Erfurt Die Zettelwirtschaft bei Arzneien soll ein Ende haben

Kommt ein Patient ins Krankenhaus, gibt es Informationsbedarf. Für den Patienten, Ärzte in der Klinik und den Hausarzt. Doch nicht immer kommen alle Informationen an. Digitalisierung kann das ändern, so die Barmer.

 
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Erfurt - Im Alter kann es schon einmal unübersichtlich werden auf dem Essenstisch. Nicht wegen der zunehmenden Zahl an Marmeladengläsern beim Frühstück. Nein, weil die Zahl der Medikamente im Alter häufig größer wird. Eine Tablette für den Blutdruck, eine für die Nieren, eine für oder gegen die Gerinnung. Da kommt schnell einiges zusammen.

Da können Patienten leicht den Überblick verlieren. Doch wie soll es dann erst Ärzten gehen, die diesen Patienten bislang gar nicht kennen. Im Krankenhaus zum Beispiel. Wo Patienten oft ungeplant eingeliefert werden. Gerade dann, wenn es sich im Notfälle handelt. Welche Medikamente die Patienten nehmen, die die Ärzte dann plötzlich vor sich haben, bleibt nicht selten im Dunkeln. Das zumindest belegen die Ergebnisse des aktuellen Arzneimittel-Reports der Barmer. Die Krankenkasse wollte in diesem Jahr von ihren Versicherten wissen, wie sie den Informationsfluss zwischen Hausarzt und Krankenhaus vor der Einlieferung ins Krankenhaus sowie zwischen Krankenhaus und Hausarzt nach ihrer Entlassung über ihre Medikamentierung einschätzen.

Die Ergebnisse sind zum Teil so ernüchternd, dass die Barmer das Kapitel "Arzneimitteltherapie" mit der Unterzeile "Riskanter Grenzübergang" versah. Knapp 3000 Versicherte wurden für den Report befragt, außerdem 150 Hausärzte. Das Ergebnis: Mehr als 62 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ihrem Hausarzt nicht mitteilen, wenn sie sich selbst medikamentieren. Und selbst dann, wenn sie über den seit einigen Jahren verfügbaren bundeseinheitlichen Medikationsplan verfügen, stehen dort längst nicht alle Medikamente drauf, die die Patienten auch wirklich nehmen.

"Patienten sind unnötigen Risiken ausgesetzt, wenn wichtige Informationen nicht oder nur lückenhaft zwischen den einzelnen Ärzten übermittelt werden", erklärte Birgit Dziuk, Landesvorsitzende der Barmer Thüringen, am Dienstag in Erfurt. Die Kasse will jedoch weder Ärzten noch Patienten den Schwarzen Peter zuschieben. Aus Dziuks Sicht seien weniger die einzelnen Ärzte Ursache für die Informationsdefizite, sondern der aus Sicht der Kasse unzureichend organisierte und nicht adäquat digital unterstützte Prozess des Informationsaustauschs. Dziuk ist schnell bei einem ihrer gesundheitspolitischen Lieblingsthemen der vergangenen Jahre: Der Trennung der Sektoren im Gesundheitswesen. Das bedeutet das Nebeneinander von ambulanter und stationärer Medizin. Also den niedergelassenen Ärzten auf der einen und den Kliniken auf der anderen Seite. Diese beiden Teile will die Barmer seit Jahren enger miteinander verknüpfen. Oder zumindest die Kommunikation untereinander verbessern.

Noch zu viele Zufälle

Die elektronische Patientenakte, die ab kommenden Jahr bundesweit kommen soll, sei dafür ein Anfang. Wie hoch der Druck sei, solche Systeme einzuführen, beweise die Initiative des Klinikums Eisenberg. Das hat sich seine eigene Cloud-Lösung geschaffen, auf die auch alle niedergelassenen Ärzte im Umfeld zugreifen können. Wenn die Patienten es denn erlauben.

Ulf Zitterbart, Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverbandes mit Hausarztpraxis in Kranichfeld, bestätigt, dass eine digitale Patientenakte ihm und seinen Kollegen den Alltag erleichtern könnte. "Durch die konsequente Digitalisierung aller zur Verfügung stehender Informationen über einen Patienten könnten wir Zeit gewinnen, die wir dann wieder in Gespräche mit den Patienten investieren könnten", sagt Zitterbart. Georg Matziolis, Ärztlicher Direktor der Waldkliniken Eisenberg, sieht in der Digitalisierung ebenfalls ein Hilfsmittel. "Zu erkennen, dass ein Patient eine Allergie hat und daher ein bestimmtes Medikament wahrscheinlich nicht vertragen wird, ist heute von vielen Zufällen abhängig: Hat der Patient einen Allergiepass, hat der Arzt diesen auch gesehen und gelesen. Wäre der Allergiepass in der Akte digital hinterlegt, dann würde sofort eine Warnung aufgehen, wenn der Arzt ein bestimmtes Präparat verordnenen möchte", erklärt Matziolis.

Wie groß der Handlungsdruck ist, zeigen die Zahlen der Barmer: Vor allem Polypharmazie-Patienten haben ein hohes Risiko, ins Krankenhaus zu kommen. Im Jahr 2017 traf dies laut Barmer auf mehr als 35 Prozent der Patienten ab 80 zu. Unter Polypharmazie versteht man, wenn ein Patient fünf Medikamente und mehr gleichzeitig einnimmt. Das traf 2017 auf rund 265 000 Thüringer Krankenhaus-Patienten zu.

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