Heldburger Unterland Ein besonderes Gefühl von Heimat

Der gleichnamige Film in der Sendereihe „Unter unserem Himmel“ läuft am Sonntag im Bayrischen Rundfunk. Foto: /Bastian Frank

„Im Sperrgebiet – Das Heldburger Unterland“ heißt ein Dokumentarfilm, der am 1. Oktober, 19.15 Uhr, im Bayrischen Rundfunk laufen wird. Regisseur Martin Weinhart „zeigt authentisch, wie die Menschen bei uns sind“, sagt Heldburgs Bürgermeister Christopher Other.

 
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Der Ort der Voraufführung könnte nicht passender sein, denn hier, in Poppenhausen, einem 96-Seelen-Ort im Heldburger Unterland, hat die Geschichte im September 2021 ihren Anfang genommen. Damals hat Heldburgs Bürgermeister Christopher Other (CDU) in diesem Ortsteil der Stadt ein Auto an die Feuerwehr übergeben. Regisseur Martin Weinhart aus München und sein Kameramann Pascal Hoffmann drehten in Südthüringen wegen der ungemein kontrovers diskutierten Kandidatur des ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen für den Bundestag im Wahlkreis 196. „Durch die Nominierung war Christopher Other deutschlandweit bekannt“, sagt Weinhart, „deshalb waren wir hier unterwegs“. Eben, weil Other als Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Hildburghausen-Henneberger Land eine tragende Rolle spielte. „Sonst“, so gibt Weinhart zu, „hätten wir Poppenhausen und seine liebenswerten Menschen wohl nicht für uns entdeckt“. Das Poppenhausen, das im ehemaligen Grenzgebiet liegt, und die Hauptrolle im Dokumentarfilm „Im Sperrgebiet – Das Heldburger Unterland“ spielt, in dem Heldburg, Bad Colberg und der geschleifte Ort Erlebach Nebenrollen zukommen. Der Film wird am Sonntag, 1. Oktober, 19.15 Uhr, im Bayrischen Rundfunk in der Sendereihe „Unter unserem Himmel“ gezeigt.

„Diese Dokumentation porträtiert einen geschichtsträchtigen Landstrich, der eng mit dem Fränkischen verwurzelt ist“, sagt Martin Weinhart. Das liegt schon in der Geschichte und der daraus resultierenden räumlichen Nähe zu Franken begründet, das aber bis zur politischen Wende 1989 wegen der scharf bewachten Grenze mit Todesstreifen zwischen den damals zwei deutschen Staaten für die Menschen in Thüringen doch so fern, weil auf normalem Weg nahezu unerreichbar war. Weinhart ist mit seiner Tochter Zoe, mit Kameramann Pascal Hoffmann und einigen Freunden nach Poppenhausen gekommen, um dort den Film vorab im Gemeindesaal zu zeigen. Die Begrüßung dort, wo er immer wieder gern hinkommt, fällt überaus herzlich aus, etwa mit Ullrich Götz, dem Feuerwehrchef und vor 20 Jahren Initiator des jährlichen, großen Traktortreffens bei dem inzwischen Anfang Juli an zwei Tagen zwischen 2000 bis 3000 Leute den kleinen Ort besuchen. Das Traktortreffen ist auch der Anlass der Feier, bei der zu Spanferkel und Bier aus dem eigenen kommunalen Brauhaus fast das ganze Dorf auf den Beinen ist – wie so häufig hier. Dazu kommen einige Unterstützer aus anderen Orten und Gäste, die allesamt verköstigt werden. „Helferfeier“ eben vor allem für alle, die in diesem Jahr zum Gelingen beigetragen haben, heißt das Stichwort an diesem Tag, sagt Tobias Götz, Ullis Sohn und Vorsitzender des Feuerwehrvereins. „Jeder, der nach Poppenhausen zieht oder hier geboren wird, ist automatisch Mitglied im Verein“, sagt er und zwinkert. „Einen Mitgliedsbeitrag gibt es nicht. Es geht darum, dass alle mitziehen, um etwas im Ort zu bewegen und erfolgreich Feste zu organisieren und zu feiern.“

Brauen, Backen und noch viel mehr

Die Gemeinschaft organisiert unter anderem das gemeinsame Brauen und Backen, Weihnachtsmarkt, Adventssingen sowie natürlich das Traktor-Treffen und den Fasching. Für eine Kirmes, die 2005 nach 50 Jahren wieder aufgelebt war, fehlt seit 2020 der Nachwuchs. Warum hier so viele erfolgreich an einem Strang ziehen? „Das liegt wohl auch an der Größe des Ortes. Die schlagkräftige Truppe ist groß genug, damit man etwas ausrichten kann und klein genug, alles gut unter einen Hut zu bringen“, sagt Tobias Götz. Der Film von Ulrich Weinhart und die anschließende Besprechung werden weitere Antworten geben. „Ich war verblüfft und tief erstaunt, wie lebendig, vielfältig und bunt diese Region ist“, sagt der Regisseur, ehe er den USB-Stick weiterreicht, auf dem sich eine Kopie das Films befindet, der gleich im in Eigenleistung sanierten Saal der Gemeinde, nur das Material wurde gefördert, gezeigt wird. „Ich habe viele interessante Leute kennengelernt und bin immer wieder sehr gerne hierher gekommen.“

