Thüringer helfen "Dass mir noch einer hilft ..., das hätte ich nicht gedacht"

Von Klaus-Ulrich Hubert

Nach der Sintflut kam die Welle der Hilfsbereitschaft: Vier Opfer des Wahnsinns-Regens Ende Mai in Ilmenau wurden in ihrem völlig unerwarteten Schicksal nicht alleine gelassen. Zeitungsleser unterstützen den Neuanfang.

 
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Ilmenau - Es kommt während der Spendenübergabe in der Ilmenauer Freies Wort -Geschäftsstelle gleich drei Mal, dieses sehr, sehr herzliche Dankeschön von Sylvia Schmidt: "Dass mir noch einer hilft ... das hätte ich wirklich nicht gedacht".

Dass es ihr wirklich von Herzen kommt, ist ihr deutlich anzumerken, während die ehrenamtliche Finanz-Zuständige des Vereins "Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander", Barbara Gerhardt, die Rechnung für die wichtigsten Möbel-Ersatzbeschaffungen entgegennimmt.

Sylvia Schmidt unterschreibt für den finanziellen Rahmen von 3000 Euro aus Leser-Spendenmitteln. Ihr Glück im Unglück nach dem Sintflut-Tag vom 29. Mai unterm Kickelhahn: Sie konnte mit einigen geretteten Habseligkeiten zunächst bei ihrer Tochter unterkommen. "Ich hatte ja nach den ersten Wochen - außer durch meine Tochter und die Freistellung beim Arbeitgeber - nicht gedacht, dass mich tatsächlich noch jemand derart unterstützt."

Einzug ohne Umzug

Von der Wohnung ihrer Tochter aus konnte Sylvia Schmidt zwei Monate lang in Ruhe auf Suche nach einer regensicheren Dauer-Bleibe gehen. Im studentisch-wohnlich ausgebuchten Universitätsstädtchen ist das zunächst nicht so einfach.

Ihre bisherige Wohnung in der Goetheallee war mangels Abwasserrückstau-Klappe komplett durch Fäkalabwasser geflutet. Während sie also noch trocknete und lange vor sich hin stank, war an den Kauf neuer Möbel im zeitweiligen Asyl bei der Tochter nicht zu denken.

Doch nun endlich: Sylvia hat nur noch eine Weiterbildung in Berlin zu absolvieren. Wenn danach der Möbelwagen kommt, fährt der keinen Umzug von Wohnung zu Wohnung, sondern ihren nahezu kompletten Neu-Einzug ab Einrichtungshaus.

Ihr Glück im Unglück: Sylvia ist Küchenplanerin bei einem bekannten Möbelhaus in Erfurt.

Und vom Arbeitgeber kommt für die Mitarbeiterin bereits frühzeitig die zusätzlich aufbauende Zusage, ihre Kaufkraft der 3000 Spenden-Euro noch kräftig zu stärken - durch spürbare Rabatte. Ebenso handhabt es gerade in Absprache mit dem Hilfsverein die Ilmenauer Filiale des Möbelhauses Schulze. Hausleiter in Ilmenau ist dabei seit 25 Jahren Mario Zentgraf - ein Wiederholungstäter in Sachen Hilfe in Not.

Schon 2006 Hilfepartner

Vor genau zehn Jahren war Zentgraf mit dem Einrichtungshaus an der B4 des Ortseingangs Ilmenaus schon einmal Partner einer ganz großen "Freies Wort hilft"-Aktion: "Damals, als im Januar 2006 das soeben sanierte Altstadt-Häuschen von Familie Unger komplett niederbrannte. Und denen nichts als das buchstäblich nackte Leben blieb."

Zentgrafs Mitarbeiterin Jana Lörzer schmunzelt jetzt, weil ihr junger, flotter Liefer- und Montagekollege Benjamin Fischer verwundert auf die eingetragene Summe von 3000 Euro auf dem roten Symbol-Scheck des Hilfevereins zeigt.

"Wir hatten ja " - und Benjamin lacht nun so richtig herzhaft - " zum Glück nicht bis ganz oben, in den fünften Stock des Blocks im Ilmenauer Neubauviertel Pörlitzer Höhe anzuliefern. Aber es war viel mehr als das, was man sich normalerweise für 3000 Euro leisten kann."

Mario Zentgraf sagt dezent, zurückhaltend und gar nicht mit geschäftsmännischem Gebaren zur kräftigen Unterstützung seines Einrichtungshauses für die jüngste Hilfs-Aktion in Ilmenau: "Alles, was sich Frau Bielert und ihr Söhnchen bei uns hier aussuchen konnten, kam in den Lieferwagen: Vom Jugendzimmer und Hochflorteppich, einem Schlafzimmer samt Bettwäsche bis zu Sitz- und Wohnzimmermöbeln. Insgesamt acht Positionen."

Dann blicken er und seine Mitarbeiter auf die Uhr: "Und? Wie? Paar Minuten noch, dann müssen wir aber weiterarbeiten", sagt Zentgraf .

Auch wegen des vorbereiteten Foto-Termins mit einer weiteren Empfängerin von Leserspenden und Möbelhaus-Lieferungen. Die junge Francis, die auch ohne Flut auf Grundsicherung angewiesen ist. Der Übergabe-Termin platzt zwar heute - die Hilfe kommt trotzdem an.

