Jena - Die Stimmung ist gereizt. Als sich ein paar Leute vom Fernsehen an der Schlange wartender Menschen vorbei drängen, um ins Theaterhaus Jena zu gelangen, murrt die Menge. Sie wird wegen Überfüllung nicht mehr eingelassen. Aus der Schlange zischt jemand das Wort "Angstzone". Es klingt fast wie eine Drohung, dass die Fernsehfritzen gerne mal die Angstzone kennenlernen können, die sie in Jena ausgemacht zu haben glauben. Doch wahrscheinlich trifft es gerade die falschen TV-Schaffenden.

Denn der Anlass für das Streitgespräch am Montagabend im Theaterhaus ist ein ganz bestimmter Beitrag, der jüngst im ZDF-Kulturmagazin Aspekte lief. In diesem wird der deutsche Schriftsteller Steven Uhly bei einem Besuch in Jena gezeigt. Sein Vater stammt aus Bengalen in Südasien. Uhly (47) sagt von sich: "Ich sehe nicht deutsch aus." Er soll stellvertretend für Ausländer stehen, die in Jena, das wiederum stellvertretend für Ostdeutschland steht, Angst haben müssen. Für den in München lebenden Schriftsteller sei "selbst die Universitätsstadt Jena Teil der ostdeutschen Angstzone", heißt es in der Sendung. Er würde niemals in den Osten ziehen.

Nur Vorurteile gepflegt?

"Das ist harter Tobak", meint Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) drinnen im Theaterhaus. Groß ist der Saal nicht, die ungeputzten Wände geben ihm den Charakter einer Probebühne. Schröter wirft dem ZDF vor, Uhly zum Statisten in einem schlechten Film gemacht zu haben, der Stimmungsmache betreibe. Durch die Backsteinmauern dringt Johlen. Draußen harren trotz Kälte und nassen Neuschnees etliche Jenaer aus, um die hitzige Diskussion drinnen wenigstens auf einer Leinwand zu verfolgen. 4500 Leute haben einen Protestbrief an das ZDF unterschrieben.

Jena ist die Stadt, in der die drei Rechtsextremisten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe (bei Aspekte wird sie "Zäpsche" genannt) Bomben bauten und 1998 in den Untergrund gingen. Viele Künstler mit ausländischen Wurzeln hätten sich bei Aspekte gemeldet, sagt Redaktionsleiter Christhard Läpple, und über ihre Angst vor Neonazis berichtet. Neu für sie sei jetzt das Gefühl gewesen, in Deutschland nicht mehr geschützt zu sein.

Dass ausgerechnet Jena die Kulisse für eine auf Ostdeutschland beschränkte Ausländerfeindlichkeit abgibt, empört die Einheimischen doppelt. Zum einen, weil der ZDF-Beitrag seine steile These nicht belegt, sondern bloß in den Raum stellt. Zum anderen, weil das heutige Jena ausgeblendet wird, das die wohl weltoffenste Stadt in Thüringen ist und fast schon vorbildlich Rechtsextremen entgegentritt.

Hat das Mainzer ZDF mal wieder westdeutsche Vorurteile über den Osten auferstehen lassen? Warum haben Schriftsteller Uhly und die beiden Autoren des Beitrags nicht wenigstens mal mit Ausländern in der Stadt gesprochen? Aspekte-Chef Läpple räumt jedoch nur einen Mangel des Films ein: Der Veränderungswillen der Stadt sei nicht vorgekommen. "Das erkennen wir an, das bedauern wir."

Wirklich der einzige Mangel? Marco Guerzoni ist Dozent an der Universität Jena und Mitglied im Integrationsbeirat, der die Ausländer in der Stadt vertritt. Hunderte haben sich gerade an einer Umfrage über das Leben in Jena beteiligt. Demnach sind lediglich acht Prozent der Befragten mit der Sicherheit in der Stadt unzufrieden. 2,7 Prozent haben Angst, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Aber immerhin 57 Prozent sagen, Jena sei ihre Heimat. Genau das, erklärt Guerzoni auf der schwarz ausgeschlagenen Bühne im Theaterhaus, hätte man den ZDF-Leuten erzählt, wenn die gefragt hätten.

Nur wenige bei Demo

Mit dem wissenschaftlichen Blick des Soziologen hat sich Uni-Professor Klaus Dörre den Film angeschaut. Dieser reproduziere ein Stereotyp, das auf Jena nicht zutreffe, urteilt er. Die Autoren hätten sich nicht über die Lebenswirklichkeit in der Stadt informiert. Generell hingen wirtschaftlicher Niedergang und Aufschwung des Rechtsextremismus immer eng zusammen. Das gelte für alle Regionen im Abwärtstrend - in Ost- wie in Westdeutschland.

