Studie zum 9. November War da was?

Eike Kellermann
Mit Wunderkerzen in den Händen feiern die Menschen am 10. November 1989 auf der Berliner Mauer die Öffnung Foto: picture-alliance/ dpa/DB dpa

Sektrausch, Jubel, Mauerfall: Der 9. November 1989 war ein deutscher Freudentag. Vielen, vor allem im Westen, ist das historische Datum, das auch viele andere Jahre kenn, jedoch fremd. Eine Stiftung schlägt Alarm.

 
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Suhl/Berlin - Der Westen hat Nachholbedarf in der jüngeren deutschen Geschichte. Das zeigt eine von der Bundesstiftung Aufarbeitung in Auftrag gegebene Umfrage zum Geschichtswissen der Deutschen. Bei der von Forsa erstellten repräsentativen Befragung wurden die 1.003 Teilnehmer gefragt, was sie spontan - also ohne jede Vorgabe - mit dem Datum 9. November verbinden.

Am häufigsten wurde mit 31 Prozent der Mauerfall 1989 genannt, von Frauen mit 32 Prozent noch etwas häufiger als von Männern mit 29 Prozent. Große Unterschiede zeigten sich zwischen Ost und West. Während mit 48 Prozent fast die Hälfte der ostdeutschen Befragten den von der legendären Schabowski-Pressekonferenz eingeleiteten Mauerfall nannte, waren es unter den Westdeutschen nur 27 Prozent.

Die größte Gruppe freilich war die der Unwissenden. Der Hälfte der Befragten fiel zum 9. November spontan nämlich nichts ein. Vielleicht liegt das an einer Art Prüfungseffekt, der einen hilflos verstummen lässt. Beim ersten kleinen Hinweis würde man sich an die Stirn klopfen und ausrufen: Na klar. Vielleicht ist es aber auch schlicht historisches Desinteresse oder fehlende Bildung, was ja wiederkehrend beklagt wird.

„Die Umfrage mahnt an, im Geschichtsunterricht wenigstens zu den Wegmarken der Diktatur und Demokratie in Deutschland ein solides Grundwissen zu vermitteln“, sagt die Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung, Anna Kaminsky. Der 9. November ist für Deutschland schließlich fast so etwas wie ein Schicksalstag. Doch von den beiden anderen, früheren, Ereignissen wussten die Befragten noch weniger.

13 Prozent nannten, wobei Mehrfachnennungen möglich waren, die Reichspogromnacht 1938 - sieben Prozent Ost, 14 Prozent West. Die Ausrufung der ersten deutschen Republik am 9. November 1918 fiel drei Prozent ein, gleichermaßen aus Ost und West. Fälschlicherweise nannten sechs Prozent (1 Ost, 7 West) den Terroranschlag 2001 auf das World Trade Center in New York, der sich jedoch am 11. September ereignete.

Je jünger jemand ist, desto weiter weg ist für ihn die Geschichte. Was die allgemeine Lebenserfahrung sagt, bestätigte sich bei dieser Umfrage. So wie heutige Mittfünfziger als Jugendliche wahrscheinlich die Augen verdrehten, wenn die Großeltern von „vor 45“ erzählten, dürfte es nun den nach dem Mauerfall Geborenen gehen. Sie kennen nichts anderes als ein Deutschland. Dass da mal eine Stacheldraht-Grenze durch ging, muss ihnen so fremd vorkommen wie die Rückseite des Mondes.

So fiel nur 16 Prozent der befragten 14- bis 29-Jährigen beim 9. November der Mauerfall ein. Vier Prozent nannten die Reichspogromnacht, zwei Prozent die Ausrufung der Republik. Immerhin 13 Prozent unterlief der Denkfehler Anschlag auf das World Trade Center. In dieser Altersgruppe wussten 58 Prozent nichts mit dem Datum 9. November zu verbinden; bei den 30- bis 44-Jährigen waren es übrigens sogar 59 Prozent.

Angesichts der Umfrageergebnisse sieht Anna Kaminsky „Handlungsbedarf“. Ihr zufolge steht die Bundesstiftung in einem kontinuierlichen Austausch mit den Kultusministerien der Bundesländer, um die Geschichte der deutschen Teilung und der Diktaturen in Deutschland im 20. Jahrhundert zu regelmäßigen Prüfungsthemen zu erheben. Es gehe darum, sich mit den unterschiedlichen Dimensionen des 9. November zu beschäftigen. Das Datum, so Kaminsky, stehe mit der Reichspogromnacht sowohl für die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte als auch mit dem Mauerfall für die glücklichen Momente.

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