Graffiti als Therapie Ungedämpfte Glücksgefühle als neue Erfahrung

Graffiti-Kunst als Therapiebestandteil bei Median in Römhild. Foto: Bastian /Frank

Martin Cygan, Holger Brauer und Patrick Schliefke haben während ihrer Therapie in der Median-Klinik in Römhild Graffiti-Kunst geschaffen. Das Besondere daran: Sie durften erfolgreiche Teamarbeit erleben und fühlten zum ersten Mal das Glück, etwas Kreatives ohne den Einfluss von Drogen umzusetzen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Als lebensverändernd können Martin Cygan, Holger Brauer und Patrick Schliefke das Jahr 2022 für sich einordnen. Sie haben manche Dinge zum letzten Mal getan, andere zum ersten Mal. Und wenn sie davon erzählen, klingen sie stolz und glücklich. Aus ihnen sprüht förmlich neuer Lebensmut. Weil sie spüren durften, wie gut es sich anfühlt, wenn man im Team etwas schafft. Spüren, wie es ist, wenn man sich gegenseitig inspiriert, kritisiert, motiviert. Spüren, wie pure Glücksgefühle den Körper durchdringen, wenn dessen Wahrnehmung nicht durch Drogen oder Alkohol verfälscht ist, sich diese nicht in einer dumpfen Masse verlieren, die den Kopf umhüllt.

Das, was die drei Patienten der Römhilder Median-Klinik an Buntheit in sich tragen, ist mitten auf dem Klinikgelände jetzt im Außen sichtbar: Sie haben ein Kunstwerk geschaffen. Graffiti-Kunst, die Leben auf graue Mauern und Betrachtern Freude ins Gesicht zaubert und ein Stück von Martin Cygan, Holger Brauer und Patrick Schliefke am Fuße der Gleichberge zurücklässt.

„Die Idee, künstlerisch ambitionierte Patienten in die Gestaltung des Klinikgeländes einzubinden, existiert schon länger“, sagt Harald Schlögel, kaufmännischer Leiter bei Median in Römhild. Ergotherapeutin Susan Krämer setzte diese nun erstmals mit einer Gruppe um. „Wir haben recht schnell talentierte Menschen gefunden. Sie haben wunderbar zusammengearbeitet, sich ergänzt, gelernt, wie sich Teamwork anfühlt und funktioniert. Das ist Training fürs Leben“, erklärte sie.

„Bei Projekten wie diesen werden unter anderem Entschlussfähigkeit und Durchhaltevermögen trainiert, dadurch der Selbstwert gestärkt“, fügte der therapeutische Leiter Uwe Kley hinzu. Seinen Worten zufolge war es nicht nur herausfordernd für die Patienten, das Projekt zu stemmen, dabei aufeinander einzugehen, Kritik und Rückschläge zu akzeptieren, gemeinsam neue Lösungen zu denken, sondern all das ohne den Einfluss von Suchtmitteln zu schaffen.

Diese Erfahrung war für die drei Patienten absolut neu. „Bisher hatte ich alles, was ich künstlerisch geschaffen habe, unter Drogen realisiert. Durch diese fühlt man sich zwar kreativ und motiviert, aber das Glücksgefühl stellt sich nicht ein“, erklärt Holger Brauer. „Jetzt ist es so, als hätte jemand das Licht in mir wieder angeknipst“, beschreibt Martin Cygan sein Gefühl nach dem realisierten Projekt. „Es ist wie der erste Frühling nach vielen Jahren der Dunkelheit“, meint Patrick Schliefke.

Alle drei sind sich einig, dass ihr Entschluss, Drogen aus ihrem Leben zu verbannen, einen Entzug durchzustehen und eine Therapie in Römhild zu absolvieren, absolut richtig war. Hier haben sie eine temporäre Heimat in familiärer Atmosphäre gefunden, resümieren sie. „Kürzlich war ich an einem Wochenende in meiner Heimat und als ich losfahren wollte, habe ich gesagt, ich muss jetzt nach Hause“, erklärt Patrick Schliefke wie sich Römhild für ihn anfühlt. Die Natur und die Gegend finden sie außergewöhnlich schön. Und nachdem sie zunächst zu Beginn ihrer Aufenthalte dachten, es verschlage sie in eine verlassene Gegend, können sie nun schätzen, was ihnen die Ruhe am Fuße der Gleichberge gibt.

Natürlich kamen sie vor ein paar Monaten alles andere als entspannt und reflektiert in Römhild an. Hinter allen dreien liegen Jahre voller Drogenexzesse, Gewaltspiralen, Depressionen. Sie kämpften gegen Ängste, betäubten sich, verloren sich und ihr wahres Wesen – bis zu einem Punkt, an dem ihnen klar wurde, dass es so nicht weitergehen kann, wenn das Leben wieder erfüllend werden soll.

Die Gründe, die einen suchtkranken Menschen letztendlich zu Median nach Römhild bringen, sind so individuell wie jeder Mensch und seine Geschichte. Das Ziel ist jedoch gleich: Die Rückkehr in ein suchtfreies, selbstbestimmtes Leben.

„Der Weg dahin gestaltet sich vielschichtig“, weiß Uwe Kley, der gemeinsam mit dem Median-Team für jeden Menschen den richtigen Weg aus der Sucht sucht. Dazu gehören Einzelgespräche, Gruppentherapien, Beschäftigungen, Praktika, Wiedereingliederungen. „All das dauert bei uns mindestens ein halbes Jahr, gegebenenfalls länger. Und erst nach zwei Jahren lässt sich wirklich sagen, ob jemand die Sucht überwunden hat. Erst dann sind Vorgänge im Körper soweit neu programmiert, dass Suchtmittel keine Rolle mehr spielen“, erklärt der Spezialist.

„Weil die Patienten also eine lange Zeit bei uns verbringen, wollen wir natürlich mit ihnen gemeinsam ihre temporäre Heimat gestalten. Wir planen mit unserem gesamten Ergotherapeutischen Team weitere Kunstprojekte auf unserem idyllischen Klinikgelände und haben bereits Gruppenräume mit den Patienten zusammen hergerichtet“, sagte Harald Schlögel.

Die drei Graffiti-Künstler wollen noch in diesem Jahr wieder in ihr Leben außerhalb der Klinik zurückkehren – teilweise in ihre frühere Heimat, teilweise in einem neuen Umfeld. Sie fühlen sich gestärkt durch ihr Projekt, durch Freundschaften, tiefe Gespräche. Und sie nehmen Erinnerungen und Erfahrungen mit. Wie zum Beispiel, die, dass man selbst als einst extremer Hooligan ohne Drogen und Gewalt mit Fans anderer Mannschaften Fußball schauen und dabei Spaß haben kann. Dass es Menschen gibt, die ähnliche Probleme haben und Neuanfänge wagen. Und sie wissen in Zukunft, wie sich Glück ohne Drogen anfühlt und dass die Gesellschaft Raum und Fürsorge für Menschen bietet, die Hilfe brauchen.

Autor

Bilder