Wahlkreis 196 Drei gegen Maaßen

Reizfigur: Hans-Georg Maaßen – hier bei einer Waldbegehung im Kreis Hildburghausen mit einer Bürgerinitiative gegen Windräder – sorgt inzwischen im rot-rot-grünen Lager für Überlegungen, ihm mit einem gemeinsamen und damit starken Gegenkandidaten den Weg in den Bundestag zu verbauen. Foto: /Bastian Frank

Für viele im rot-rot-grünen Lager ist Hans-Georg Maaßen jemand, der einfach nicht in den Bundestag gehört. Wenn drei Parteien ihm in Südthüringen einen einzigen Kandidaten entgegensetzen, könnte der den CDU-Mann besiegen: Diese Idee kursiert bis nach Berlin. Die jüngste Forsa-Umfrage war Teil dieser Überlegungen.

 
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Wer den tieferen Sinn verstehen will, der muss blättern. Oder telefonieren. Dann erschließt sich, warum eine bundesweit aktive Organisation für politische Kampagnen namens Campact vor einigen Wochen eine Studie bei den Meinungsforschern von Forsa in Auftrag gegeben hat, die die politische Stimmung im Bundestagswahlkreis 196 vermisst.

Die Menschen hier bewegt derzeit vor allem die Coronakrise. Dass jeder Zweite, der in Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg lebt, der CDU oder der AfD zuneigt, ist ein weiteres Ergebnis. Und dass der SPD-Kandidat für das Direktmandat, Frank Ullrich, derzeit die besten Chancen hat, von der relativen Mehrheit der Menschen im September als Vertreter der Region nach Berlin entsandt zu werden. Vor allem, weil der CDU-Bewerber Hans-Georg Maaßen einen Rechtsaußen-Kurs fährt, der auch im CDU-Milieu umstritten ist.

Wer verstehen will, warum sich Campact für diesen Wahlkreis interessiert, der muss auf die Seite 14 der Umfrage blättern. Dort steht: „Kandidatenpräferenzen bei einem gemeinsamen Kandidaten der SPD und Linken.“ Ein Telefonat mit Felix Kolb, geschäftsführender Vorstand von Campact, bringt Klarheit. Er sagt Sätze wie: „Maaßen ist hochproblematisch und demokratiezersetzend.“ Oder: „Herr Maaßen ist nicht irgendjemand, er ist potenziell die zentrale Brücke von der CDU ins rechtsextreme Verschwörungsmilieu.“

Das sind Einschätzungen, die für ihn und seine Organisation der Grund dafür sind, einen gemeinsamen Kandidaten von Linken, SPD und Grünen zu fordern. Der soll verhindern, dass Maaßen – der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz – für die CDU in den Deutschen Bundestag einzieht.

Denn es ist so: Anders als bei Kommunalwahlen gibt es keine Stichwahlen. Wer die meisten Erststimmen hat, gewinnt – auch wenn er selber nur 30 Prozent und seine erbitterten Gegner 51 Prozent erhielten. Diese Mehrheit nützte nichts, wenn sie sich auf mehrere Bewerber aufteilt.

Sich auf einen Erststimmen-Wahlaufruf für einen Bewerber einigen, der Stimmen aus einem Spektrum einsammelt, statt sie zu zersplittern: Bei Bürgermeisterwahlen ist das oftmals üblich, bei Direktkandidaten für den Bundestag aber ungewöhnlich. Denn schließlich kämpfen hier Wahlkreisbewerber auch für ihre Partei und deren Zweitstimmen.

Trotzdem hat es für den Wahlkreis 196 derartige Versuche schon seit geraumer Zeit in Berliner und Thüringer Politikzirkeln gegeben. Gespräche soll es da gegeben haben, auch die eine oder andere Kurznachricht. Das bestätigen Bundestags-Fraktionsleute aus mehreren Parteien, bei einer war gar die Spitze informiert. Doch wer genau wann mit wem über was gesprochen oder geschrieben hat, dazu gehen die Darstellungen so weit auseinander, dass sich kein klares Bild ergibt.

Unklar ist auch, ob diese Gespräche jemals über den Status vager Überlegungen hinausgekommen sind. Die offizielle Linie in den Reihen von Linken und SPD dazu ist deshalb die, die die Thüringer SPD-Vizevorsitzende Diana Lehmann ausgibt. Auf die Frage, ob es Gespräche über die Aufstellung eines gemeinsamen Anti-Maaßen gegeben hat, antwortet sie mit einem Wort: „Nein.“ Nachfrage: „Gibt es solche Gespräche derzeit?“ Antwort: „Es gibt keine Gespräche für eine gemeinsame Kandidatur zwischen den drei Parteien.“

Was aber immer wieder anklingt, ist die Darstellung, dass Campact in den Gedankenspielen um einen rot-rot-grünen Gegenkandidaten zu Maaßen mehrfach als Antreiber aufgetreten ist. Das bestätigt auch Kolb.

Seit etwa Anfang Mai, sagt Kolb, beschäftige man sich in seiner Organisation intensiver mit Südthüringen. Seine Organisation habe das Gespräch mit Vertretern von SPD, Linken und Grünen gesucht, um auszuloten, ob es einen gemeinsamen Weg geben könnte. Denn viele Campact-Mitglieder und -Sympathisanten hielten die Bewerbung Maaßens um ein Bundestagsmandat für hochproblematisch. Jedoch waren diese Gespräche offenbar deutlich schwieriger, als Kolb und andere in seinem Umfeld das erwartet hatten. „Als klar war, dass es kein Selbstläufer wird, wollten wir mit dieser Umfrage ein bisschen nachhelfen“, sagt er.

