Meininger Theater Neue Legenden über Tamara Danz

Emma Suthe (l.) und Ulrike Knobloch – zwei der drei Meininger „Tamaras“. Foto: Michael Reichel

Dieser Theaterabend hat Kultpotenzial. Aber er bedeutet auch einen Tanz auf dünnem Seil: Das Meininger Theater versucht eine Annäherung an die DDR-„Rockröhre“ Tamara Danz.

 
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Das Publikum wird, was keine große Überraschung ist, diesen Abend lieben. Alle zehn geplanten Vorstellungen, hört man aus dem Theater, sind bereits ausverkauft. Eine elfte, zusätzlich ins Programm genommene, ebenso. Dabei war noch nicht mal Premiere. Dabei steht jemand auf der Bühne, der seit fast 30 Jahren tot ist. Eigentlich. Doch irgendwie lebt Tamara Danz weiter, diese schillernde, schwer fassbare, rotzige, unnahbare, leidenschaftliche, stille, laute, wütende, nachdenklich wirkende Frau aus jenem Land, das es schon lange nicht mehr gibt. In den Erinnerungen der Menschen – und in ihrer Musik, die sie zusammen mit Hassbecker, Barton & Co bei Silly gemacht hat. Irgendwie hat sie es geschafft, ihr kurzes Leben, das der Krebs jäh beendete, leuchten zu lassen bis in diese Zeit. Eine ganze Spielzeit ausverkauft ohne dem Publikum zu verraten, was es erwartet – wann hat es das am Meininger Theater zuletzt gegeben? Alleine das erzählt etwas über unsere Zeit und ihre Wunden, über Entwurzelung und Orientierungslosigkeit. Die Menschen, scheint es, suchen Halt bei Figuren wie Tamara Danz, weil sie ihnen so echt und gültig begegnen, wie ihre Musik.

Für Ronny Jakubaschk, den Regisseur, und Katja Stoppa, die Dramaturgin, ist das eine krasse Herausforderung. Sie sollten nicht der Versuchung nachgeben, auf der Kammerspielbühne erzählen zu wollen, wie die in Breitungen geborene Sängerin „wirklich“ war. Auch wenn die Idee, sich erstmals mittels in Zeitungsinterviews oder TV-Mitschnitten von damals herausgefischten O-Tönen der Musikerin zu nähern, sicher charmant klingt. Und ganz nebenbei auch die dramaturgische Absicht erfüllt, mal nicht „Männer“ über Tamara Danz erzählen zu lassen. Sie zeichnet sich auf der Bühne sozusagen mit ihren eigenen Worten selbst. Mit „Männern“ meint Katja Stoppa übrigens Leute wie den Berliner Journalisten Alexander Osang, der kurz nach dem Tod von Tamra ein viel beachtetes „Legenden“-Buch veröffentlichte. Schon er wusste genau: Es ist unmöglich, die „wirkliche“ Tamara zu beschreiben. Alles, was die Nachwelt über sie berichten könnte, sind Legenden. Und wenn der Meininger Kammerspielabend zu einem Sehnsuchtsabend werden sollte, bei dem Tamara Danz am Ende noch immer rätselhaft in den Köpfen der Zuschauer hängen bleibt, dann ist das nicht schlimm. Im Gegenteil. Nicht die Menschen haben ein Nachleben, sondern die Projektionen auf sie, all die Sehnsüchte, Emotionen, Erinnerungen und Träume – die mit dem Abstand der Zeit die Herzen erwärmen vermögen.

Es ist eine kluge Idee von Schauspieldirektor Frank Behnke, nicht eine Tamara Danz auf die Bühne zu stellen, sondern gleich drei: Miriam Haltmeier, Ulrike Knobloch und Emma Suthe. Drei Frauen, drei Stimmen, drei Empfindungen. So wird deutlich, dass eine jede nur eine Möglichkeit ist – von vielleicht vielen. Nur eine Möglichkeit, irgendwie Tamara zu sein. In einem Ton, einer Geste, einem Blick. Eine öffentliche „Kostprobe“ am letzten Donnerstag – auch sie bis auf den letzten Platz gefüllt – zeigt Erstaunliches: Die drei Frauen treffen den Spirit der Songs, obwohl sie die Zeit, in denen sie entstanden sind, kaum erlebt haben. Das erzählt etwas über die Qualität der Silly-Musik und ihrer Texte von Karma über Gundermann bis Danz. Nicht die Schauspielerinnen sind es, die den Songs Gefühl geben, sondern die Kraft der Musik scheint quasi durch sie hindurch, löst etwas in ihnen aus.

Schwerer tun sie sich mit den Texten. Tamara Danz war vom Typ Frau frei Schnauze. Aber nach über 30 Jahren klingt das, was sie einst sagte, oft wie aus einer seltsam fernen Welt. Einer Welt, in der wir aus dem Osten noch nicht viel wussten über den Westen. Und in der wir erst lernen mussten: Auch die neue Gesellschaft würde schon dafür sorgen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Wenn das, was Tamara Danz bei TV-Auftritten oder in Interviews zu Protokoll gab, heute nicht fürchterlich naiv klingen soll, muss man diese Texte mit einer großen Souveränität sprechen, sie vielleicht sogar überhöhen. Das Schlimmste, was diesem Tamara-Danz-Abend passieren kann, ist eine Frau, die sich wie eine Fremde auf der Bühne abzeichnet. Eine, deren eigenen Worte nicht neben der Kraft ihrer Musik bestehen können. Für die drei Protagonistinnen, geboren in Grafelfing (bei München), Dresden und Berlin, ist Tamara Danz womöglich auch eine persönliche Erfahrung, bei der sie – abgesehen von Familiengeschichten – etwas Einmaliges über den Osten erfahren. Denn Silly schrieb ein Stück weit den Sound der DDR. Und sich damit auch in die Biografie so vieler, die in diesem Land groß geworden sind. Was für eine Chance für das Theater!

Premiere am 23. September (19.30 Uhr) – Restkarten unter Tel. 03693/451222

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