Schmalkalden „Computereuphorie“ griff um sich

Norbert Krah
Im Labor für Tribotechnik begrüßten Laborleiter Professor Frank Gerbig (rechts) und Direktor Norbert Krah (links) häufig Fachwissenschaftler aus dem In- und Ausland, wie hier Prof. Dr. D. N. Garkunow (Moskau, Zweiter von rechts) und Prof. Dr. A. V. Chichinadze (Tiblissi/ Dritter von rechts) sowie Prof. Dr. G. Polzer (Zwickau). Foto:  

Von der Königlichen Fachschule zur Hochschule Schmalkalden – Skizzen eines erfolgreichen Weges, Teil 16: In diesem Jahr begeht die Hochschule ihre 120-jährige Gründung als „Königliche Fachschule für Kleineisen-und Stahlwaren-Industrie zu Schmalkalden“. Wir stellen die Geschichte dieser höheren Bildungsstätte bis zur Gründung der Fachhochschule vor.

 
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Im vorherigen Teil dieser Serie wurde nicht die fachliche Entwicklung, sondern der Sport an der Ingenieurschule Schmalkalden – der von 1952 bis 1989 erstmals Pflichtlehrfach im DDR-Ingenieurstudium war – mit den drei Bestandteilen, Lehr- und Übungspflichtfach, Freizeitsport und Leistungssport beschrieben.

In den folgenden Teilen steht wieder die fachliche Entwicklung und Positionierung der Ingenieurschule Schmalkalden im deutschen Ingenieurschulwesen im Mittelpunkt. Es wird aber auch über studentische Freizeitaktivitäten, „I-Schul-Musikkapellen“, „I-Schul-Fasching“ und „Studentisches Feiern“ sowie fachlich externe Aktivitäten des Kollegiums berichtet, die sich für die Schmalkalder Ingenieurschule zu einem nationalen und teilweise internationalen Markenzeichen entwickelten.

Der Beginn neuer wissenschaftlicher Lehrmethoden

In den 1960er-Jahren vollzogen sich in der Lehrmethodik an der Ingenieurschule Schmalkalden wesentliche Veränderungen. Das bisher in den Lehrveranstaltungen als Lehrmethode dominierende Unterrichtsgespräch wich zunehmend den akademischen Lehrformen Vorlesungen, seminaristischen Übungen und Laborpraktika.

Besonders in den Grundlagenfächern wurden Vorlesungen vor über 60 Studenten mit zwei Seminargruppen gehalten. Außerdem gab es seminaristische Übungen in kleineren Gruppen. Es zeichnete das Lehrerkollegium aus, dass es immer bereit war, neue Lehr- und Übungsformen zu erproben, und diese, wenn sie sich bewährten, Bestandteil der Lehrmethodik werden zu lassen.

Hervorzuheben ist, dass 1967 ein erstes an einer Ingenieurschule in der DDR eingerichtetes Fremdsprachenkabinett mit Sprachregiepult, Einzelplatz-Wechselsprechfunktion und Dia-Tonbandanlage entstand. Die Fachschuldozentin Elisabeth Mangold konnte nun die russische Sprache mit modernen methodisch-didaktischen Elementen vermitteln.

Zu Beginn der 1980er-Jahre kam ein zweites Fremdsprachenkabinett für Englisch und Russisch hinzu, das von dem Dozenten Helmut Heigl und der Dozentin Karin Hammerschmidt geleitet wurde. Helmut Heigl war ein sehr begabter Simultanübersetzer, der häufig für russische und englische Simultanübersetzungen beim Besuch ausländischer Delegationen an der Ingenieurschule und in der Region tätig war.

Pilotlösungen erarbeitet

Die Ingenieurschule Schmalkalden hatte sich unter der Leitung des Direktors, Oberstudiendirektor Dr. Heinz Kolb, ab den 1960er Jahren als Ingenieurschule zur Ausbildung von Ingenieuren in der Fachrichtung Technologie, später auch in Konstruktion und Instandhaltung, fachlich und didaktisch so profiliert, dass sie sich zu einer geachteten, mit zahlreichen DDR-Pilotlösungen im laborativen und methodischen Bereich hervorgetretenen Einrichtung entwickelte. Beim Konzipieren und Präzisieren zentraler Lehrinhalte wirkte die Schule maßgeblich in den vom Minister für das Hoch- und Fachschulwesen gebildeten Zentralen Fachkommissionen in Berlin mit. Direktor Kolb war vom Minister als Vorsitzender der Zentralen Fachkommission für das Maschinenbauingenieurstudium berufen, die die Entwürfe zur Aktualisierung und Fortschreibung der Studieninhalte dem Minister unterbreitete. Weitere Schmalkalder Dozenten waren in anderen Zentralen Fachkommissionen bzw. ihren Gremien tätig und brachten dort ihre persönlichen Erfahrungen und die der Ingenieurschule Schmalkalden konstruktiv in die Gestaltung zentraler Lehrdokumente, wie Studienpläne, Lehrbücher, Lehrbriefe, u. ä., ein.