"Hauptsache, ihr Kleiner hat endlich wieder ein schönes Zuhause", sagt Kai Hesbacher. Der Dritte im Bunde der Ilmenauer Flut-Hilfe-Empfänger weiß, wovon er redet.

Er war am 29. Mai nicht daheim - und musste nachher feststellen, dass ihm die Wassermassen neben der Wohnungseinrichtung alles genommen hatten, was nicht matschwasser- und fäkalienresistent war.

"Oder eben oberhalb des maximalen Wasserstands von 80 Zentimetern in meiner Tiefparterrewohnung Ehrenbergstraße halbwegs sicher stand", ergänzt der freundliche Nachtportier des hoch über Ilmenau gelegenen Hotels Gabelbach. Dort, neben dem bekannten Goethe-Berg Kickelhahn, wo ihn sein Arbeitgeber seit Ende Mai ebenfalls Übergangs-Wohnraum nutzen lässt. Eine Fußminute vom nächtlichen Arbeitsplatz in der Hotellobby entfernt.

Dass Vaters "Junggesellenbude ja immer schöner" werde, hatte sein Sohn Micha noch kurz vor seiner letzten Abreise zur Mutter nach St. Petersburg konstatiert.

Dann kam Ende Mai der sintflutartige Regen, und da rächten sich die Öko-Sünden vergangener Jahre: Immer mehr Bodenflächen sind in der Stadt versiegelt worden. Folge: Oberflächenwasser konnte nicht schnell genug abfließen oder versickern. Es überforderte im gigantischen Maße die Rohre, drückte das Stinkebrühe-Gemisch aus der Kanalisation überall dort rein, wo keine Rückstauklappe den Weg durchs Klosett versperrte.

Rückstauklappen sind in Ilmenau und vielerorts nur Empfehlung, keine Vermieter- oder Bauherrenpflicht, heißt es von Geschädigten. Doch im Gegensatz zu auswärtigen Vermietern wie dem von Sylvia Schmidt in der Goetheallee lernte Kai seine einheimische Vermieterin Oxana Macholdt vom gleichnamigen Ilmenauer Gesundheitshaus nun erst so richtig kennen. "Als sehr hilfreich und entgegenkommend!" Das betont ein überglücklicher Kai Hesbacher, dem gleichen Tages von "Freies Wort hilft" 2000 Euro für die komplette Neuausstattung seiner 45-Quadratmeter-Junggesellenbude im Tiefparterre zugesagt werden.

Dass er "jetzt aber leider sofort nach Berlin" muss, wie er sagt, hat einen ebenfalls erfreulichen Grund. "Mein Sohn Micha landet heute aus St. Petersburg. In der Ostseestadt, wo er mit meiner Ex-Frau lebt, da beginnen seine viel späteren, aber viel, viel längeren Sommerferien."

Aufbauhelfer aus Russland

Wie Vater und Sohn die nutzen, um im September die über ein Vierteljahr vom Vermieter kostenintensiv elektrisch getrocknete und komplettsanierte Wohnung neu einzurichten? "Ich sage ganz tollen, ganz herzlichen Dank! Für die Spenden von Zeitungslesern und von den kleineren Ilmenauer Initiativen!"

Kai Hesbacher würde gern andere an seinem "Ferienabenteuer der anderen Art" mit Micha teilhaben lassen, wenn das Zuhause des Informatikers und Hobbydesigners an der Seite seines Söhnchens buchstäblich aus den Fluten neu entstehen kann. "Durch eure Hilfe. Bitte vergessen Sie nicht, das Ihren Lesern und Spendern so zu übermitteln, okay?"

Unvergessen bleiben die Flut und die nachfolgende Hilfe auch für Peggy Hörnlein. Die rührige, quirlige Mutter ist Vorsitzende des Reitvereins im Ilmenauer Stadtteil Oberpörlitz, und sie beschließt gerade nach langen Abwägungen mit Reiterhof-Chefin Heike Hörnlein: "Wir sagen die herbstlichen Kreis-Kinder- und Jugendspiele im Pferdesport wohl lieber doch nicht ab!"

Ross und Reiter

Dem Hof und 115-köpfigen Verein mit seinen meist sehr jungen Mitgliedern aus unterschiedlichsten sozialen Schichten waren am 29. Mai hohe Schäden entstanden. Allein beim Verein sind es 30 000 Euro.

Deren Behebung ist nicht annähernd durch Versicherungen gedeckt. Vorsitzende Peggy: "Aber wir sind Realisten, wissen ja auch, was das Zeitungshilfswerk schon geleistet hat und leistet ..."

Wenn nun sicher scheint, dass am 23. Oktober von 9 bis 16 Uhr in Ilmenau-Oberpörlitz die jüngsten Pferdesportler ihr Können messen, wird ein Dankeschön vom Reitplatz-Moderator per Megafon auch an die Heimatzeitung gehen.

Hilfsvereins-Vorstand Kersten Mey nannte zu dem vierten Ilmenauer Hilfeersuchen jetzt Ross und Reiter: "2000 Euro, damit Training und Leistungsvergleich der Vier- bis 18-Jährigen nicht mit dem sintflutartigen Regen buchstäblich den Bach runter gehen", sagte Mey gegenüber der Reitvereinsvorsitzenden und Trainerin Peggy Hörnlein.

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