Meiningen. „Der Abend war ein Genuss.“ Eindeutiger hätte das Urteil der Soiree-Besucher, verewigt im Gästebuch, kaum ausfallen können. Etwa 60 Weinkenner waren am Mittwochabend im Turmcafé über den Dächern von Meiningen zusammengekommen, um Einblicke in die Weinvergangenheit der Stadt und des Umlands zu erhalten. Aber auch, um Proben aus höchst überraschenden Thüringer Weinanbaugebieten zu verkosten.

„Wenn man mit offenen Augen durch Meiningen und die Umgebung geht, sieht man einige Hinweise auf den Weinanbau“, begann Achim Fuchs seine unterhaltsame Zeitreise ins hohe Mittelalter und die frühe Neuzeit. In eine Epoche, in der der Wein „ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor“ für die Stadt war, wenngleich sein Anbau nur im Nebenerwerb ausgeübt wurde. Noch heute zeugen einige Flurnamen und Verzierungen von Portalen mit Weinranken von jener Weinvergangenheit Meiningens, die erstmals 982 n. Chr. in einer Schenkungsurkunde schriftlich verbürgt wurde. Allerdings lohnt sich auch ein aufmerksamer Spaziergang am Drachenberg, wo Überbleibsel von äußerst schmalen Terrassen auf einen früheren Weinanbau hindeuten.

Doch um 1700 hören die Nachrichten über den Anbau der Trauben plötzlich auf – eine Folge extremer Wetterkapriolen, die ihren Höhepunkt im eisigen Winter des Jahres 1709 fanden. „In Meiningen, aber auch in so gesegneten Weinanbaugebieten wie Römhild, wurden die Ernten schlecht – der Weinanbau lohnte sich nicht mehr“, weiß Achim Fuchs. Zwar schwand die wirtschaftliche Bedeutung des edlen Traubensafts, der seinen Rang als bestimmendes Getränk bald an den preiswerten Hopfen verlor. Als Hobby hat sein Anbau allerdings die Jahrhunderte überdauert.

Dass dieses Hobby selbst in rauen Lagen des Thüringer Waldes glückt, bewies ein Winzer aus Zella-Mehlis, der den Soiree-Gästen im Anschluss an die beiden Vorträge einen Tropfen seines Hausweinstockes kredenzte. Ebenso bemerkenswert wie der Ort des Anbaus ist auch die Geschichte seines Rebstockes, der mit seiner 25 Meter langen Hauptranke längst auf die Fassade des Nachbarhauses übergegriffen hat. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts hatten ihn italienische Tunnelbauer als Gastgeschenk an den Großvater des heutigen Besitzers übergeben, in dessen Haus sie während des Baus des Brandleittunnels logierten. Trägt der Stock gut, sind Ernten bis zu 90 Kilogramm möglich, die nicht nur als Rotwein, sondern auch als Traubensaft, Weintraubenmarmelade und Korinthen den Gaumen der ganzen Familie erfreuen.

Ob es nun an den zahlreichen Eindrücken und Episoden des Weinanbaus oder an der fortschreitenden Verkostung lag – je später der Abend, desto gelöster fachsimpelten die Besucher über Rebsorten und Kreuzungen, Höhenlagen oder Säuregehalt. Mit großem Interesse verfolgten auch Barbara und Wolfgang Neumann das Geschehen. Sie waren extra aus Ilmenau angereist, um ihre umfangreichen Erfahrungen aus einem zwei Jahrzehnte währenden Hobbyweinanbau in Dresden in Gesprächen mit Gleichgesinnten auszutauschen. Ergänzend zu den praktischen Informationen über den heutigen Anbau wartete Dr. Andreas Otto Weber vom Lehrstuhl für bayerische und fränkische Landesgeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg mit einer fachkundigen Quellenschau zu den Anfängen der Weinkultur im fränkischen Raum auf.

Eine weite Anreise hatten auch die Mitglieder der Erfurter Weinzunft auf sich genommen, deren Weißwein vom Weinberg an der Citadelle am Erfurter Petersberg nicht nur von den Weinkennern aus Ilmenau in höchsten Tönen gelobt wurde. Abgerundet wurde der köstliche Abend durch einen jungen Rotwein aus dem Qualitätsweingebiet Saale-Unstrut, den hauseigenen Museumswein und weiteren Tropfen aus traditionellen Thüringer Lagen. Bittere Gaumenerfahrungen, wie sie einst Frau Holle erbosten, die daraufhin angeblich alle Weinstöcke der Stadt erfrieren ließ, blieben den Gästen im stilvollen Turmcafé-Ambiente selbstredend erspart.
S. Winkel