Thüringen Die Stadt, das Gewehr und die Emire

Der sensationelle Sturmgewehr-Großauftrag für Haenel in Suhl richtet den Blick auf die Hintergründe der Militärwaffenproduktion in der Region und in Deutschland.

 
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Wer und was stecken hinter dem Millionenauftrag der Bundeswehr für 120.000 Sturmgewehre an die Suhler Firma Haenel. Eine Spurensuche in Fragen und Antworten.

Wie kam die Militärwaffenherstellung wieder nach Suhl?

Die Jahrhunderte lange Tradition militärischer Waffenproduktion in Suhl/Zella-Mehlis fand nach 1990 nur ein vorläufiges Ende. Als ein Nachfolgebetrieb des Suhler Fahrzeug- und Jagdwaffenkombinats etablierte sich unter dem seit 1898 durchgängig in Suhl präsenten Markennamen Merkel ein industrieller Hersteller mit einer stets dreistelligen Zahl an Beschäftigten. Das Alleinstellungsmerkmal: Serienproduktion von Jagd- und Sportwaffen in Suhler Büchsenmachertradition. Nach der Übernahme durch den arabischen Schusswaffenhersteller Caracal im Jahr 2007 wurde Merkel zum reinen Jagd-Spezialisten. Um diese Marke nicht zu beschädigen, lagerte Caracal die Geschäfte mit Sportlern, Militär und Polizei aus und belebte dafür die seit 1990 nicht mehr aktive Marke C. G. Haenel wieder.

Haenel steht geschichtlich vor allem für das "Sturmgewehr 44" von Hugo Schmeisser, mit dem die Wehrmacht ihre Soldaten in die aussichtslosen Schlachten des letzten Weltkriegsjahrs schickte. Auf diese Nazi-Tradition bezieht sich die Caracal-Tochter ausdrücklich. Den ersten militärischen Nachkriegs-Erfolg feierte Haenel mit dem Auftrag für 115 teure Scharfschützengewehre (G29), die die Suhler Firma ab 2016 für die Bundeswehr fertigte. Spätestens seitdem ist Haenel beim deutschen Verteidigungsministerium und den Armeen der Welt wieder ein Begriff.

Wer steckt hinter dem Firmenduo Merkel/Haenel?

Beide Unternehmen befinden sich im Eigentum von Caracal. Die Firma mit Sitz in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) gehört zum dortigen staatlichen Rüstungskonzern Edge. Dessen riesige Produktpalette deckt von der Patrone über Pistolen, Bomben, Granaten, Raketen, Drohnen, elektronische Waffen, Schiffe, Panzerfahrzeuge, Satellitentechnik bis hin zu Katastrophenschutz, Beratung und Ausbildung nahezu sämtliche Bereiche moderner Kriegsführung ab. Caracal ist im Konzern für das Spezialgebiet Kleinwaffen zuständig, die in Abu Dhabi, in Suhl und im US-Bundestaat Idaho produziert werden, in eigenständigen Unternehmen unter den rechtlichen Bedingungen des jeweiligen Landes.

Der Edge-Konzern ist Teil der Strategie der Emirate, sich für die Nach-Erdöl-Zeit als weltweit gefragter Technologiestandort zu etablieren. Es gab auch zivile Projekte dieser Art, was unter anderem zu einem - am Ende gescheiterten - zeitweisen Einstieg des Staatskonzerns Masdar in die Solarzellenproduktion in Ichtershausen (Ilm-Kreis) führte.

Konzernchef des Edge-Militärkomplexes ist Faisal Al-Bannai. Der Sohn eines Dubaier Polizeigenerals machte einst aus einem Telekom-Start-up einen großen arabischen Mobilfunk-Anbieter und wurde später als Gründer eines IT-Sicherheitsunternehmens mit dunklen Verbindungen zu internationalen Geheimdiensten bekannt.

Wird Südthüringen damit zum Waffenexporteur?

Möglicherweise. Jedenfalls böte die Einbindung in den arabischen Konzern beste unternehmerische Voraussetzungen dafür. Die in den Emiraten ansässigen Edge-Konzernteile haben offenkundig keinerlei Probleme damit, ihre Rüstungsgüter an alle möglichen Länder zu verkaufen, auch in Kriegsgebiete. Ausdrücklich werden viele Produkte damit beworben, sie seien schlachtfeldtauglich und in der Praxis kampferprobt. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind selber am Krieg gegen die Huthi-Rebellen im Jemen beteiligt und haben dort nachweislich auch deutsche Waffenteile eingesetzt.

