Auch aus Brechts Familie seien noch viele weitere in Lagern und Gefängnissen gelandet, darunter ihr Großvater Willy Bauer aus Steinbach-Hallenberg. Alle ihre Berichte seien erschütternd, aber gleichzeitig auch ermutigend für sie. „Ja, ich denke oft an ihn und all die anderen. Wir dürfen sie einfach nicht vergessen. Schließlich haben wir hier in Thüringen vor der Haustür ein echtes Mahnmal – die Gedenkstätte auf dem Ettersberg“, schreibt sie weiter.
Ein Besuch dieses Ortes verdeutliche das Leid und die Grausamkeit in ihrer Welt von Strafkompanien und Strafkommandos überaus lebendig: Schwerstarbeit, Demütigungen, Hunger, brutale Schläge auf dem Prügelbock, Baumhängen und andere unvorstellbare Qualen seien an der Tagesordnung gewesen. Eduard Bauer und Anton Baumeister überlebten das Nazi-Regime, doch die Befreiung sollte für sie nicht lange Freiheit bedeuten. Bauer heiratete nach der Befreiung die junge Liesbeth Bauroth. Sie habe als Kind bereits in der Schule und von der nationalsozialistischen Nachbarschaft viele Schikanen ertragen müssen. Mutter Emma hatte 1934 Flugblätter gegen die Verfolgung verteilt und war so ebenfalls ins Visier der Nationalsozialisten geraten. Wie Eduard sei sie 1941 ins KZ gekommen.
Im Lager Ravensbrück habe sie ihren zukünftigen Mann Willy Thiel kennengelernt, ebenfalls ein kriegsdienstverweigernder Zeuge Jehovas. Sie heirateten nach Kriegsende, bevor das Unglaubliche geschah. „DDR-Gerichte verurteilten diese Opfer des Faschismus erneut, jetzt als Angehörige einer faschistischen Organisation“, hat Anita Brecht recherchiert. Eduard Bauer sei zu sechs Jahren Zuchthaus, seine Frau Elisabeth zu vier Jahren und Brechts Großvater, Willi Bauer, zu fünf Jahren hinter den Gittern des Arbeiter- und Bauernstaates verurteilt worden. Thiel sei sogar gleich zweimal verurteilt worden: 1951 zu sechs Jahren und im Jahr 1961 zu sieben Jahren und sechs Monaten Zuchthaus.
„Wie könnte man diese Menschen vergessen? Menschen, die nicht bereit waren in Hitlers brutalen Krieg zu ziehen und auf Mitmenschen zu schießen. Vor so viel gelebter Courage, Moral und Friedfertigkeit scheinen sich autoritäre Führer offensichtlich noch immer zu fürchten. Mit dem Erinnern in Gedenkstätten und im öffentlichen Leben werden wir selbst zu Zeugen dieser Zeitzeugen“, schließt Anita Brecht ihr Schreiben mit Bezug auf ein Zitat des Holocaust-Überlebenden, Elie Wiesel, das er am 11. April zum Jahrestag der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora geäußert habe.