Neben den technischen Voraussetzungen wurde auch das Thüringer Schulgesetz in direktem Bezug auf den Vorfall am Gutenberg-Gymnasium überarbeitet. Heute sieht es vor, dass Gymnasiasten am Ende der zehnten Klasse den Realschulabschluss erwerben können. Der Täter wurde in der Oberstufe der Schule verwiesen und stand ohne Abschluss da. Da er zu dem Zeitpunkt schon volljährig war, wurden die Eltern über den Verweis ihres Sohnes nicht von der Schule informiert. Auch das ist heute anders. Eltern volljähriger Schüler werden über besondere Ereignisse durch die Schule in Kenntnis gesetzt.
Der wichtigere Schritt ist für Alt die Prävention. Seit knapp zwei Jahrzehnten setzt sie sich nach eigenen Angaben dafür ein, dass es in Schulen Sozialarbeiter und einen schulpsychologischen Dienst gibt.
An Schultagen gehen etwa 650 Schülerinnen und Schüler und 60 Lehrkräfte ein und aus am Gutenberg-Gymnasium. Nach dem 26. April 2002 wurden umfangreiche Rekonstruktions- und Umbauarbeiten an dem Gebäude vorgenommen. Der Schulbetrieb wurde erst drei Jahre später wieder in dem Haus aufgenommen.
«Wir wurden dann ausquartiert und dann haben sie die Schule komplett verändert», erinnert sich die ehemalige Schülerin Nathalie, heute 32. «Dann waren viele sehr beliebte Lehrer und Lehrerinnen weg. Und auch deine vertraute Umgebung - der Schulhof, und der Baum, den du so mochtest - das war plötzlich alles weg und anders.» Der Schulalltag sei noch lange Zeit nach der Tat «echt mitgenommen» gewesen. Viele hätten versucht, die Schule zu verlassen. Auch Nathalie wollte wechseln, doch es klappte nicht. Noch Jahre später schließt sie eine Wohnung in der Nähe der Schule aus. Zu schmerzhaft die Erinnerung. Menschenmassen behagen ihr nicht, Filme mit Schusswaffen setzen ihr zu. Doch mit den Jahren verblassen die Erinnerungen.
Was seit 2002 als Konstante geblieben ist, sind die jährlichen Gedenkveranstaltungen. 2022 ist der Tag etwas anders als in den Jahren zuvor gestaltet, sagt Schulleiterin Alt. Mit Teilen ihrer Biografie sollen die Opfer in den Ansprachen detaillierter porträtiert werden. Nach 20 Jahren gibt es außer 13 Lehrkräften keine Personen mehr an der Schule, die Zeitzeugen sind.
Es gehe beim Gedenken im Kern darum, den Opfern nahe zu sein, sagt Alt. Sie denen nahe zu bringen, die sie nicht kannten, um das Ausmaß des Verlustes und die Achtung vor dem Leben zu vermitteln. «Eines Tages gibt es auch keine Zeitzeugen mehr in Form von Lehrkräften. Auch dann wird das Gedenken zu dieser Schule gehören.»