer boten ein Bild apokalyptischer Verwüstung.

Die Situation erinnere ihn an die Katastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren, sagte ein Einsatzleiter des deutschen Technischen Hilfswerks. Schäden waren in zwei Dritteln des Landes zu verzeichnen. Ministerpräsident Robert Golob schätzte sie in einem ersten Aufschlag auf mindestens 500 Millionen Euro. Der Klimawandel habe Slowenien erreicht.

Österreich: In Österreich litten besonders die südlichen Bundesländer Kärnten und die Steiermark unter heftigen Regenfällen. In wenigen Tagen fiel regional mehr Niederschlag als sonst im gesamten Monat. Hangrutsche und Schlammlawinen waren die Folge, Menschen mussten ihre Häuser verlassen, Ernten wurden zerstört, viele verloren Hab und Gut.

Norwegen: Im Süden von Norwegen und teils auch in Schweden löste das Unwetter „Hans“ umfassende Überschwemmungen aus. Mehrere norwegische Orte standen unter Wasser, das Hochwasser führte zu Erdrutschen, tagelang blieben Straßen und Bahnstrecken gesperrt. Einsatzkräfte waren im Dauereinsatz, Tausende Menschen wurden evakuiert. Im benachbarten Schweden entgleisten zwei Waggons eines Passagierzuges, weil der Bahndamm unter den Gleisen wegen des Regens nachgegeben hatte.

„Sollte Warnung genug sein“

Schweiz: Das Schweizer Örtchen La-Chaux-de-Fonds rund 100 Kilometer südwestlich von Basel erlebte am 24. Juli innerhalb von Minuten schwere Zerstörung: Nach vorläufigen Messungen handelte es sich um die mit 217 Kilometern pro Stunde schwerste je gemessene Orkanböe in der Schweiz. Zwei Drittel der 7500 Gebäude in der Umgebung nahmen laut kantonaler Gebäudeversicherung Schaden.

Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Extremereignisse wegen des Klimawandels stark gehäuft, intensiviert und global aufträten, erklärt Daniela Domeisen, Professorin für Atmosphärische Prozesse und Vorhersagbarkeit, angesichts der gehäuften Wetterextreme in diesem Sommer.

„Dies ist eine weitere Bestätigung, dass die Vorhersagen der Klimamodelle Bestand haben, und sollte Warnung genug sein, den Klimawandel so stark wie aktuell noch möglich zu beschränken.“