Nur eine von vier Kliniken im Umkreis bietet vollständige Versorgung
Das Strafgesetzbuch macht unter Paragraf 219 deutlich, um was es bei einer Beratung gehen soll: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; […]. Dabei muss der Frau bewusst sein, dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat […]“
Von den Regiomed-Kliniken in Coburg, Lichtenfels und Sonneberg, die über eine gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung verfügen, bietet lediglich Sonneberg Schwangerschaftsabbrüche für alle drei Indikationen an. Am Regiomed-Klinikum Hildburghausen gibt es nach Kündigung aller Fachärzte und Hebammen seit Mitte 2021 keine gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung mehr, da die Stellen nicht nachbesetzt werden konnten.
In Coburg werden lediglich medizinische Abtreibungen vorgenommen, weil es keine Nachfrage nach den anderen Indikationen gäbe, wie Regiomed auf Nachfrage wissen lässt. In der geburtshilflichen Abteilung in Lichtenfels wurden seit Gründung des Hauses keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens: „Alle bisher eingesetzten Chefärzte fühlten sich einem christlichen Menschenbild verpflichtet und waren der Meinung, dass Schwangerschaftsabbrüche in einem katholisch geprägten Umfeld, in dem sich unser Haus befindet, keine Akzeptanz bei der Bevölkerung finden würde.“
Von vier Krankenhäusern im Umkreis bietet lediglich eines alle Abtreibungsmöglichkeiten an. In ganz Bayern gibt es 35 Krankenhäuser, die überhaupt Abtreibungen vornehmen, davon nur eine von zehn nach Beratungsindikation. Die am häufigsten benötigten Abbrüche werden am seltensten in Deutschland angeboten. Dabei müssten Bundesländer nach Paragraf 13 Abstrich 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetz ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen, denn eine Abtreibung darf nur von einem hierfür zugelassenen Arzt, Ärztin oder in einem Krankenhaus mit der Fachrichtung „Gynäkologie und Geburtshilfe“ durchgeführt werden. Doch es gibt immer weniger Ärzte und Angebote.Frauenärztliche Praxen, die Abbrüche durchführen, gibt es im Coburger Land nicht, – die nächsten liegen über eine Stunde Autofahrt weg in Bayreuth, Nürnberg, Schweinfurt oder Erfurt. Mehrere Praxen in unmittelbarer Nähe zueinander, finden sich in Thüringen.
Zum Rechercheverbund
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von der Neuen Presse Coburg mit FragDenStaat und Correctiv.Lokal. Das Netzwerk setzt datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen um. Zusammen wurden mehr als 300 öffentliche Kliniken zu Abtreibungen befragt. Die Ergebnisse stehen in einer Datenbank mit weiteren Infos online unter
correctiv.org/schwangerschaftsabbruch.
Correctiv ist ein Recherchezentrum mit Sitz in Essen und Berlin. FragDenStaat ist eine Internetplattform, über die Anfragen auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes an Behörden gestellt werden können.
Weitere Informationen zum Thema
• Correctiv kommt in der Recherche zum Schluss, dass die Qualität der medizinischen Versorgung kritisch ist und zahlreiche Betroffene von unzureichender medizinischer Behandlung, von diskriminierendem und von vorwurfsvollem Verhalten durch medizinisches Personal berichten.
• Für einen ambulanten Schwangerschaftsabbruch muss man mit Kosten zwischen 350 und 600 Euro rechnen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für die ärztliche Beratung, für die notwendigen Vor- und Nachuntersuchungen bei einem Schwangerschaftsabbruch und für mögliche Nachbehandlungen bei Komplikationen. Das Risiko für Komplikationen beim Schwangerschaftsabbruch ist sehr gering. Frauen mit geringem Einkommen können finanziell unterstützt werden.
• Der umstrittene Paragraf 219a StGB verbietet Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Die im Herbst 2021 gewählte Ampel-Koalition kündigte im Koalitionsvertrag kurz nach ihrem Amtsantritt an, den Paragrafen ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.