Der Sinn der Umfrage – die eigentlich noch geheim bleiben sollte, aber am Montagabend durch einen Bericht unserer Zeitung öffentlich wurde – ist also ziemlich simpel: Sie sollte die Stimmung im Bundestagswahlkreis 196 analysieren und ausloten, welche Chance ein gemeinsamer rot-rot-grüner Kandidat im politischen Wettstreit mit Maaßen hätte – in der Hoffnung, dass diese Chance vom Umfrageergebnis bestätigt würde. Und dass deshalb Linke, SPD und Grüne zur Wahl des aussichtsreichsten Bewerbers aufrufen würden.

Auf Seite 14 der Auswertung zeigt sich nun – bei aller Vorsicht, mit der man Umfragen begegnen muss, zumal an solche mit politischem Auftraggeber –, dass sich zumindest der erste Teil der Hoffnungen von Campact erfüllt hat. „Würden sich SPD und Linke auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen – Ullrich oder Witt – würden sich die Chancen für Ullrich deutlich, die für Witt etwas verbessern“, heißt es in der Auswertung der Studie. Mit Witt ist der Linken-Direktkandidat Sandro Witt gemeint. Die Grünen-Kandidatin Stephanie Erben wurde in der Umfrage nicht berücksichtigt, weil sie zum Befragungszeitpunkt noch nicht nominiert worden war. Realistisch gilt aber: Grünen-Direktkandidaten sind in Südthüringen traditionell chancenlos.

In Zahlen betrachtet, sieht diese Chancenverteilung so aus: Würde Witt als gemeinsamer rot-rot-grüner Mann antreten, könnte Maaßen nach der aktuellen politischen Stimmung mit 22 Prozent der Erststimmen rechnen, Witt mit 24 Prozent. Setzen alle Rot-Rot-Grünen auf Frank Ullrich, würden sich für Maaßen 20 Prozent entscheiden, für Ullrich aber 34 . Die Anwärter der FDP, Gerald Ullrich, und der AfD, Jürgen Treutler, hätten in keiner Berechnung eine Chance auf das Direktmandat.

Kolb kommentiert diese Stimmungslage am Telefon so: „Ullrich hat einfach eine Anschlussfähigkeit in der Gesellschaft, die Witt nicht hat. Ich kann gar nicht beurteilen, warum das so ist und auch nicht, ob das fair ist, aber so ist die Lage.“

Der DGB-Gewerkschafter Sandro Witt steht auch innerhalb seiner Partei links, sein Auftreten als Arbeiterkind mit Punkfrisur unterstreicht das. Vom respektierten und beliebten Ex-Olympiasieger Frank Ullrich war bis vor wenigen Jahren noch gar nicht allgemein bekannt, dass er den Sozialdemokraten zuneigt.

Ob sich die Hoffnungen von Kolb erfüllen, ist dennoch offen. Denn auch wenn die Umfrage deutlich macht, dass Maaßen im Duell gegen Ullrich kaum eine Chance hätte, ist es alles andere als sicher, ob die Grünen, vor allem aber die Linken diesen Schritt zu gehen bereit wären.

Vielmehr hüllt man sich vor allem bei den Linken in Schweigen. Er wolle im Moment weder die Umfrageergebnisse kommentieren, noch wolle er etwas dazu sagen, ob er bereit wäre, auf seine Bundestagskandidatur zu verzichten, sagt Witt.

In der SPD hält man sich mit Bewertungen auffällig zurück. Wohl auch, um die Chancen auf eine Einigung nicht völlig zunichte zu machen. So freut sich Lehmann zwar für die Sozialdemokraten öffentlich über die Zustimmungswerte. „Das bestätigt uns darin, dass wir mit Frank Ullrich einen sehr, sehr guten Kandidaten vor Ort gefunden haben“, sagt sie. Im Wahlkampf wolle man seinen Vorsprung nun weiter ausbauen. Doch auf die Frage, ob das Umfrageergebnis vielleicht doch zu Gesprächen motiviert, herrscht auch bei ihr nur Schweigen.

Einzig die Grünen geben sich betont offen für Kooperationen mit dem Ziel, Maaßen zu verhindern. „An uns soll das nicht scheitern“, sagt Grüne-Landessprecherin Ann-Sophie Bohm – wenngleich neben einem Dreier-Kandidaten noch andere Formen der Zusammenarbeit denkbar seien. Eine Vorab-Bereitschaft, Erben zurückzuziehen, gebe es auch bei den Grünen nicht, sagt Bohm, obgleich man intern bereits über eine rot-rot-grüne Kandidatur diskutiert habe, „weil wir uns schon der Verantwortung bewusst sind, die wir in diesem Wahlkreis haben“.

Einigermaßen sicher dagegen darf man sich nur in zweierlei Hinsicht sein. Erstens: Dass Maaßen es als Genugtuung empfinden und auch politisch ausnutzen wird, dass er für das bundesweite rot-rot-grüne Milieu eine solche Reizfigur ist, dass sich manche dort so viel Mühe geben, ihn zu verhindern.

Zweitens: Campact wird die „Drei gegen Maaßen“-Idee nicht aus den Augen verlieren. „Es ist jetzt Aufgabe von Linken, SPD und Grünen, eine Lösung zu finden“, sagt Kolb. Er merke, dass viele Menschen in den Reihen von Campact der mögliche Einzug Maaßens in den Bundestag umtreibe. Sollte sich dieser Eindruck weiter bestätigen, könne man sich mittelfristig sehr wohl noch einiges vorstellen: „Wenn das so ist, wird diese Umfrage sicher nicht unsere letzte Aktion gewesen sein.“

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