Verbindung aus Alge und Bakterium Forscher entdecken unbekannte Lebensform

/Markus Brauer
Der schwarze Pfeil zeigt den Nitroplast – eine Art Miniorgan oder Organell – in der aus Meeresalge und Cyanobakterium fusionierten Alge. Foto: Tyler Coale

Eine Alge macht einen ungewöhnlichen Evolutionssprung: Sie verbindet sich mit einem Cyanobakterium und macht es zu einer Art Mini-Organ. Dadurch wird die Alge zum ersten höheren Lebewesen, das Stickstoff aus der Luft verwerten kann. Lässt sich auf diese Weise in Zukunft auch Dünger für die Landwirtschaft gewinnen?

 
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Die Biologiebücher könnten umgeschrieben werden: Ein Forscherteam präsentiert eine bislang unbekannte Lebensform, die reinen Stickstoff in lebenswichtige Verbindungen umwandelt. Nach bisherigem Wissen sind nur Bakterien und ähnliche Mikroorganismen (sogenante Archaeen) dazu fähig.

Verbindung von Meeres- und Blaualge

Doch nun entdeckte das Team um Jonathan Zehr von der University of California in Santa Cruz eine einzellige Meeresalge namens Braarudosphaera bigelowii, die auf besondere Weise mit einem Cyanobakterium (auch bekannt als Blaualge) fusioniert ist. Das Bakterium hat dabei so viele Gene verloren, dass es nun als Organell dient – eine Art Mini-Organ in den Algenzellen. Als Organell bezeichnet man abgrenzte Bereich einer Zelle mit einer besonderen Funktion, Mitochondrien, Zellwand, Chloroplasten oder auch der Zellkern.

Zur Info: Cyanobakterien besitzen die Fähigkeit zur oxygenen Photosynthese, dass heißt: Sie wandeln in einem biochemischen Vorgang Lichtenergie mit Hilfe von lichtabsorbierenden Farbstoffen wie Chlorophyll in chemische Energie um.

Meeresalge + Cyanobakterium = Nitroplast

Das Fachblatt „Science“ hat die Studie über das Stickstoff-fixierende Organell sogar  zu seiner  aktuellen Titelstory erhoben. Nach Meinung der Forscher können ihre Erkenntnisse einmal zur Entwicklung von Pflanzen beitragen, die ihren eigenen Dünger herstellen sollen.

Das Forscherteam nennt das Organell Nitroplast – in Anlehnung an Stickstoff (englisch: Nitrogen) und an Chloroplasten - die grünen Zellbestandteile der Pflanzen, die Sauerstoff produzieren. Deren Vorläufer – auch ein Cyanobakterium – war ebenfalls in eine größere Zelle eingewandert, aus der später alle Pflanzen hervorgegangen sind.

Verbindung ist mehr als nur eine Symbiose

Rund 80 Prozent der Luft bestehen aus Stickstoff (N2), doch Pflanzen und Tiere können ihn nicht verwerten. Einige Pflanzen beherbergen in ihren Wurzelknöllchen Bakterien, die Stickstoff aus der Luft in nutzbare Verbindungen umwandeln. Dazu zählen Bohnen und andere Hülsenfrüchtler, die den Boden dann mit natürlichem Stickstoffdünger versorgen.

Röntgentomografiebilder zeigen die Teilung von Zellen und Organellen. Die Röntgentomografie ist ein gegenüber der moderneren Röntgencomputertomografie ein älteres bildgebendes Verfahren zur Darstellung einer Schicht innerhalb des untersuchten Objekts, zum Beipiel einer Zelle. Foto: Valentina Loconte

Bislang nahmen Forscher an, dass das Cyanobakterium Atelocyanobacterium thalassa in der einzelligen Meeresalge Braarudosphaera bigelowii lebt. Es schien eine Symbiose zu sein: Das Cyanobakterium als sogenannter Endosymbiont sorgt für die lebensnotwendigen Stickstoffverbindungen, die Alge für den Kohlenstoff. Doch nun haben die Wissenschaftler genauer hingeschaut. Und: Die Verbindung ist demnach mehr als nur eine Symbiose zwischen zwei Lebewesen.

