Entdeckung in Höhle in IsraelWo sich das Tor zur Unterwelt öffnet
Markus Brauer/kna/AFP 24.07.2023 - 22:03 Uhr
Höhlen und Tunnel galten in früheren Kulturen vielfach als Tore zur Unterwelt. In Israel sind Forscher bei Ausgrabungen in der Te’omim-Höhle auf zahlreiche Funde gestoßen, die wohl Totenritualen dienten. Auch anderswo wie in Mexiko existieren solche Eingänge zur Welt der Verstorbenen.
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Eine Karsthöhle in der Nähe der israelischen Stadt Bet Schemesch könnte einst als „Tor zur Unterwelt” gegolten haben. So jedenfalls deuten Forscher die neue Entdeckung von 120 Öllampen, menschlichen Schädelteilen, Waffen und weiteren Gegenständen im Inneren der Me‘arat ha Te’omim Höhle, kurz Te’omim-Höhle (englisch Twins Cave), nahe der Großstadt Bet Schemech im Bezirk Jerusalem.
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Ihre Annahme, dass die Höhle in den Jerusalemer Bergen vor rund 1700 Jahren für rituelle Totenbeschwörung genutzt wurde, veröffentlichten sie in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Harvard Theological Review”.
Auf unserer Karte sehen Sie, wo sich in Israel und Mexiko „Tore zur Unterwelt“ befinden:
Te’omim – die Höhle der Zwillinge
Die arabischen Bevölkerung sagt der in der Höhle entspringenden Quelle Heil- und Fruchtbarkeitskräfte nach. Eine unfruchtbare Frau soll Zwillinge geboren haben, nachdem sie von dem Quellwasser getrunken hatte, was der Höhle ihren Namen Te’omim (Zwillinge) brachte. Erstmals kartiert wurde der Hohlraum laut israelischen Medienberichten von britischen Forschern im Jahr 1873.
In den 1920er Jahren entdeckten französische Archäologen im Schutt des Höhlenbodens neolithische, chalkolithische (Ghassulien), bronze- und eisenzeitliche, römische und byzantinische Artefakte. Seit 2009 erforscht ein Team von Archäologen der Bar-Ilan-Universität und der Hebräischen Universität Jerusalem die Höhle.
Höhle diente der Kontaktaufnahme mit den Toten
Der Höhleneingang befindet sich an der Nordseite des Wadi Nahal haMe‘arah. Dahinter öffnet sich eine Halle, die etwa 50 mal 70 Meter misst und rund elf Meter hoch ist.
Die aktuelle Fundsituation zeigt laut den Forschern, dass die Gegenstände sorgfältig platziert wurden. Unter den Artefakten seien auch Waffen und Keramiken aus der Bronzezeit.
Die Sammlung sowie die natürlichen Gegebenheiten der Höhle ließen die Forscher zur Annahme gelangen, dass der Ort in spätrömischer Zeit für Versuche der Kontaktaufnahme mit den Toten und entsprechenden Totenritualen genutzt worden sein könnte, erklärt der Hauptautor der Studie, der an der Bar-Ilan-Universität lehrende Archäologe Boaz Zissu.
Totenorakel waren im Nahen und Mittleren Osten weit verbreitet
Totenorakel, die bereits im ersten Jahrtausend vor Christus in Mesopotamien bezeugt seien, befanden sich den Angaben zufolge in der Regel in Höhlen mit besonderen Charakteristika wie einer natürlichen Wasserquelle sowie einem tiefen Schacht, von dem Gläubige annahmen, er führe in die Unterwelt.
Es sei nicht auszuschließen, dass Juden und Christen an derartigen Ritualen teilgenommen hätten, jedoch sei der Ort in spätrömischer Zeit hauptsächlich von heidnischen Siedlern bewohnt gewesen, erklärt der Mit-Autor der Studie, Eitan Klein von der israelischen Antikenbehörde.
Der Eingang zur Unterwelt in der antiken Mythologie
In der griechischen und römischen Mythologie wurde die Unterwelt Erebos sowie Hades genannt. Der Fährmann Charon brachte den Reisenden nach Empfang der Begräbnisriten und einer Geldmünze (Obolus) über den Fluss Styx oder Acheron, der die Ober- von der Unterwelt trennt.
Eine Kluft oder Höhle bildet den eigentlichen Eingang zur Unterwelt, wo die Toten lebten. Das Tor zur Unterwelt befindet sich demnach entweder am Ende der Welt am Ufer des Okeanos, am Kap Tenaro, im Land der Kimmerier oder im Hain Persephones. Dort stürzen die Fluten des Flammenflusses Pyriphlegethon und des Kokytos in die Tiefe.
Tor zur Unterwelt in Mittelamerika
Auch in anderen Weltkulturen war der Symbolbegriff eines Tores zur Unterwelt verbreitet. So entdeckten Wissenschaftler im Jahr 2014 in einer historischen Tempelanlage in Mexiko den Eingang zur mystischen Unterwelt der Teotihuacán-Kultur, einer bedeutenden Kultur im präkolumbianischen Amerika.
Zur Blütezeit im fünften und sechsten Jahrhundert n. Chr. war Teotihuacán die wichtigste Metropole Mesoamerikas und eine der größten Städte der Welt. Im 14. Jahrhundert fanden die Azteken sie bereits verlassen vor.
Der Tunnel von Teotihuacán
In einem Tunnel zwischen der Sonnenpyramide und dem Tempel der gefiederten Schlange stießen die Archäologen auf rund 50 000 Opfergaben. Der Tunnel ist 138 Meter lang und liegt in etwa 18 Meter Tiefe unter der Erdoberfläche. Die Kultgegenstände – Edelsteine, Statuen, Riesenmuscheln vom Golf und aus der Karibik, Knochen von Raubkatzen und Holzgegenstände – waren dort seit 1800 Jahren verschüttet gewesen.
Die Sonnenpyramide ist das zweitgrößte Bauwerk im vorspanischen Mittelamerika und die drittgrößte Pyramide der Welt. Sie befindet sich im Zentrum der vor-aztekischen Ruinenstadt von Teotihuacán an der Straße der Toten, die an der Sonnepyramide beginnt und an der Mondpyramide endet.
Abstieg von der Zwischenwelt zu den Toten
„Für die Menschen von Teotihuacán symbolisierte der Tunnel den Eingang in die Unterwelt“, erklärte damals Ausgrabungsleiter Sergio Gómez. Die berühmte Ruinenanlage der prähispanischen Teotihuacán-Kultur liegt im Zentrum Mexikos rund 45 Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt.
Neben den Zehntausenden Kultgegenständen, die 103 Meter hinter dem Eingang vergraben waren, entdeckten die Forscher auch eine spektakuläre Dekoration der „Zwischenwelt“: Mauern und Gewölbe des Tunnels, der diese Welt symbolisierte, seien mit einem metallischen Puder überzogen gewesen. Sobald Menschen mit Fackeln in den Tunnel gegangenen seien, sei alles „wie ein glitzernder Sternenhimmel erstrahlt“, so Ausgrabungsleiter Gómez.