Allerdings ist klar: Unabhängig von den Eigentümern ist Haenel wie jede andere deutsche Firma den heimischen Rüstungsexport-Regeln unterworfen, bräuchte also das Okay der Bundesregierung und müsste auch in der Öffentlichkeit dafür geradestehen.

Aktuell könnte das Exportthema werden, wenn sich das Sturmgewehr MK 556 beim deutschen Militär praktisch bewährt. Gerade viele kleinere Nato-Staaten werden das genau beobachten und den Vergleich mit Frankreich ziehen, das seine Soldaten im Moment ebenfalls mit neuen Sturmgewehren ausrüstet - und zwar mit solchen von Heckler & Koch. Je besser die Suhler Qualitätsarbeit, desto größer also die Chance, dass erstmals seit 1945 wieder Südthüringer Militärwaffen im Ausland eingesetzt würden.

Was hat Heckler & Koch mit dem Suhler Standort zu tun?

Der Suhler Sieg im Bieter-Wettrennen mit den Schwarzwäldern von Heckler & Koch (HK) ist nicht nur deshalb etwas Besonderes, weil hier der Kleine den Großen bezwang. HK selbst war zwischen 2003 und 2007 Eigentümer von Merkel und hatte für Wachstum bei Umsatz und Mitarbeiterzahl gesorgt. Der damals aus Oberndorf entsandte Geschäftsführer Olaf Sauer ist bis heute Chef von Haenel und Merkel. Beide Konkurrenten dürften sich also auch im Innenleben des anderen etwas auskennen. Und auch Heckler & Koch gehört ausländischen Investoren, in diesem Fall einer luxemburgischen Holding, hinter der wiederum ein Franzose mit Kapitalgebern von der Karibikinsel Barbados steht.

Für HK, die seit 1959 quasi als Hoflieferant der Bundeswehr galten, dürfte der Verlust des Sturmgewehr-Auftrags auch deshalb schmerzhaft sein, da das Unternehmen mit knapp 1000 Mitarbeitern immer noch an den Folgen verlustreicher Jahre zu knabbern hat. Hinzu kommt, dass Heckler & Koch immer bekannt dafür war, starke Lobbyisten zu beschäftigen, etwa Ex-Bundeswehr-Offiziere, die Einfluss auf Entscheidungen in Berlin nehmen. Diesmal wohl ohne Erfolg.

Was war ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten Haenels?

Der Preis. Wie die "Süddeutsche Zeitung" aus Bundestagskreisen erfuhr, sollen beide Angebote technisch "nahe beieinander" gewesen sein. Auf eine Lebensdauer von 30 Jahren gerechnet sollen die 120.000 geplanten Gewehre bei Haenel um 52 Millionen Euro billiger zu haben sein. Wie dieser Niedrigpreis bei Haenel zustande kam? Schwierig zu sagen. Fakt ist, dass die Profitmargen in der Kleinwaffenbranche generell als eher niedrig gelten. Insider spekulieren darüber, dass Caracal gar keinen Gewinn einkalkuliert, sondern den Auftrag als Investition in den Einstieg in den europäischen Armee-Markt sieht. Also kräftig Geld aus Abu Dhabi zuschießt, damit Heckler & Koch unterboten werden konnte. Aber keiner weiß, wie es wirklich war.

Wie kann Haenel eine solche Menge an Gewehren liefern?

