Premiere in Meiningen Christoph Hein ist begeistert

Regisseur Max Claessen, Christoph Hein und Jens Neundorff von Enzberg (v.l.) Foto:  

Selten war Meininger Theater auf der Bühne so nah dran an der Zeit wie bei der Uraufführung von „Guldenberg“. Christoph Hein lässt sich die Premiere nicht entgehen – und Bodo Ramelow outet sich sogar als Fan des Schriftstellers.

 
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Meiningen? Kennt er natürlich. Schon zu Ost-Zeiten sei er hiergewesen, erzählt Christoph Hein vor der Premiere. Für den Intendanten das Stichwort. Sei er nicht, fragt Jens Neundorff von Enzberg, so etwas wie ein „Chronist der Nachwendezeit“ im Osten? „Ach nein“, kokettiert da der Schriftsteller, er versuche ja nur, „ein paar Geschichten aufzuschreiben.“

Der jüngste Versuch heißt „Guldenberg“ – eine fiktive Kleinstadt, ein paar fiktive Figuren. Ereignisse, Denk- und Handlungsmuster, wie sie – und das betont der Schriftsteller am Premierenabend – überall anzutreffen seien, nicht nur im Osten. Die Inszenierung, die aus seinem letztes Jahr erschienenen Roman in Meiningen entstanden ist, hat für diesen feinen Zungenschlag kein Gespür. Sie deutet ein ostdeutsches Milieu. Dennoch zeigt sich der Schriftsteller danach berührt: „Ich bin sehr zufrieden.“ Die Sympathie gilt wohl vor allem Max Claessen, dem Regisseur. Er hatte die große Freiheit, den Prosatext zu einem Stück zu verdichten. Hein weiß nur zu gut, wie anstrengend das gewesen sein muss. Theater will nah dran sein, am Geist der Zeit. Aber seine Botschaft gilt im medialen Grundrauschen heute kaum noch etwas. Dabei ist es so einfach, teilzuhaben, zuzuschauen, sich eine Meinung zu bilden jenseits der Klick-Blasen im Netz.

In Meiningen behauptet der Autor ein wenig verbittert: Gelegenheiten, bei denen Theater politisch eingreifen könne, würden abnehmen. Verglichen mit DDR-Zeiten stimmt das. Da sei, sagt Hein, nahezu jede Premiere ein Politikum gewesen – vor allem in Berlin. Und das Publikum sei in die ersten Vorstellungen geströmt, weil es fürchtete, das Stück könnte alsbald abgesetzt werden. Fürchten muss das in Meiningen bei „Guldenberg“ niemand – natürlich nicht. Bei der Premiere blieb kaum ein Platz frei – das Publikum zeigte sich äußerst interessiert und nach den knapp zwei Stunden (die übrigens ohne Pause gespielt werden) einhellig angetan: Langer Applaus, Beifall mit den Füßen. Zumindest an diesem Abend hat es das Theater geschafft, gehört zu werden, relevant zu sein. Christoph Hein sagt aber auch: Theater verändert sich, weil sich Gesellschaft verändert, weil es das Internet gibt. Es werde – und er meint dabei wohl die Kunst als Anlass zu öffentlicher Debatte – „zurückgedrängt.“ Das Statement im Netz braucht kein Stück, weil Meinungsbildung dort kaum noch auf eigener Anschauung beruht.

Der Thüringer Ministerpräsident kam aus persönlichem Interesse zur Premiere. Für ihn war Meiningen an diesem Abend keine politische Bühne. Stattdessen ehrliche Neugier – vielleicht, weil er sich beim Flüchtlingsthema besonders gern politisch engagiert. „Ich bin so begeistert“, sagt er zur Premierenfeier. Und gesteht, von diesem Theaterprojekt derart „angefixt“ gewesen zu sein, dass er sich umgehend Heins Buch gekauft und „noch in der Nacht durchgelesen“ habe. Bei „Guldenbergs“ Figuren sei er auf „eine Form von Archetypen“ gestoßen, die ihm in seinem Job als Ministerpräsident überall über den Weg liefen, behauptet Ramelow. Alle Szenen, die auf der Bühne gezeigt werden, habe er in ähnlicher Weise erlebt. Gerade das gemeinsame Essen am Schluss (hier wird ein Video-Clip gezeigt) seien ihm aus einer Meininger Begegnung mit Flüchtlingen in Erinnerung. Das Fazit des Ministerpräsidenten: „Ich in dem Theater sehr dankbar. Ich habe mir nicht vorstellen können, wie man aus diesem Buch ein Theaterstück machen kann.“ Theater sei genau dafür da, sich auf spannende Weise und nicht mit einer Art Rohrstock-Pädagogik mit solchen Themen auseinanderzusetzen.

Der Intendant nutzt den Besuch des Ministerpräsidenten dennoch für einen kleinen politischen Schlenker: Jens Neundorff von Enzberg begrüßt die Bereitschaft Bodo Ramelows, die Linkspartei in den Thüringer Landtagswahlkampf zu führen (das hatte der Parteivorstand am selben Abend vorgeschlagen). Und er mahnt ihn bei den aktuellen Verhandlungen über die künftigen Theaterbudgets zu einem Bekenntnis für das „Meininger Staatstheater“.

Christoph Hein, der das Schlusswort hatte, fügte sich der Begeisterung Bodo Ramelows: „In der DDR habe ich gelernt, man soll nie einen Ministerpräsidenten kritisieren.“

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