Ähnlich wie Sternatz sieht es auch die Leiterin von Mobit, Romy Arnold. Die Kürzungen seien ein fatales Signal an alle, die sich in Thüringen unter anderem gegen die extreme Rechte engagierten, sagt sie. Insbesondere, wenn man bedenke, dass es erst vor einigen Wochen eine bundesweite Großrazzia gegen Reichsbürger mit gewalttätigen Umsturzfantasien gegeben habe, bei der ein Schwerpunkt in Thüringen lag. Tatsächlich sei die Demokratiebildung in Thüringen seit Jahren strukturell unterfinanziert, sagt Arnold.
Der unbestrittene erste Teil des Hintergrunds für diese Kritik ist zum einen das Drängen der CDU-Landtagsfraktion in den jüngsten Haushaltsverhandlungen mit Rot-Rot-Grün, insgesamt 400 000 Euro aus dem Landesprogramm zu nehmen und an die Volkshochschulen umzuleiten. Die CDU argumentiert dabei, in der Vergangenheit seien aus dem Landesprogramm zu viel der bereitstehenden Gelder gar nicht ausgegeben worden, sodass das Geld bei den Volkshochschulen besser aufgehoben sei. Die nun insgesamt veranschlagten 5,745 Millionen Euro für das nächste Jahr seien „eine Summe, die in den vergangenen Jahren nie abgeflossen ist“, sagt der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Thadäus König.
Schon mal pauschal gekürzt
Die Fraktionen von Linke, SPD und Grünen hatten diesem Drängen schließlich nachgegeben. Nicht nur, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey, habe Rot-Rot-Grün damit noch viel weitreichendere, schlimmere Kürzungsvorschläge der Union im Bereich der Demokratiebildung gestoppt. Vor allem, sagt er, hätte die Mehrheit der Menschen im Land wohl nicht verstanden, wenn die Verabschiedung des insgesamt etwa 13 Milliarden Euro schweren Landeshaushalt 2023 an einem Streit über 400 000 Euro gescheitert wäre. Dass Rot-Rot-Grün in einem Abstimmungs-Coup am Abend diese Kürzung rückgängig machen wird, ist da noch nicht abzusehen.
Der zweite Teil der Kürzungen ist dagegen deutlich umstrittener. Denn zusätzlich zu den 400 000 Euro hatte das Bildungsministerium – in dem das Programm verwaltet wird – in seiner Anmeldung für 2023 bereits 600 000 Euro weniger als 2022 für das Landesprogramm veranschlagt.
Die CDU nimmt das als Ausweis dafür, dass die Landesregierung selbst erkannt habe, dass das Programm zuletzt zu üppig ausgestattet gewesen sei. In den Worten Königs: „Die Ramelow-Regierung war es, die die Mittel für das Demokratie-Programm immer weiter ausgebaut und jetzt feststellt hat, dass die Gelder gar nicht ausgegeben werden.“
Doch Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) widerspricht dieser Darstellung; jedenfalls ein bisschen. Diese 600 000 Euro, sagt er, seien 2022 wegen der Globalen Minderausgabe beim Landesprogramm gestrichen worden, jener 330-Millionen-Euro großen Pauschalkürzung also, die wiederum die CDU für das zu Ende gehende Jahr durchgesetzt hatte. Subtext: Ohne die Union hätte es auch diese Kürzung nicht gegeben.
Von Rot-Rot-Grün nicht verhindert
So kompliziert ist die Genese der Eine-Million-Streichung also, dass es durchaus Sinn ergibt, dass die, die da vor der Tür stehen, zwar vor allem auf die CDU wütend, aber eben auch von Rot-Rot-Grün enttäuscht sind. „Man muss ganz klar sagen: Deren rote Linie ist gefallen“, sagt Arnold. „Das hätte ich mir nicht erträumen erlassen.“ Sie spielt damit auf erst wenige Tage alte Äußerungen unter anderem der Grüne-Fraktionsvorsitzenden Astrid Rothe-Beinlich an, die damals gesagt hatte, die CDU wolle das Demokratieprogramm „schreddern“. Das werde Rot-Rot-Grün nicht zulassen. „Das ist für uns eine ganz klare rote Linie“, hatte sie gesagt.
