Der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Stephan Harbarth geht in seiner Entscheidung aber noch einen Schritt weiter: Aus rechtlicher Sicht könne ein Kind auch mehr als zwei Elternteile haben. Zum Beispiel könnten auch Mutter, leiblicher Vater und rechtlicher Vater nebeneinander die Elterngrundrechte und die damit verbundene Verantwortung übernehmen. Eine Obergrenze definiert das Gericht nicht - schreibt aber im Urteil, dass die Zahl aufgrund der Kindeswohlorientierung des Grundgesetzes eng begrenzt sein solle.
Verhaltene Reaktionen - "Wollen keine Revolution machen"
Damit weicht das Verfassungsgericht von seiner bisherigen Linie ab - stößt aber auch gleich auf Skepsis: "Es gibt viele Fälle, in denen die Beteiligten Mehrelternschaft wollen, aber sie ausgerechnet in diesem Fall einzuführen, wo es überhaupt niemand will und wo der Streit ja vorprogrammiert ist, das ist absurd", sagt der Rechtsanwalt der Mutter im konkreten Fall, Dirk Siegfried. Die Frau selbst kam anders als bei der Verhandlung nicht nach Karlsruhe.
Für Tobias wäre das Konzept nach eigener Aussage zwar denkbar: "Solange es dem Kindeswohl dient und solange das Kind auch wahrnimmt, dass es von mehreren Elternteilen oder Erwachsenen geliebt wird, ist meines Erachtens alles in Ordnung." Aktuell sei er allerdings aus dem Familienverbund komplett ausgeschlossen. "Von daher weiß ich nicht, ob die Eltern sich dazu bereit erklären und diesen Schritt gehen würden."
Spekulationen dazu erteilt Bundesjustizminister Marco Buschmann schon wenige Stunden nach dem Urteil eine Absage: "Wir wollen eine ehrgeizige Reform des Abstammungsrechts durchführen, wollen aber keine Revolution machen", sagt der FDP-Politiker. In der Koalition bestehe Einvernehmen, dass das Konzept der Zwei-Elternschaft beibehalten werden solle.
Rechte leiblicher Väter stärken
Sollte der Gesetzgeber es bei zwei Elternteilen belassen, müssen leibliche Väter laut dem Urteil bessere Möglichkeiten als bisher haben, die Vaterschaft anzufechten. Das Gericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, bis Ende Juni 2025 eine neue Regelung dafür zu schaffen.
Das ist auch schon in Planung: Buschmann hatte vor dem Urteil eine Gesetzesreform angekündigt, auch um die Rechtsposition von leiblichen Vätern zu stärken, die als rechtliche Väter Verantwortung für ihr Kind übernehmen möchten. In im Januar vorgestellten Eckpunkten steht, dass kein Mann die Vaterschaft für ein Kind anerkennen können soll, solange ein gerichtliches Verfahren läuft, in dem ein anderer Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will. Die Gesetzentwürfe sollen noch im ersten Halbjahr 2024 folgen.
Bis zu einer Neuregelung gilt die aktuelle Gesetzeslage noch, damit leibliche Väter diesen Weg gehen können, wenn sie möchten. Betroffene dürfen laufende Verfahren aber auch aussetzen lassen. Tobias' Fall geht jetzt zurück ans Oberlandesgericht Naumburg.
Der 44-Jährige kündigt an, weiter das Gespräch mit der Mutter und ihrem Partner suchen zu wollen. "Ich möchte den Umgang ausbauen - im Idealfall, ohne dass wir uns hier vor Gericht rumstreiten müssen." Falls nötig, will er aber juristisch alle Hebel in Bewegung setzen, um rechtlicher Vater zu werden. "Ich möchte in ferner Zukunft nicht meinem Kind sagen müssen: "Ich hab' gekämpft, gekämpft, gekämpft und nur verloren"." Mit Blick auf seinen Sohn hoffe er, dass "ich irgendwann auch der Vater für ihn sein kann, der ich von Anfang an sein wollte".