Leonard Wilhelmi: Im Gegenteil. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, jahrzehntelang jeden Tag drei Mahlzeiten plus Snacks zu konsumieren. Das ist erst seit schätzungsweise 70 Jahren üblich. Einst folgten auf Völlerei lange magere Phasen. Der Körper braucht Pausen.
Raimund Wilhelmi: Die Kultur des Innehaltens ist uns auf vielen Ebenen abhandengekommen. Unser Leben ist von einer unglaublichen Hektik geprägt.
Und der entkommt man durchs Fasten?
Raimund Wilhelmi : Es stößt heilsame Prozesse an. Man kommt zur Ruhe, zu sich, zurück in einen natürlicheren Rhythmus. Das spüren immer mehr Menschen.
Viele haben das Intervallfasten für sich entdeckt, wo man täglich Essenspausen einlegt. Was halten Sie davon?
Raimund Wilhelmi: Das ist eine der effektivsten Formen, Gewicht zu halten. Auch ich praktiziere es regelmäßig.
Fasten einst und heute: Bemerken Sie Veränderungen? Etwa bei Erwartungen und Ansprüchen?
Leonard Wilhelmi: Früher kamen mehr Gäste mit gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht, heute sind sie jünger und fitter. Das Gesundheitsbewusstsein ist generell gestiegen – und Fasten durch die Coronakrise für viele eine Therapiemöglichkeit geworden. Heutzutage fastet man aber nicht, um schlanker und schöner zu werden, sondern um sich eine Auszeit zu nehmen. Es geht darum, Körper und Geist wieder auf null zu stellen. Wir haben uns schon immer als Mix aus Privatklinik, Fünf-Sterne-Hotel und Kloster begriffen. Inzwischen steht bei vielen aber das Klösterliche im Mittelpunkt.
Corona hat mehr Digitalisierung und das Homeoffice gebracht. Merken Sie Auswirkungen auf Ihren Betrieb?
Leonard Wilhelmi: Während der Pandemie wollten einige unsere Gäste daheim betreut werden. Daher bieten wir nun im Online-Shop eine Fastenbox für alle an. Und wir haben eine App, wo wir Informationen teilen und eine digitale Fastenbegleitung anbieten. Dort sind viele Infos über das Heilfasten abrufbar.
Fasten sie nun auch selbst?
Raimund Wilhelmi: Ja, vor Ostern vier Wochen lang, wie jedes Jahr. Im Herbst dann noch mal zwei Wochen.
Leonard Wilhelmi: Zeitlich passt für mich der Jahresbeginn besser. Und Juni – da sehe ich dann pünktlich zu meinem Geburtstag wieder frischer aus. (lacht)
In vierter Generation
Zur Person
Raimund Wilhelmi (73), eigentlich Jurist, leitete die Buchinger-Wilhelmi-Klinik in Überlingen am Bodensee fast 40 Jahre lang. Gegründet hat sie sein Großvater, der Marinearzt Otto Buchinger (1878–1966), der um 1920 das Heilfasten entwickelte. 2019 gingen die Geschäfte an Wilhelmis Sohn Leonard Wilhelmi (35) über. Der Betriebswirt und zertifizierte Fastenleiter führt die Klinik in vierter Generation.
Heilfasten
Es gibt die unterschiedlichsten Formen des Fastens. In Europa am verbreitetsten ist das Heilfasten. Dabei verzichtet man sieben bis 28 Tage lang auf feste Nahrung. Auf einen Entlastungstag, etwa mit Reis, folgt eine vollständige Darmentleerung. Danach gibt es nur Wasser, Kräutertee sowie je 0,25 Liter Gemüsebrühe und Obst- oder Gemüsesaft. Zum Fastenbrechen eignet sich ein Apfel. Im Anschluss muss sich der Körper durch Aufbautage langsam wieder an feste Nahrung gewöhnen.