Abseits solcher Schuldfragen allerdings wird gerade auch am Streit über dieses Landesprogramm deutlich, wie sehr sich die CDU auch mit diesen Haushaltsverhandlungen immer mehr in ein strategisches Dilemma hineingesiegt hat. Schon seit Monaten lässt sich das in der Landespolitik hier und da immer wieder erkennen.
Immerhin hat die CDU – beim Landesprogramm wie auch an anderen Stellen – einen für eine Oppositionskraft ungewohnt großen Einfluss in Thüringen, weil die Minderheitskoalition bei so ziemlicher jeder Entscheidung auf die Union angewiesen ist. Mit der AfD wollen Linke, SPD und Grüne nicht zusammenarbeiten. Ebenso wenig mit den „Bürgern für Thüringen“, deren parlamentarische Gruppe – die überwiegend aus Ex-AfD bestand – inzwischen implodiert ist. Und zwischen Rot-Rot-Grün und der FDP gibt es so große politische Differenzen, dass jede theoretisch denkbare Form von Zusammenarbeit an der nass-kalten Realität scheitert.
Allerdings hat die CDU-Landtagsfraktion ihren Gestaltungsspielraum zuletzt mehrfach dazu genutzt, Rot-Rot-Grün so schmerzhafte Kompromisse abzuringen, dass das Klima zwischen der Union und den anderen drei Fraktionen inzwischen nachhaltig beschädigt ist. Längst vorbei sind die Zeiten, als der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt den Fraktionsvorsitzenden von Linken, SPD und Grünen als verlässlicher und berechenbarer Ansprechpartner galt. Wenn in den rot-rot-grünen Fraktionen über Voigt und seinen Politikstil gesprochen wird, könnte man inzwischen – wenn man es nicht besser wüsste – häufiger den Eindruck gewinnen, da werde über Voigts Vorgänger Mike Mohring gesprochen, der für seine politischen Tricksereien berühmt und berüchtigt war.
Es ist – mal wieder – Hey, der diesen Zustand und seine potenziellen Auswirkungen während der Plenardebatte zum Haushalt dann am plastischsten beschreibt: Zwar, sagt Hey, könne sich die CDU nun vor ihren eigenen Anhängern damit brüsten, das Landesprogramm zusammengestrichen zu haben. Das sei freilich schon deshalb kurzsichtig, weil die Union ja immer davon rede, Thüringen brauche einen krisenfesten Haushalt. Und es gebe eben nicht nur eine Energiekrise, sagt Hey. „Es gibt auch eine Krise der Demokratie.“ Da könne man doch nicht bei der Demokratieförderung kürzen.
Das wird nicht vergessen
Vor allem jedoch, sagt Hey aber auch, müsse sich die Union klar sein, dass sie nach der nächsten Landtagswahl – sollte es nicht für eine neuerliche rot-rot-grüne Koalition reichen – auf SPD und Grüne angewiesen sei, wenn die CDU in die Regierung wolle. Und natürlich könne man SPD-Genossen immer weiter demütigen; etwa mit Kürzung beim Landesprogramm, das so vielen in seiner Partei so wichtig sei. „Aber seien Sie sich sicher: Ein Sozialdemokrat vergisst nicht“, sagt Hey in Richtung Voigts. So, wie die CDU den Landeshaushalt für 2023 passieren lasse, werde seine Partei jedenfalls nur dann jemals wieder in eine eventuelle Koalition mit der Union einsteigen, wenn es dann erneut mehr Geld für das Landesprogramm gebe. „Das ist so ein australisches Wurfgerät mit acht Buchstaben“, sagt Hey. „Es kommt alles wieder.“