Thüringer helfen Nur noch stinkender Sperrmüll: "Sie haben mein Mitgefühl!"

Ilmenau - Die hölzerne Messlatte in Kai Hesbachers Tiefparterre-Zimmer hat eine matschige Markierung.

 
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Dort wo ein Frosch-Bildchen für 80 Zentimeter Höhe vom Boden steht, hatte das herangurgelnde Wasser aus dem übergelaufenen Ilmenauer Teichgebiet am 29. Mai seinen Höchststand. Mitten in der Wohnung. Kai Hesbachers teils bei der Mutter in St. Petersburg, teils in Ilmenau lebender Sohn Michael hatte Vaters Wohnung kürzlich attestiert: "Deine Junggesellenhöhle wird immer wohnlicher."

Micha, zwölf Jahre alt, ist längst über die maximale Höhe der Messlatte hinaus gewachsen. Nur die bleibt noch als makabre Erinnerung an das Wasser, während Handwerker im Vermieterauftrag alles im Tiefparterre des vielfältig genutzten Neubaus in der Ehrenbergstraße erneuern. Begleitet vom Sound der Trocknungsaggregate.

Derweil fand Kai Hesbacher hoch über Ilmenau, im Hotel Gabelbach Asyl. Dort arbeitet der studierte Informatiker und Hobby-Designer als Nachtmanager. Sofort nach der Überschwemmung kam das Angebot seines Arbeitgebers, während der Wohnungssanierung im Hotel zu schlafen. Hesbacher sagt: "Eigentlich kommt im Sommer immer mein Micha aus Russland zu mir, wir unternehmen viel zusammen." Jetzt will der Junge im fernen St.Petersburg kaum glauben, was für Fotos ihn von Papas Wohnung erreichen: Kein einziges Möbelstück hat überlebt. Malereiutensilien, Bücher, Andenken, Wäsche - alles Sperrmüll. Samt der Sammel-Mappen mit seinen gemalten Acrylbildern.

Als die 45 Quadratmeter-Mietwohnung absäuft, kann Kai Hesbacher nichts retten, weil er gerade seine Großmutter in Coburg besucht. Die Versicherungsauskunft kommt schon eine Woche später: Er sei zwar gegen Wasserleitungsschäden und Einbruch versichert, nicht aber gegen Wasser-Einbruch infolge von Elementarereignissen, heißt es.

Dem 44-jährigen und seinem Sohn blieb nichts Brauchbares mehr aus der Wohnung. Nur die bis zur Wiederbewohnbarkeit mietfrei gestellten, durchnässten vier Wände.

"Und Erinnerung an meine zuvor exakt 2400 Nächte ohne Vorkommnisse auf Arbeit im Hotel, den ruhigen Feierabend danach hier unten."

Ein kleines, abstraktes Acrylbild holt Kai Hesbacher aus seinem Auto. Das hat er für den Hilfeverein seiner Heimatzeitung gemalt. Thema: Wasser - Fluch und Segen. So wie er können sich - neben vielen anderen Ilmenauern - auch Francis Bielert und Sylvia Schmidt ihre Versicherungsbescheide höchstens einrahmen.

Hätte Sylvia Schmidt vielleicht besser angegeben, ihr sei die Badewanne übergelaufen, die Leitung geplatzt? "Doch aus der kommt ja keine braune Fäkalbrühe geschossen. So wie sie aus meiner Toilette, während ich in Langewiesen in der Kulturfabrik half." Die Fünfzigjährige guckt kopfschüttelnd durch die große Scheibe ihrer kleinen aber bislang feinen Souterrain-Mietwohnung in der Goetheallee - von außen. Den Gestank innen ahnt man nur wegen der eingetrockneten bräunlichen Kruste auf hellen Bodenfliesen.

Eines aber stinkt der Kauffrau eines Erfurter Möbelhauses besonders. Die Wohnung, in die während kaum zwei Nutzungsjahren (bei 1200 Euro Vermittlungsprovision) so viel für schönes Wohnen investierte, sie bleibt für Sylvia verschlossen.

"Statt zeitweiligem Ersatzwohnraum bei Mietverhältnis-Fortbestand hier, diese Eigenbedarfs-Kündigung des Vermieters."

Während Sylvia in Ilmenaus Altstadt bei der Tochter aufgenommen wird, grübelt sie über vielerlei: Von der Post ihres Telefon-Anbieters, sie müsse bei beantragter außerordentlicher Kündigung "den Nachweis der Nichtnutzbarkeit des Anschlusses" beibringen, bis hin zu des Herrn Vermieters Satz: "Sie haben mein Mitgefühl!" Sylvia grinst bitter. Mitgefühl aber hatte zumindest ihr Arbeitgeber, der sie für viele schlimme Unwetterfolgen-Tage freistellte.

Ohne Job, nur von Grundsicherung und Kindergeld samt Obhut einer Betreuerin lebend: Im Parterre ihres soeben sanierten Plattenbaus in der Hertz-Straße teilt auch Francis B. das Versicherungs-Ablehnungs-Problem. "Sicherungsklappen gegen Abwasserrückstau? Die sind in Ilmenau nur Empfehlung, nicht aber Pflicht für Vermieter", so Sylvia mit Blick auf ihren eigenen und Francis' sowie viele andere Fälle.

Francis haust jetzt mit ihrem schulpflichtigen Söhnchen zwischen wenigen zusammengeborgten Altmöbeln, schläft auf gestapelten Matratzen. Als die sintflutartigen Güsse über den Kanalisationsrückstau ihr WC-Becken zum (Zitat) "Scheiße-Vulkan" machten, saugte sich sämtliches Mobilar mit Fäkalien und Wasser voll. Kleinen Trost habe sie aber, so Francis: "Im August kann ich aufhören, Chlorreiniger und Luft-Verbesserer in Massen ran zu schleppen. Wir ziehen dann hoch, in den hoffentlich sicheren dritten Stock."

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