Bad Salzungen Corona-Zahlenwirrwar im Wartburgkreis

Wochenlang zählte das Landratsamt weniger Neuinfektionen im Wartburgkreis und in Eisenach als alle anderen Corona-Statistiker und auch die Heimatzeitung.

 
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Bad Salzungen - Das Vertrauen in Statistiken kommt leicht ins Wanken, wenn unterschiedliche Zahlen über den gleichen Sachverhalt kursieren. Das gilt nicht nur für die US-Wahlen, sondern auch für die Corona-Pandemie. Bei der blickt seit Wochen alles auf eine magische Zahl: Die Sieben-Tage-Inzidenz, also die auf 100.000 Einwohner umgerechnete Zahl neu registrierter Infektionen binnen einer Woche. Liegt sie in einer Region bei weniger als 35, steht die Corona-Ampel dort auf Grün. Was heißt: Es gibt so wenige Ansteckungen, dass keine besonderen Schutzmaßnahmen nötig sind.

Der Wartburgkreis genießt seit Wochen diese komfortable Situation, damit gehört unser Landkreis zu den aktuell am wenigsten von Corona betroffenen Regionen Deutschlands überhaupt. Nur in einigen norddeutschen Landkreisen ist die Infektionslage noch entspannter. Wer in den vergangenen Tagen genauer hinschaute, dem fiel auf, dass die vom Landratsamt veröffentlichten Inzidenzwerte noch ein Stück niedriger waren als jene ohnehin schon geringen, die alle anderen Quellen angaben. So vermeldete das Bad Salzunger Gesundheitsamt am 9. November für den Wartburgkreis einen Inzidenzwert von 17, während zum Beispiel der MDR und diese Zeitung die Zahl 24 angaben.

Die Abweichungen entstanden durch eine eigenwillige Rechenmethode des Landratsamtes. Bundesweit gibt es einen Zähl-Standard, der sicherstellt, dass die Zahlen einzelner Kreise auch untereinander vergleichbar sind. Demnach errechnet sich der Inzidenzwert allein aus der Zahl der in der Woche neu hinzugekommenen positiv Getesteten - egal, wie viele Covid-19-Patienten in der gleichen Zeit wieder genasen.

Die Wartburgkreisbehörde jedoch rechnete diese - vom Gesundheitsamt als nicht mehr aktiv geführten - Fälle aus der Statistik heraus. So jedenfalls lesen sich die Erklärungsversuche, die das Landratsamt anstellte, nachdem sich immer mehr Bürger wunderten, warum sie beim Robert-Koch-Institut, bei der Landesregierung sowie bei MDR und Tageszeitung andere Zahlen lasen als auf der Landkreis-Homepage.

Es dauerte indes bis Anfang der Woche, bis Landrat Reinhard Krebs (CDU) schließlich einräumte, durch die spezielle Zählmethode entstehe ein "eher verwirrender Eindruck". Seine Lösung des Mathematik-Problems: Der Landkreis veröffentlicht gar keine eigenen Inzidenz-Zahlen mehr, sondern verweist auf die täglichen Statistiken des Robert-Koch-Instituts, die immer um Mitternacht aktualisiert und ins Internet gestellt werden.

Hier allerdings liegt eine weitere Quelle von Zahlen-Differenzen, für die diesmal das Landratsamt nichts kann.

Unterschiedliche Ergebnisse entstehen nämlich nicht nur durch abweichende Zählregeln. Auch der Zeitpunkt, zu dem man Daten abfragt und weiterleitet, beeinflusst die Zahl, die am Ende herauskommt und zu lesen ist.

Die Daten aus den Kreisen und kreisfreien Städte laufen natürlich zunächst bei den örtlichen Gesundheitsämtern ein. Niemand hat aktuellere Zahlen als die Landratsämter. Wann und mit welchem Stand die Daten aber abgefragt und veröffentlicht werden, entscheidet jede Behörde selbst. So kommen aus Bad Salzungen immer am frühen Nachmittag die aktuellen Tageswerte. Andere Kreisverwaltungen aktualisieren mehrmals täglich, noch andere machen morgens die Feierabend-Zahlen vom Vortag publik. Unsere Zeitung greift immer auf die Gesundheitsamts-Daten zurück, die bis 18 Uhr vorliegen. Diese veröffentlichen wir abends auf insüdthüringen.de und am nächsten Tag in der Zeitung, etwa auf unserer täglichen Corona-Landkarte von Südthüringen und Umgebung.

Die Thüringer Landesregierung und viele überregionale Medien holen ihre Daten allerdings vom Robert-Koch-Institut (RKI). Bis die Landkreis-Zahlen auch in die RKI-Datenbank einlaufen, kann es mehrere Tage dauern.

Zudem aktualisiert das RKI seine Statistik nur einmal täglich, um Mitternacht. Wer die RKI-Tabellen im Laufe des Tages aufruft, bekommt also immer die Daten präsentiert, die am Vortag in Berlin vorlagen. So kommt es, dass beispielsweise am Freitagnachmittag abgerufene RKI-Daten je nachdem den Infektionsstand von Donnerstagfrüh, Mittwochabend oder gar von Dienstag wiedergeben.

Die vielerorts veröffentlichten und weiterverarbeiteten RKI-Zahlen hinken der Realität also häufig um zwei bis drei Tage hinterher. Das gilt auch für die Sieben-Tage-Inzidenz.

Und schließlich gilt für all diese Zahlenspiele: Sie sind nur ein mathematisches Abbild eines Geschehens, das sich selbst überhaupt nicht um Statistiken schert. Denn die Verzögerungen und Unstimmigkeiten beim Zählen stehen erst am Ende einer Kette, die schon viel früher beginnt. Denn erst kommt die Ansteckung, dann Symptome bei den Betroffenen. Manche werden schließlich getestet. Dann wird auf die Ergebnisse gewartet. Und erst dann taucht eine vorhandene Infektion auch auf den Datenblättern und in den Excel-Tabellen der Statistiker auf.

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