Artem (28) aus der Ukraine ist regelrecht begeistert. „Es ist wundervoll“, sagt er. Mit seiner Freundin Karin sei er zum ersten Mal in der Türkei und froh, dass sie sich dazu entschieden haben, während des Lockdowns zu kommen. Dadurch sei einfach weniger los. „Es ist ein Segen, weil wir herumlaufen können wo wir wollen, die ganzen Sehenswürdigkeiten besichtigen und alle Fotos machen können“, sagt er. Er verstehe aber, dass das bei den Türken nicht unbedingt gut ankomme.
Hinter der umstrittenen Regelung steht der Versuch der Regierung unter dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die hohen Fallzahlen in den Griff zu bekommen und die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft zu schonen. Die tägliche Zahl der Neuinfektionen lag noch Mitte April bei mehr als 60 000 Fällen in dem Land, in dem etwa gleich viele Menschen leben wie in Deutschland. Kritiker warfen Erdogan vor, die Situation selbst verschuldet zu haben, unter anderem weil er Parteikongresse in vollgepackten Hallen abhielt. Inzwischen sinken die Fallzahlen wieder und lagen nach offiziellen Angaben zuletzt bei unter 20 000 täglich. Erdogan will die Zahl auf unter 5000 Fälle pro Tag drücken.
Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und war im vergangenen Jahr um rund 70 Prozent eingebrochen. Die Bevölkerung leidet ohnehin schon unter der hohen Inflation von rund 17 Prozent. Vor allem Lebensmittel werden immer teurer. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Metropoll von April gaben rund 27 Prozent der Befragten an, mit ihrem Einkommen ihre Grundbedürfnisse nicht decken zu können.
Außenminister warb für Sommerurlaub
Vergangene Woche hatte der türkische Außenminister bei einem Besuch in Berlin eindringlich bei den Deutschen für Sommerurlaub in der Türkei geworben. Jeden, den Touristen zu Gesicht bekommen könnten, werde man bis Ende Mai impfen, versprach Mevlüt Cavusoglu - und löste damit gleich noch mehr Frustration aus. Die Impfkampagne in der Türkei startete mit schnellem Tempo, verläuft aber inzwischen schleppend.
„Wir fühlen uns schon manchmal wie Flüchtlinge in unserem eigenen Land“, sagt Durukan (23), der auf der Galata-Brücke Tickets für Stadtrundfahrten verkauft. Viele hätten das Gefühl, dass die eigenen Bürger nicht ernst genommen würden. Der Ausnahmeregelung für Touristen steht er gespalten gegenüber. „Wenn es diese Sonderregelung nicht geben würde, wäre ich arbeitslos, aber für unsere Gesundheit ist das natürlich gar nicht gut“, sagt er. Etwa sei für 15 Länder die Pflicht, bei der Einreise einen negativen PCR-Test vorzulegen, aufgehoben worden. Der Lockdown sei aber ohnehin ungerecht. Es gebe viele Ausnahmeregelungen. Wer jemanden bei den Behörden kenne, erhalte zudem leicht eine Genehmigung, um sich frei zu bewegen.
An der Fährstation in Karaköy wirft ein Kellner Fisch auf den Grill, obwohl weit und breit niemand zu sehen ist. Deutsche habe er schon lange nicht mehr gesehen, aber Iraner und Ukrainer, sagt er. Viel sei nicht los. An der Ausnahmeregelung für Touristen störe er sich nicht, er unterstütze den Lockdown, sagt er. Auch auf Erdogan lasse er nichts kommen. „Gott segne ihn.“ Zwar sei die Unterstützung nicht üppig, aber der Staat kümmere sich, betont er.
Ticket-Verkäufer Durukan sieht das anders. Seiner Familie ging es finanziell gut, aber für viele sei die Hilfe nicht ausreichend, kritisiert er. Die Kluft im Lockdown verlaufe im Endeffekt nicht zwischen Touristen und Einheimischen, sondern wie so oft zwischen denen, die Geld und Beziehungen hätten und denen, die arm seien.