Dresden - Trillerpfeifen-Konzert und aggressive Stimmung: Mehrere hundert Menschen haben die geladenen Politiker beim Empfang zur zentralen Einheitsfeier in Dresden lautstark beschimpft. Die Demonstranten, vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses, riefen am Montag vor dem weiträumig abgesperrten Verkehrsmuseum «Volksverräter», «Haut ab» und «Merkel muss weg». Auch Trillerpfeifen ertönten.

Zu den Demonstranten gehörte auch der Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann. Augenzeugen sprachen von einem Spießrutenlauf für die Gäste und Politiker, die auf dem Weg zu den Feierlichkeiten waren. Die Frau des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) brach in Tränen aus, als sie durch die aufgebrachte Menge ging. Ein dunkelhäutiger Mann, der zum Gottesdienst wollte, wurde mit «Abschieben»-Rufen empfangen.

Pöbelnde Demonstranten haben die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit in Dresden gestört. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach am Montag trotzdem von einem Tag der Freude und Dankbarkeit und rief zu gegenseitigem Respekt auf. Bundestagspräsident Norbert Lammert warb beim Festakt in der Semperoper für ein weltoffenes, vielfältiges und optimistisches Deutschland. «Wir leben in Verhältnissen, um die uns fast die ganz Welt beneidet», sagte er.

Die Kanzlerin, Bundespräsident Joachim Gauck und andere Gäste wurden vor dem Festakt von mehreren hundert Demonstranten beschimpft und angepöbelt, darunter vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses. Sie riefen «Volksverräter», «Haut ab» und «Merkel muss weg». Auch Trillerpfeifen ertönten. Die Frau des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) brach in Tränen aus, als sie durch die aufgebrachte Menge ging.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) als Bundesratspräsident empfing die hochrangigen Gäste am Morgen vor dem Verkehrsmuseum mitten in der historischen Altstadt, wo sie sich in das Goldene Buch der Stadt eintrugen. Anschließend gingen sie in die Frauenkirche zum Ökumenische Gottesdienst. Am Mittag stand der offizielle Festakt in der Semperoper an.

Nach dem Festakt nahmen 4000 bis 5000 Menschen an einem Pegida-Aufmarsch quer durch die Stadt teil, unter ihnen erkennbar zahlreiche Neonazis. Zu Zusammenstößen mit Gegendemonstranten kam es dabei nicht. Die Feiern fanden unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. 2600 Polizisten waren im Einsatz. «Um Zugang der Ehrengäste zu den Protokollveranstaltungen am Neumarkt zu gewährleisten, mussten Personen zurückgedrängt werden», teilte die Polizei am Montag via Twitter mit.

Merkel ging in einer kurzen Stellungnahme am Rande des Festaktes nicht direkt auf die Störer ein, rief aber zur Dialogbereitschaft auf. 26 Jahre nach der Wiedervereinigung gebe es neue Probleme, sagte sie. «Und ich persönlich wünsche mir, dass wir diese Probleme gemeinsam, in gegenseitigem Respekt, in der Akzeptanz sehr unterschiedlicher politischer Meinungen lösen und dass wir auch gute Lösungen finden.»

Nach einem ökumenischen Gottesdienst in der Dresdner Frauenkirche fand die zentrale Feier in der Semperoper statt. Die Festrede hielt Bundestagspräsident Lammert, der von den Deutschen vor allem mehr Selbstbewusstsein, Optimismus und Zufriedenheit mit dem Erreichten verlangte. «Das Paradies auf Erden ist hier nicht. Aber viele Menschen, die es verzweifelt suchen, vermuten es nirgendwo häufiger als in Deutschland», sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die hunderttausenden Flüchtlinge im Land.

Lammert monierte, dass die Deutschen das Bild ihres eigenen Landes viel zu negativ zeichneten. «Wir können und dürfen durchaus etwas mehr Selbstbewusstsein und Optimismus zeigen», sagte er. Deutschland könne sich «durchaus eine kleine Dosis Zufriedenheit» erlauben, wenn nicht sogar ein Glücksgefühl. Das heutige Deutschland sei sicher nicht perfekt, aber in besserer Verfassung als je zuvor.

Für Aufsehen sorgte, dass die Versammlungsauflagen nicht wie üblich vom Veranstalter, sondern von einem Sprecher der Polizei verlesen wurden. Der Polizeisprecher begründete dieses Vorgehen mit einem Defekt an der Lautsprecheranlage von Pegida und betonte, er mache das «gerne». Am Ende seiner Durchsage erklärte der Polizist vor mehreren tausend Pegida-Anhängern: «Wir wünschen einen erfolgreichen Tag für Sie!» Dafür erhielt er lautstarken Applaus, und die Menge skandierte: «Eins, zwei, drei, danke Polizei!»

Die sächsische Polizei hat sich von der Durchsage des Kollegen distanziert. Diese Äußerung «entspricht nicht unserer Philosophie und wird einer Überprüfung unterzogen», erklärte die Polizei am frühen Montagabend.

Auf Transparenten wurden Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Rücktritt aufgefordert. «Frau Merkel, treten sie mit erhobenem Hauptes zurück, bevor man sie endgültig in die Wüste zum Sandkörnerzählen schickt», hieß es wörtlich auf einem Plakat.

Parallel dazu beteiligten sich unter der Elbbrücke «Blaues Wunder» etwa 250 bis 300 Menschen an einer Demonstration des rechten Bündnisses «Festung Europa». Auf der Elbbrücke versammelten sich etwa genauso viele Gegendemonstranten, die für ein offenes und buntes Dresden warben. Zunächst blieb alles friedlich.

Bereits am Sonntag sorgten ein Brandanschlag auf drei Polizeifahrzeuge sowie Pöbeleien gegen Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) für Aufregung. Vor einer Woche hatten Unbekannte Sprengstoffanschläge auf eine Moschee und das Kongresszentrum verübt, wo am Montagnachmittag der Empfang des Bundespräsidenten stattfand. Merkel traf am Montag am Rande der Feierlichkeiten die Familie des Imams der Moschee. dpa

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