Dass nicht einmal fünfzig Meter hinter ihr der Hass dröhnt, hält Ulrike Polster nicht ab. Tief und laut wummern die Bässe zu dem Wiesenstück herüber, auf dem sie steht. Das Gras ist noch feucht vom Regen, der immer wieder fällt. Und es ist grün. So wie viele der Absperrgitter der Polizei, die zwischen Polster und dem Ursprung des Hass-Bass’ stehen, die aber eben nicht verhindern können, dass der Neonazi-Rock aus dem Zelt hinaus, eben bis hinüber zu der Frau mit dem dunklen, kurzen Haar dringt.

Polster betet trotzdem. „Herr, unser Gott, stärke die Menschen, die sich für Mitmenschlichkeit einsetzen“, sagt sie. „Segne alle, die heute ihre Fantasie und Kraft einsetzen, um friedlich gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.“

Dann singt sie. Gemeinsam mit der Handvoll älterer Männer und Frauen, die mit ihr nicht einmal fünfzig Meter neben dem Festival-Gelände der Neonazis stehen, im feuchten Gras, das so grün ist wie die Absperrgitter der Polizei. Der Hass-Bass wummert weiter. Sie singen einen Choral.

Wenig später dringen aus dem Zelt Satzfetzen wie „Überfremdung“, „Deutschland“, „zerstört werden sollen“. Deutlicher ist noch ein paar Minuten später nur zu hören, wie aus dem Zelt, in dem die Lautsprecher stehen, die den Hass transportieren, tausende Kehlen den Namen des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß grölen. Wieder. Und wieder. Und wieder.

Polster, die Pastorin der kleinen Stadt Themar, ist da schon wieder auf dem Rückweg in die Stadtmitte.

Dorthin also, wo an diesem Samstag eine Vielzahl von Kundgebungen stattfindet, mit denen die Einwohner der kleinen Stadt im Landkreis Hildburghausen ihren Unmut darüber bekunden, dass tausende Neonazis zu ihnen kommen, um ein musikalisches Hass-Festival zu feiern.

Wie viele Rechtsextreme in den Ort kommen, der nicht einmal 3.000 Einwohner hat, ist bis zum Samstagabend unklar, weil der Zustrom der braunen Konzertbesucher einfach nicht abreißen will. Am späten Nachmittag sagt ein Sprecher Thüringer Polizei bereits, etwa 4.500 Rechtsextreme seien bislang zu dem Konzert gekommen, dem zuletzt zwei Thüringer Gerichte den grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit gewährt hatten. Nach der endgültigen Zählung der Polizei am Abend ist dann klar: etwa 6.000 braune Konzertbesucher aus dem gesamten Bundesgebiet sowie dem europäischen Ausland sind nach Themar angereist.

Das Konzert ist damit das größte dieser Art, das Thüringen je erlebt hat. Und es ist gleichzeitig eines der größten Neonazi-Konzerte in Deutschland und Europa seit Langem.

Die Männer und Frauen, die kommen, tragen T-Shirts, auf denen steht „Sturm auf Themar“, „Division Thüringen“, „Ultrabraun“ oder „HoGeSa“. Auch Aufnäher der in Deutschland verbotenen rechtsextremen Organisation „Blood & Honour“ haben manche auf ihrer Kleidung.



Der Widerstand, auf den diese Rechtsextremen treffen, ist ein kleiner. Zahlenmäßig jedenfalls, sind in der gesamten Stadt am Samstag doch nicht mehr als ein paar hundert Menschen unterwegs, die gegen die Neonazis Traktor fahren, Straßen bemalen oder Luftballons steigen lassen.

An einem der Protestpunkte kann man sich „mit allen Sinnen“ dem Rechtsextremismus in den Weg stellen. Dort dürfen Protestierende an kleinen Gläschen riechen und dann versuchen zu erraten, welche Kräuter dort drin sind. Oder sie können in einen von zwei Kartons greifen und versuchen zu erahnen, was sich dort drin verbirgt – Stroh zum Beispiel oder ein Flaschenöffner, dessen Griff aussieht wie eine alte englische Telefonzelle.

Allerdings wäre es trotzdem völlig falsch, den Widerstand von Themar zu unterschätzen. Nicht nur in seiner Tiefe; also dazu, wie fest er in der Stadt verankert ist.

Romy Arnold – eine der stellvertretenden Landesvorsitzenden der Thüringer Jusos, die an diesem Tag mit einer Gruppe Gegendemonstranten von Proteststation zu Proteststation zieht – sagt völlig zu Recht, man dürfe nicht vergessen, wo man in Themar sei: im ländlichen Raum nämlich. „Ich finde es großartig, was die Menschen hier organisiert haben“, sagt sie.

In den größeren Thüringer Städten wie Erfurt oder Jena sei es recht einfach, gegen Rechtsextreme auf die Straße zu gehen. „Da kann man sich einem großen Pulk anschließen“, sagt Arnold. „Hier aber bedeutet Gesicht zu zeigen auch, gesehen zu werden – und zwar auch von Leuten, von denen man das eigentlich nicht möchte.“ Auch in Themar wohnten einige Neonazis, sagt sie.

Und sie verweist, so wie Themars Bürgermeister Hubert Böse es am nächsten Tag tut, auf die Relationen: Einige hundert Gegendemonstranten in Themar, das entspräche - im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Ortes betrachtet - einigen zehntausend Gegendemonstranten in Erfurt.

