Lockdown Steigende Inzidenz: Land traut sich nur leichte Lockerungen

Von , aktualisiert am 04.03.2021 - 16:00 Uhr
Unter anderem Buchläden dürfen wieder öffnen. Foto: dpa / Daniel Reinhardt

In Thüringen sollen künftig Buchläden, Anbieter von Kinderschuhen und körpernahe Dienstleistungen wie Kosmetikstudios wieder öffnen. Darauf verständigte sich das Kabinett am Donnerstag, wie die Staatskanzlei in Erfurt mitteilte.

 
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Erfurt – Einen Tag nach den jüngsten Bund-Länder-Beratungen zum weiteren Vorgehen in der Coronakrise bleibt weitestgehend unklar, welche konkreten Folgen die Beschlüsse des Gipfels für Thüringen haben werden. Wie am Donnerstag bekannt wurde, öffnen als nächstes in Thüringen (voraussichtlich ab 14.3.) nur Buchläden, körpernahe Dienstleistungen und Läden für Kinderschuhe. Darüber hinaus wird es keine der ersehnten Lockerungen für etwa Handel und Gastronomie geben.

Der zentrale Grund dafür ist, dass Thüringen derzeit als einziges Bundesland eine Corona-Inzidenz von weit mehr als 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen aufweist. In den Beschlüssen der Beratungen heißt es aber an mehreren Stellen, dass für zukünftig mögliche Lockerungsschritte ab einer Inzidenz von 100 eine sogenannte Notbremse greifen soll. Wenn dieser Schwellenwert an drei Tagen infolge überschritten wird, sollen statt gelockerter Beschränkungen die aktuell geltenden, vergleichsweise restriktiven Beschränkungen gelten.

Vor diesem Hintergrund beraten die Landesregierung und die im Landtag vertretenen Fraktionen nun, ob es nach den Beschlüssen überhaupt Lockerungen im Freistaat geben kann – oder ob Thüringen von den gemeinsamen Vereinbarungen von Bund und Ländern abweicht. Eine Entscheidung zumindest der Landesregierung dazu wird erst am Dienstag erwartet. Allerdings kann der Landtag im Anschluss daran noch Änderungen an dieser Entscheidung vornehmen.

Als ziemlich unwahrscheinlich allerdings darf schon jetzt gelten, dass in Thüringen ab dem 8. März die Lockerungen bei den privaten Kontaktbeschränkungen greifen werden, die in dem Bund-Länder-Beschluss vorgesehen sind und die in allen anderen Bundesländern wahrscheinlich kommen werden. Danach sollen sich ab Montag wieder bis zu fünf Erwachsene aus zwei Haushalten treffen dürfen, plus beliebig viele Kinder im Alter unter 14 Jahren. Derzeit dürfen sich Erwachsene aus einem Haushalt mit nur einer weiteren Person treffen.

Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Thüringer Landtag, Matthias Hey, sagte am Donnerstag in Erfurt, er halte es nur für schwer vorstellbar, dass diese Lockerung in Thüringen umgesetzt werde. „Wenn wir den Beschluss ernst nehmen, wird das nicht möglich sein“, sagte er. Ähnlich äußerte sich auch Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Derartige Lockerungen sehe er ab dem 8. März nicht. „Unsere Bremse ist noch angezogen.“

Allerdings gibt es auf Landesebene auch Stimmen, die mahnen, anders als im Bund-Länder-Beschluss definiert, dürfe man nicht alleine auf den Inzidenzwert zu schauen, um über etwaige Lockerungen zu entscheiden – auch nicht bei den Lockerungen im Privatbereich. „Es ist wichtig, auch andere Faktoren zur Bewertung der aktuellen Situation hinzuzuziehen, etwa die Auslastung der Betten auf Intensivstationen, die Dynamik des Infektionsgeschehens oder die Kapazitäten der Gesundheitsämter bei der Kontaktnachverfolgung“, sagte die Grüne-Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich.

Wirtschaft kritisiert Ergebnisse

Die drei Industrie- und Handelskammern in Thüringen indes haben die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratung zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie kritisiert. «Wieder wurde eine Chance vertan, Eigenverantwortlichkeit der Menschen und der Wirtschaft zuzulassen», kritisierten die IHK-Präsidenten Ralf-Uwe Bauer, Dieter Bauhaus und Peter Traut am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung. «Rettende Perspektiven bleiben aus», heißt es darin. Einzelhandel, Hotellerie, Gastronomie und Veranstaltungswirtschaft dürften trotz hoher Investitionen in Hygienekonzepte weiterhin nicht öffnen. «Vielen Unternehmen bricht jetzt die Hoffnung und demnächst auch die Existenz weg», erklärten die Kammerchefs.

Für etwaige Lockerungen bei der Öffnung des Einzelhandels oder der Gastronomie im Außenbereich äußerte sich Tiefensee. Nicht nur, dass es wichtig sei, nicht völlig starr auf die Inzidenzwerte 50 oder 100 zu schauen, sagte er. Es müsse da einen kleinen Toleranzkorridor, zum Beispiel bis 110 geben. Auch sei es wichtig, bei Entscheidungen darüber, was in Thüringen geöffnet werden könne, die Lockerungen in den Nachbarbundesländern mit zu berücksichtigen. Es sei klar, dass die Menschen etwa aus Südthüringen zum Einkaufen ins benachbarten Bayern fahren würden, wenn dort schon bald weitreichende Lockerungen in Kraft seien, in Thüringen aber nicht.

Überhaupt sprach sich Tiefensee dafür aus, in der Frage, ab welcher Inzidenz die Notbrems-Regelung gelten soll, einen Mittelweg zu wählen. Die Beschlüsse des Corona-Gipfels lassen da nämlich einen gewissen Interpretationsspielraum. Es ist dort nicht eindeutig geregelt, ob Lockerungen wieder zurückgenommen werden sollen, wenn die Inzidenz in einem Bundesland oder in einem Landkreis den Wert von 100 übersteigt. Tiefensee sagte, er plädiere dafür möglicherweise auch regionale Lockerungen innerhalb des Freistaats zuzulassen, falls die Landesinzidenz zwischen ungefähr 50 und 100 liege.

Der Thüringer CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt geht sogar noch weiter. Er wolle die Notbrems-Regel immer regional getroffen wissen, sagte er. „Wir sind dafür, landkreisscharfe Entscheidungen zu ermöglichen.“ Einkaufstourismus in angrenzende Regionen werde es in Thüringen immer geben.

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