Lehrbücher und Lehrbriefe, die verbindliche Fachliteratur für alle Ingenieurschulen der DDR waren, wurden unter anderem von den Schmalkalder Dozenten Diplomingenieur Harald Eckardt, Diplomingenieur Klaus Felber, Diplomingenieur Walter Herder, Dr.-Ing. Norbert Krah, Diplomingenieur Manfred Schleifenheimer und Gerhard Volk verfasst sowie in mehrfachen Auflagen herausgegeben. Dadurch, und durch die Mitarbeit in den Zentralen Fachkommissionen des Ministers war die Ingenieurschule Schmalkalden ab dieser Zeit nicht nur sehr bekannt, sondern man berücksichtigte bis ins Ministerium die Meinungen und Erfahrungen der Schmalkalder Schule auch in fachlicher Hinsicht.

Wissenschaftlich-Produktives Studium an der Ingenieurschule

Um schon während des Studiums ingenieurmäßiges Arbeiten zu erlernen, begann 1971 eine Kommission „Wissenschaftlich-Produktives Studium“ (WPS) eine Konzeption für Fachschulen der DDR zu erarbeiten. Den Kernpunkt bildete ein wöchentlicher „Tag der Wissenschaftlich-Produktiven Tätigkeit“ (WPT). Seine inhaltliche Gestaltung wurde vom Stellvertreter des Direktors, Diplomingenieur Walter Herder, und vom Studiendirektor Gerhard Volk, zusammen mit dem für diese Aufgabe eingestellten Wissenschaftlichen Assistenten, Bernd Döll, Harald Eckardt und Günther Hoffmann, vorgenommen. Für den achtstündigen WPT-Tag mussten, von realen Praxisaufgabenstellungen abgeleitet, eine sehr große Anzahl von Aufgaben als individuelle Ingenieur-Übungen formuliert werden.

Die gewonnen umfangreichen Erfahrungen mit dem WPS gingen in den Aufbau eines neuen Pilotprojektes, in das so genannte „Ratevo-Labor“, ein. Alle Erkenntnisse aus der Praxis und der Lehre der letzten Jahre sowie die sprunghafte Entwicklung in der Technik und der Informatik in den 1980er Jahren berücksichtigend, richtete der stellvertretende Direktor Walter Herder dieses Labor mit realitätsnahen Ingenieurarbeitsplätzen für Studierende ein, wie diese in der Praxis ausgestattet sind, besser, ausgestattet sein sollten, denn in nicht allen Betrieben war die „Ingenieurtechnik“ so wie an der Ingenieurschule vorhanden.

Den Studierenden standen Ingenieur-Recherchesysteme, Bücher, Kataloge, Gerätetechnik zur Verfügung, und natürlich war auch ab 1985 die erste in der DDR verfügbare arbeitsplatzbezogene Computer-Hard- und Software vorhanden.

Es war ein „offenes Labor“, das die Studierenden auch bis in die späten Abendstunden nutzen konnten. Davon wurde reger Gebrauch gemacht. Dem Autor sind dabei Studenten wie Dagobert Mühlhaus, Hagen Ladage und Lothar Hilpert in Erinnerung, die die neueste Computertechnik teilweise bis in die frühen Morgenstunden „strapazierten“. Es herrschte damals eine regelrechte „Computereuphorie“ unter einer begeisterungsfähigen Gruppe von Studierenden.

Belegarbeiten und Aufgabenstellungen aus der Praxis von den VEB Werkzeugkombinat, Sportgeräte, Haushaltswaren u. v. w. für den externen jährlichen „Studentenwettstreit“ wurden nach der Methode der RAtionalisierung der TEchnologischen VOrbereitung“ – im Ratevo-Labor - inhaltlich und organisatorisch optimal gelöst. Das Schmalkalder Ratevo-Labor würdigte man im Hoch- und Fachschulwesen der DDR als hervorragende Pilotlösung, die man danach auch an anderen Ingenieurschulen aufzubauen versuchte.