Dazu kommt, dass in der Stadt zwar freilich auch Angst und Furcht vor den Rechtsextremen umgehen – aber Menschen sich eben trotzdem auf die Straße wagen.

Torsten Elsner, der in einer der Hauptstraßen der Stadt wohnt, sagt beispielsweise, es hätten an diesem Tag mehr Menschen als üblich ihre Rollläden unten gelassen. „Man hat schon ein mulmiges Gefühl.“ Viele hätten zudem ihre Autos in Sicherheit gebracht, weshalb es so viele freie Parkplätze in der Stadt gebe.

Elsner deutet mit einer Hand die Straße vor seinem Haus entlang: Jede Menge freier Parkraum.

Dass die Polizei mit etwa 1.000 Beamten aus mehreren Bundesländern in Themar im Einsatz ist, trägt zu dem Sicherheitsgefühl, das den Menschen ihrer Protest ermöglicht, freilich entscheidend bei. Die Beamten sind an allen Zufahrten zur Stadt, im Zentrum und besonders auch am Festivalgelände, das am Rande Themars direkt neben einer Tankstelle liegt, präsent. Sie schreiten so vehement gegen rechte mutmaßliche Straftäter ein, dass sogar die gewöhnlich polizeikritische Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss den Einsatz der Sicherheitskräfte am Ende des Tages loben wird. Die Linke ist als Teil einer parlamentarischen Beobachtungsgruppe des Landtages vor Ort.

Aber Elsner spricht eben nicht nur von Angst, sondern sagt auch: „Die Stadt ist dadurch näher zusammengerückt.“

Dadurch - damit meint er das Hass-Festival. Und das sei nicht erst geschehen, seit die Sicherheitsbehörden öffentlich gemacht hätten mit wie vielen rechtsextremen Konzertbesuchern sie rechneten. Schon als erstmals auch nur darüber spekuliert worden sei, dass ein riesiges Neonazi-Konzert in der Stadt stattfinden könnte, seien die Menschen zusammengerückt, sagt Elsner.

Viele, die an diesem Tag erklären sollen, warum der Protest gegen die Rechtsextremen damit qualitativ so viel stärker ist als in den vergangenen Jahren, als bereits bis zu etwa 3.500 Neonazis zu Hass-Konzerten in den Landkreis kamen, sagen, das habe vor allem damit zu tun, dass sich die Verantwortlichen in der Stadt nicht vor den Problemen, die das bringe, abgeduckt hätten.

In verschiedenen Variationen ist das zu hören. Das ist eine Lektion von Themar.

Die Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) sagt ebenso wie König-Preuss, vom Bürgermeister des Ortes über die Kirche bis hin zu den Vereinen hätten sich von vorne herein in Themar alle klar gegen die Rechtsextremen positioniert. „Sie haben nicht darüber debattiert, ob sie protestieren, sondern nur, wie sie es machen“, sagt Henfling. „Davon können sich andere eine Scheibe abschneiden.“

Torsten Jakob sagt, es habe sich damit eben auch gezeigt, dass es nichts bringe, im Angesicht der braunen Gefahr den Kopf in den Sand zu stecken, so wie das andere Kommunalpolitiker im Landkreis jahrelang gemacht hätten.

Jakob stammt aus Themar, lebt aber schon lange in Erfurt und war in den vergangenen Wochen intensiv in die Vorbereitung der Proteste in seiner Heimatstadt mit eingebunden.

Das massive Polizeiaufgebot in der Stadt, das große öffentliche Interesse an dem Neonazi-Konzert und den Protesten, die parlamentarische Beobachtungsgruppe – dass es all das, sagt Jakob, habe damit zu tun, dass man in Themar das Problem angenommen und quasi öffentlich um Hilfe gebeten habe. Offenbar erfolgreich.

An dem Tag, als am Stadtrand von Themar der Hass dröhnt, trägt Jakob ein T-Shirt, auf dem statt „Division Thüringen“ steht: „Die Vision für Thüringen“. Die vier Worte rahmen ein weiteres Wort ein: „nazifrei“.

Doch so positiv diese erste Lektion von Themar ist, es gibt eine zweite, ernüchternde Lehre aus den Vorkommnissen dieses Wochenendes, die nicht losgelöst davon zu betrachten ist: Dass nämlich trotz aller starken Proteste, obwohl die Gegendemonstranten in Themar den Neonazis den öffentlichen Raum nicht oder zumindest nicht widerspruchslos überlassen haben, die Braunen ihr Hass-Festival gefeiert haben – und sie deshalb wohl in gewaltiger Zahl wiederkommen werden.

Vielleicht nicht immer direkt nach Themar, aber wohl doch in die Region.

König-Preuss sagt, schon weil der umtriebige Neonazi Tommy Frenck – der auch das Rechtsrock-Konzert vom Samstag organisiert hat – in der Region zu Hause sei, müsse man damit rechnen, dass auch in den kommenden Jahren riesige Hass-Konzerte in Südthüringen stattfinden werden.

Auch viele Einwohner Themars teilen diese Sorge. Immerhin wird schon für Ende Juni ein weiteres Hass-Konzert auf den Flächen nahe der Tankstelle erwartet.

Dann wird wieder Hass dröhnen.

Und Polster bestimmt wieder beten und singen.