Auf seinen Film sind die Poppenhäuser und ihre Gäste sehr gespannt. Los geht es darin mit Egon Meister, dem wortgewandten Braumeister aus Lindenau, der eine Einordnung des Heldburger Unterlandes vornimmt in Bezug auf das von 1949 bis 1989 geteilte Deutschland, in dem es Sperrgebiet war. „Wenn man hier den Zipfel mal geografisch anguckt: Wenn man nach dem Westen geht ist man wirklich im Westen“, sagt er rückblickend. „Wenn man nach dem Süden geht, ist man im Westen und wenn man nach dem Osten geht ist man auch im Westen.“ Viele, die er im Urlaub kennengelernt habe, hätten gedacht, unter dem Thüringer Waldkamm käme nichts mehr. „Ihr Ochsen, ihr wisst wohl gar nicht, dass unter dem Thüringer Wald auch noch ein Stück von der Republik ist“, habe er denen gesagt. Das Tolle sei, „ich habe ja keinen Thüringer Dialekt, sondern einen fränkischen.“

Von Heimatstube bis Traktortreffen

Der Film schlägt anschließend, mit dem Agraringenieur Gerhard Wolfschmidt, dem ersten Bürgermeister nach der politischen Wende, als Hauptakteur, einen Bogen vom gemeinsamen Brauen mit dem handwerklich beschlagenen Braumeister Thomas Grund an der Spitze über die Heimatstube unter Leitung der ehemaligen Lehrerin Gerlinde Sol, die große, im 19. Jahrhundert erbaute protestantische Dorfkirche und das große Traktortreffen 2022 über das Heilbad Bad Colberg, das einst ein zweites Karlsbad werden sollte, bis zum 1987 geschleiften Dorf Erlebach.

Immer wieder fällt der Begriff „Heimat“. Dort ist in Zeiten des Sperrgebiets „die Nachbarschaftshilfe groß ausgeprägt gewesen“, berichtet Gerhard Wolfschmidt. „Jeder hat jedem geholfen.“ Das sei auch notwendig gewesen, denn Fremde „kamen nur mit Passierschein rein“. Auch die daraus resultierenden Tauschgeschäfte hätten „zu dem Zusammenhalt geführt“.

Ulrich Götz, Jahrgang 1963, von der Nationalen Volksarmee zwangsverpflichtet, musste in dieser Heimat, fast vor der eigenen Haustür, als Militärkraftfahrer mit an der Grenze bauen. „Es war einem zuwider, das schöne Baumaterial hier zu verbauen und nicht zu Hause zu haben.“ Zum Glück sei kein Schuss gefallen und er habe alles schadlos überstanden. Das sei „eigentlich das größte Wunder“.

Gerlinde Sol berichtet, dass die Grenzöffnung nahe Poppenhausen „eigentlich unvorhergesehen kam“ – an einem Samstag, 2. Dezember 1989. „Den Frühstückskorb auf dem Schoss im Trabi sitzend sind wir durch den Zaun gefahren, das kann man nicht beschreiben. Ich habe gedacht, das Herz hüpft raus.“ Verwandte hätten sich getroffen, aber auch viele Unbekannte sich umarmt. „Einfach unbeschreiblich.“

Die Wendezeit habe aber auch zu Verwerfungen geführt, sagt Gerhard Wolfschmidt. „Plötzlich war, in Anführungsstrichen, jeder mit dem anderen nicht mehr gut“, weil eine Frage lautete: „War einer bei der Stasi oder nicht?“ In den 1990-iger Jahren habe aber die Dorferneuerung, die Einwohner „wieder zusammengeschweißt“. Alle Handwerkerarbeiten waren gefragt – „alles ehrenamtlich, aber zum Feierabend gab es ein Bier und eine Brotzeit aus der Dorfgemeinschaft“.

Ob dieser Zusammenhalt und diese Heimatverbundenheit auch damit zusammenhängen, dass Heimat bedroht sein kann, fragt Martin Weinhart Heldburgs Bürgermeister Christopher Other. Das spiele wohl eine Rolle, schließlich seien die drei Dörfer Billmuthausen, Leitenhausen und schließlich Erlebach sogar 1987 nur knapp drei Jahre vor der Wende geschleift worden. Gunter Paar, der in Erlebach wohnte, berichtet in bewegenden Worten, wie seine Familie das Heimatdorf verlassen musste. Er hat es als Modell nachgebaut. „Wir haben hier einen außerordentlich großen Anteil an Ehrenamtlern, die sehr engagiert auch auf die öffentliche Infrastruktur schauen und auch im direkten Umfeld schauen, was kann ich denn noch rausholen zum Wohle meiner Heimat“, sagt Other. Von der glaubt Tobias Götz: „Vor der Wende kam man zwar raus, aber von außen kamen keine rein. Deswegen sind die Beziehungen untereinander auch stärker als woanders. Ein besonderes Gefühl von Heimat.“

Viel Lob für den Film

Nach dem Film von 42:55 Minuten folgt tosender Beifall. Martin Weinhart bedankt sich ausführlich bei allen Protagonisten und bei den Poppenhäusern allgemein. Christopher Other sagt, der Film „zeigt authentisch, wie die Menschen bei uns sind“ und ist ebenso sehr angetan wie Poppenhausens Ortsteilbürgermeister Robert Wolf, der sagt: „Ich bin stolz und finde es toll, dass das Ehrenamt so gut herausgearbeitet wird. Es geht um alles, was uns im Ort bewegt. Der Film ist sehr gelungen.“ Gerhard Wolfschmidt schätzt an den Regisseur gewandt ein: „Das ist ein wunderbarer Film. Vielen Dank, dass sie sich gewagt haben, ins Heldburger Unterland zu gehen und zu zeigen, wie schön man auf dem Land gemeinsam leben kann.“

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