Selbst Schriftsteller Uhly beschwerte sich nach der Ausstrahlung, dass er von den ZDF-Machern auf Angst reduziert worden sei. Aber Dörre mag ihm das nicht recht abnehmen. "Ich glaube, er hat eine Möglichkeit gesehen, sein neues Buch zu promoten", hält ihm der Soziologe vor.

Jenas Oberbürgermeister Schröter bekam erst vor wenigen Tagen den "Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus" - durchaus stellvertretend für seine Stadt. Im vorigen Februar war er wieder unter den Gegendemonstranten bei einem großen Neonazi-Aufmarsch in Dresden. Seit 2007, als mehrere tausend Jenaer das rechtsextreme "Fest der Völker" blockierten, habe es keine größere Aktion mehr von Neonazis in der Stadt gegeben, sagt er.

Die Situation hat sich im Vergleich zu den 1990er Jahren offenkundig verbessert. Früher wurden Ausländer durch die Stadt gehetzt. Rechtsextreme gingen auf "Zeckenjagd". Von Beobachtung über Einschüchterung bis zu brutaler Gewalt habe es alles gegeben, sagt Katharina König von der Jungen Gemeinde, die für die Linkspartei im Landtag sitzt. Mit Vorliebe hätten Neonazis im Dekolleté junger Frauen brennende Zigaretten ausgedrückt.

König hat das nicht vergessen, selbst wenn es nach ihrer Ansicht seit 2005 eine Wende zum Besseren gibt. Trotzdem will sie der Aufregung, die einige Zuschauer im Theaterhaus in eine sehr aufgekratzte Stimmung versetzt, etwas entgegenhalten. Es sei "anmaßend", sagt sie, dass sich 4500 Leute über den Fernsehbeitrag empören, aber nur 300 zur ersten Demonstration für die Terror-Opfer kommen. Sie erinnert auch an die Befunde des Thüringen-Monitors. Was in den Köpfen der Thüringer drin steckt, kann nämlich wirklich Angst machen.

Die Wessi-Meinung

Demnach stimmen 56 Prozent der Aussage zu: "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet." Und 53 Prozent bejahen das Pauschalurteil: "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen." Sozialarbeiter Thomas Grund sagt, auch in Jena trauten sich Menschen nachts nicht in bestimmte Straßen. Marco Guerzoni vom Integrationsbeirat meint: Der ZDF-Film habe viele Ausländer in Jena zwar empört, was aber nicht heiße, dass nicht weiter gegen den Rechtsextremismus gekämpft werden müsse.

Aspekte-Chef Läpple zitiert dann noch aus einem Brief, den der Ex-Sprecher der Bundesregierung, Uwe-Karsten Heye, an die Redaktion geschrieben hat. Demnach sei die Reaktion in Jena auf den ZDF-Beitrag ein "typisch ostdeutscher Reflex", der die Abwesenheit von Trauer über die Terror-Opfer belege. Als das heraus ist, verliert sogar der Wissenschaftler die Beherrschung. "Heye hat keine Ahnung", schimpft Klaus Dörre. Wer sage, dass in Jena keine Trauer empfunden wird, lüge. Läpple verteidigt sich, er habe doch nur zitiert, worauf jemand im Publikum brummt: "Das ist eure Scheiß Wessi-Meinung." Willkommen bei den ostdeutsche Vorurteilen.

Auch wenn Aspekte Jena und den Osten einseitig in die braune Ecke gerückt hat: Muss deshalb gleich die Thüringer Landesregierung auf die Barrikade gehen? Im Theaterhaus ist es Regierungssprecher Peter Zimmermann, der den Film als "einseitig, tendenziös" und als "handwerklich grenzwertige Reportage" kritisiert. Für das ZDF, bei dem die Politik ohnehin gerne dazwischenfunkt, lässt das nichts Gutes ahnen. Die Thüringer Medienministerin Marion Walsmann (CDU) hat bereits eine offizielle Protestnote losgelassen.

Christhard Läpple kann sich dafür fast schon wieder gratulieren. Denn "offizielle Regierungskritik", wie er sie in Jena vom Regierungssprecher vernimmt, ist für einen Journalisten eigentlich eine Auszeichnung.

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Die Podiumsdiskussion in voller Länge:

www.jenatv.de/sendungen/sondersendungen.html