Das fragen sich Laien wie Fachleute gleichermaßen. Aus dem Unternehmen sind darüber keinerlei Informationen zu bekommen. Offiziell beschäftigt Haenel, Stand 2018, gerade einmal neun Mitarbeiter bei sieben Millionen Euro Jahresumsatz. In der Praxis dürfte man etliche der 133 Merkel-Angestellten in der gemeinsamen Fabrik an der Schützenstraße 26 hinzuzählen können. Aber ob es reicht, eine solche Menge an Gewehren nebst dem ebenfalls zu liefernden Zubehör zu fertigen? Experten halten es für ausgemacht, dass etliche Teile zugekauft und vor Ort nur montiert werden. Kämen Zulieferungen aus dem Ausland, etwa von anderen Edge-Standorten, wären möglicherweise Importbeschränkungen zu beachten. Ungeachtet dessen trauen viele Haenel die Umsetzung des Auftrags nur mit aktiver Unterstützung des Mutterkonzerns zu. Jedenfalls sind in Abu Dhabi nicht nur viele Niedriglohnkräfte aus Indien und Pakistan vorhanden, sondern auch Büchsenmacher, die mit der Suhler Waffentradition vertraut sind. In einem eigens aufgelegten Gast-Programm hatten junge Männer aus den Emiraten an der Suhler Büchsenmacherschule ihre Ausbildung absolviert.

Vor Ort im Thüringer Wald wäre die Rekrutierung neuer Fachkräfte schwierig, so wie in der gesamten Metallbranche. Schon in der Vergangenheit warb Merkel/Haenel-Chef Olaf Sauer auf Ausbildungsmessen der Region um Nachwuchs.

Wie kommt ein Militärwaffenhersteller nach Suhl?

Nach Angaben von Geschäftsführer Olaf Sauer kam der Kontakt zustande, als eine Caracal-Delegation aus Abu Dhabi einmal die Merkel-Produktion auf dem Friedberg besichtigte. Kunden aus den Emiraten waren schon vor der Übernahme nichts Ungewöhnliches für Suhler Büchsenmacher. Viele reiche Scheichs geben viel Geld für edle Schusswaffen aus, sie gelten als Statussymbol. Und nicht nur wegen der Waffen reicht der Suhler Ruf bis an den Persischen Golf. Es geht die Sage, dass ein Kunde aus Abu Dhabi einst sein individuelles Exemplar persönlich abholte - zur vollsten Zufriedenheit. Bei einer Angelpartie mit dem damaligen, inzwischen verstorbenen St. Kilianer Bürgermeister Willi Büttner soll der Wüstenstaat-Bewohner dann auch von all dem Wasser und Wald rund um die Gewehrfabrik restlos begeistert gewesen sein.

Die Haenel-Fabrik soll eigentlich in Schleusingen stehen und nicht in Suhl. Wie das?

In der Tat befinden sich Firmensitz und Werksgelände der C. G. Haenel GmbH auf dem Gebiet der Stadt Schleusingen, im dörflichen Ortsteil Hirschbach, der 2018 eingemeindet wurde. Das liegt daran, dass das Gewerbegebiet Friedberg einst gemeinsam von der Stadt Suhl und der damaligen Gemeinde St. Kilian (Kreis Hildburghausen) eingerichtet wurde. Einige Grundstücke, so das der Waffenfabrik, liegen wenige Meter jenseits der Suhler Stadtgrenze. Was bedeutet, dass auch die Gewerbesteuereinnahmen von Merkel und Haenel in die Schleusinger Stadtkasse fließen. Allzu riesige Beträge sind das aber nach Angaben des Schleusinger Bürgermeisters André Henneberg bisher nicht.

Nach außen verkaufen sich Haenel und Merkel natürlich nicht als Hirschbacher, sondern als Suhler Unternehmen, alles andere wäre wegen der untrennbar mit Suhl und Zella-Mehlis verbundenen Waffentradition auch unvernünftig. Und auch Postadresse und Telefonnummer lauten auf Suhl.

Wie geht es nun weiter?

Wie bei jeder öffentlichen Auftragsvergabe kann der Unterlegene versuchen, rechtlich gegen die Entscheidung vorzugehen, etwa, weil bestimmte Regeln nicht eingehalten wurden. Heckler & Koch haben genau das bereits angekündigt. So oder so wird der Vertrag erst wirksam, wenn der Bundestag zustimmt. Dies soll nach Angaben des Verteidigungsministeriums noch in diesem Jahr geschehen. Und auch im Parlament könnte es noch mal Diskussion um das Suhler Schießgewehr mit arabischem Hintergrund geben. Bei den Bundestags-Grünen wurde bereits die Forderung laut, dass vor einem Ja zu MK44 erst mal alle Auswahlkriterien offengelegt werden.

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