Allerdings gibt es auf Landesebene auch Stimmen, die mahnen, anders als im Bund-Länder-Beschluss definiert, dürfe man nicht alleine auf den Inzidenzwert zu schauen, um über etwaige Lockerungen zu entscheiden – auch nicht bei den Lockerungen im Privatbereich. „Es ist wichtig, auch andere Faktoren zur Bewertung der aktuellen Situation hinzuzuziehen, etwa die Auslastung der Betten auf Intensivstationen, die Dynamik des Infektionsgeschehens oder die Kapazitäten der Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung“, sagte die Grüne-Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich.
Wirtschaft kritisiert Ergebnisse
Die drei Industrie- und Handelskammern in Thüringen indes haben die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratung zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie kritisiert. «Wieder wurde eine Chance vertan, Eigenverantwortlichkeit der Menschen und der Wirtschaft zuzulassen», kritisierten die IHK-Präsidenten Ralf-Uwe Bauer, Dieter Bauhaus und Peter Traut am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung. «Rettende Perspektiven bleiben aus», heißt es darin. Einzelhandel, Hotellerie, Gastronomie und Veranstaltungswirtschaft dürften trotz hoher Investitionen in Hygienekonzepte weiterhin nicht öffnen. «Vielen Unternehmen bricht jetzt die Hoffnung und demnächst auch die Existenz weg», erklärten die Kammerchefs.
Für etwaige Lockerungen bei der Öffnung des Einzelhandels oder der Gastronomie im Außenbereich äußerte sich Tiefensee. Nicht nur, dass es wichtig sei, nicht völlig starr auf die Inzidenzwerte 50 oder 100 zu schauen, sagte er. Es müsse da einen kleinen Toleranzkorridor, zum Beispiel bis 110 geben. Auch sei es wichtig, bei Entscheidungen darüber, was in Thüringen geöffnet werden könne, die Lockerungen in den Nachbarbundesländern mit zu berücksichtigen. Es sei klar, dass die Menschen etwa aus Südthüringen zum Einkaufen ins benachbarten Bayern fahren würden, wenn dort schon bald weitreichende Lockerungen in Kraft seien, in Thüringen aber nicht.
Überhaupt sprach sich Tiefensee dafür aus, in der Frage, ab welcher Inzidenz die Notbrems-Regelung gelten soll, einen Mittelweg zu wählen. Die Beschlüsse des Corona-Gipfels lassen da nämlich einen gewissen Interpretationsspielraum. Es ist dort nicht eindeutig geregelt, ob Lockerungen wieder zurückgenommen werden sollen, wenn die Inzidenz in einem Bundesland oder in einem Landkreis den Wert von 100 übersteigt. Tiefensee sagte, er plädiere dafür möglicherweise auch regionale Lockerungen innerhalb des Freistaats zuzulassen, falls die Landesinzidenz zwischen ungefähr 50 und 100 liege.
Der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt geht sogar noch weiter. Er wolle die Notbrems-Regel immer regional getroffen wissen, sagte er. „Wir sind dafür, landkreisscharfe Entscheidungen zu ermöglichen.“ Einkaufstourismus in angrenzende Regionen werde es in Thüringen immer geben.