Nachdem Dr.-Ing. Norbert Krah 1985 als Direktor berufen wurde, verstärkte dieser, auch über die vorgegebene Plangrenze hinaus, die Einstellung qualifizierter wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hilfsassistenten in diesem und anderen Labors sowie für die Lehre. Dazu gehörten vor und in dieser Zeit u.a. die Ingenieurinnen und Ingenieure Hartwig Albrecht , Hans Ahrends, Hans-Joachim Brückner, Andrea Conradi, Matthias Dick, Wolfram Friedrich, Dirk Lorenz, Ute Möller, Dagobert Mühlhaus, Sabine Peter, Steffen Reich, Uwe Römhild, Monika Schrodt, Thomas Wagner, Sabine Wahrenberg sowie junge Lehrkräfte wie u.a. Dr. Eberhard Christ, Martina Gratz, Dr. Hendrike Raßbach und Dr. Hans-Dieter Schmalz, von denen einige noch heute an der Hochschule Schmalkalden tätig sind.

Besonders der erweiterte personelle wissenschaftliche Mittelbau durch Ingenieure für Wissenschaft und Forschung, mit festen Arbeitsverhältnissen, den andere Einrichtungen sich nicht geschaffen hatten, und in der Breite auch an westdeutschen Fachhochschule so nicht vorhanden war, sollte sich für die Fortentwicklung der Ingenieurschule Schmalkalden bis zur Entscheidungsfindung für eine Fachhochschule von großer Bedeutung erweisen.

Die praxisbezogenen Forschungsergebnisse aus dem Ratevo-Labor und den anderen ingenieurfachlichen Labors mit ihren Laborleitern und Dozenten – wie die Labors für Tribotechnik, Diplomingenieur Frank Gerbig; EDV/Informatik, Diplommathematiker Bärbel Wilhelm und Dr. Gerhard Peter; Automatisierungstechnik, Diplomingenieur Alfred Friedrich; Fertigungstechnik, Diplomingenieur Dieter Graubner; Elektrotechnik, Dr. Georg Wagner; Hydraulik/Pneumatik, Dr. Manfred Bauerschmidt – waren Gegenstand von zahlreichen Fachveröffentlichungen und Vorträgen auf den nationalen Schmalkalder Fachtagungen an der Ingenieurschule mit ausländischer Referentenbeteiligung. Besonders ab 1985 wurde bis 1991 kontinuierlich die Erweiterung und Modernisierung der Laborausrüstungen mit Computern und computergestützter Technik in diesen Labors vorgenommen, aber auch in den anderen Labors für Konstruktion, Dr. Walter Lehmann und Diplomingenieur Klaus Felber; Physik, Dr. Gerhard Schüler, Diplomphysiker Adolf Svoboda und Diplomlehrerin Elfi Lachmund; Chemie, Diplomchemikerin Jutta Jung sowie Mathematik, Diplomlehrer Wolfgang Lerche.

In den folgenden Jahren wurden durch die Initiativen der Laborleiter einige Labors zu fachwissenschaftlichen Leuchttürmen, die weit über die Thüringer Region hinausstrahlten. Dazu zählte insbesondere das zum gleichnamigen Fachgebiet gehörige Labor für „Tribotechnik und Technische Diagnostik“, das Laborleiter Frank Gerbig mit der Gründung der Fachrichtung Instandhaltung ab 1974 kontinuierlich mit hohem Engagement aufbaute. Tribotechnik ist die Lehre und Forschung von Reibungs- und Verschleißminderungen.

Waren es anfänglich viele Kontakte zu Universitäten und Wissenschaftlern aus der DDR, so kamen ab Mitte der 1980er-Jahre durch die Schmalkalder Fachtagungen auch internationale Kontakte mit Kollegen aus der Sowjetunion, Polen, CSSR, Schweiz und BRD hinzu. Das Tribotechniklabor war mit seinem dazu erforderlichen Werkstofftechniklabor in seiner Vielseitigkeit ein Unikat im DDR-Ingenieurstudiumwesen, wie häufig Besucherdelegationen bestätigten.

Diplomingenieur Frank Gerbig hatte mit Unterstützung seines Fachgruppenteams, zu dem auch Diplomchemikerin Jutta Jung und die Diplomingenieure Gerhard Große, Stefan Svoboda, Hartwig Albrecht und die Laborantin Heike Frank gehörten, die Tür für dieses neue Lehr- und Forschungsgebiet in Schmalkalden aufgestoßen. Dabei konnte er auf dem gut basierten werkstoffwissenschaftlichen Studienanteil, insbesondere der Labore der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung und der Galvanoplastik-Technologie seines Vorgängers Ingenieur Hermann Fabricius sowie des Chemielabors von Diplomchemiker Kurt Reich aufbauen.

Tribotechnik und Technische Diagnostik sind auch heute noch hoch aktuelle technisch-ökologische Forschungsfelder, die es lohnt, in der Hochschulstadt Schmalkalden auf der erfolgreichen Traditionslinie von Prof. Frank Gerbig fortgeführt zu werden.

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