Mikroskopische Aufnahme der Meeresalge Braarudosphaera bigelowii. Foto: Kyoko Hagino

Bereits im März schrieb ein Team um Zehr im Journal „Cell“, dass die Wachstumsraten der Alge und des Cynobakteriums synchronisiert sind. Es bezeichnete das Bakterium als „organellenähnlich“. Die „Science“-Studie zeigt jetzt unter anderem, dass das Cyanobakterium eine Reihe von Proteinen aus seinen Wirtszellen aufnimmt, die es selbst nicht produzieren kann, weil es keine Gene mehr dafür hat.

Nitroplast entstand vor 100 Millionen Jahren

„Das ist eines der Kennzeichen dafür, dass sich etwas von einem Endosymbionten zu einem Organell entwickelt“, berichtet Zehr. „Sie fangen an, DNA-Stücke wegzuwerfen, und ihre Genome werden immer kleiner.“ Sie werden Zehr zufolge nach und nach abhängig davon, dass die Mutterzelle ihnen die entsprechenden Proteine liefert.

So fehlen dem Nitroplasten etwa Proteine, die zum Bau von bestimmten Aminosäuren oder Genbausteinen nötig sind. Die Proteine sendet die Algenzelle mit einer Art Adressaufkleber zum Nitroplasten. Zudem teilen sich Algenzelle und Nitroplast synchron. Jede neue Algenzelle erhält daher einen Nitroplasten. Das Cyanobakterium Atelocyanobacterium thalassa konnte noch nie einzeln im Labor kultiviert werden.

Cyanobakterien in einem See in Frankreich. Foto: Imago/Blickwinkel
Zitteralge (Nostoc), eine Gattung von Cyanobakterien – auch Blaualgen genannt –, unter dem Elektronenmikroskop. Foto: Imago/Blickwinkel

Zell-Kraftwerke wandeln Nahrung in Energieträger um

Es sei sehr selten, dass Organellen aus solchen Endosymbionten entstehen, erklärt Erstautor Tyler Coale. „Das erste Mal geschah es, als sich alles komplexe Leben entwickelte“, erläutert er mit Blick auf die Mitochondrien. Diese Kraftwerke der Zellen wandeln Nahrung in Energieträger um.

„Alles Kompliziertere als eine Bakterienzelle verdankt sein Dasein diesem Ereignis“, ergänzt Coale. „Vor etwa einer Milliarde Jahren geschah es erneut mit dem Chloroplasten, und das brachte uns die Pflanzen.“ Nach Angaben der Universität in Santa Cruz könnte der Nitroplast vor etwa 100 Millionen Jahren entstanden sein.

Neue Perspektive für Stickstoff-Umwandlung

Die Studie zeige, dass sich das Cyanobakterium von einem Symbionten zu einem Organell für die Stickstoff-Umwandlung (Stickstoff-Fixierung) – dem Nitroplasten – entwickelt habe, schreibt Ramon Massana vom Institut de Ciències del Mar (CSIC) in Barcelona in einem „Science“-Kommentar. Damit sei eine Funktion, von der angenommen wurde, dass sie nur von Bakterien und Archaeen ausgeübt wird, auf höhere Lebewesen ausgeweitet worden.

„Dieses System bietet eine neue Perspektive für die Stickstoff-Fixierung und könnte Anhaltspunkte dafür liefern, wie ein solches Organell in Nutzpflanzen eingebaut werden könnte“, so Coale.

Bislang wird Stickstoff aus der Luft im sogenannten Haber-Bosch-Verfahren zu Ammoniak umgewandelt, das eine Grundlage für Dünger ist. Das energieaufwendige Verfahren ermöglichte den Durchbruch für die industrielle Landwirtschaft, dabei entsteht aber viel Kohlendioxid.

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