Es war 2008. Kai Lehmann hatte gerade sein erstes Werk „Leben und Sterben vor, während und nach dem Dreißigjährigem Krieg in der Gemeinde Fambach (1559-1703)“ veröffentlicht. 500 Seiten. Das letzte Kapitel beschäftigte sich mit Hans Hess, dem größten Massenmörder seiner Zeit. Kurz nach der Publikation meldeten sich Hilde Bachmann und Gudrun Beerbohm bei Lehmann. Die beiden führten ihn an die Mauer von Schloss Todenwarth und zeigten ihm einen Stein. „Hans Hess“ war eingraviert, daneben stilisierte Räder, die auf seine Hinrichtung deuten. „Der Name hat sich über Generationen hinweg eingebrannt“, stellte Lehmann zu Beginn seines Vortrages, in dem er die Akte Hans Hess und die Justiz im 17. Jahrhundert näher beleuchtete, heraus. Die eine Stunde war nichts für schwache Nerven. Nicht nur die Morde, die Hess einst verübt hatte, waren mehr als abscheulich, auch die Arten der Bestrafung will man heute möglicherweise gar nicht mehr wissen, eben weil sie perfide und abscheulich sind. Lehmann begann seinen Vortrag mit dem Mord an dem Sohn des Meininger Stadtschultheißen 1621 zwischen Schwallungen und Wasungen. Im Laufe der Stunde zeigte er, dass dieses Verbrechen und ein äußerst grausamer Ritualmord an einer Schwangeren zusammenhängen. In beiden Fällen war Hans Hess beteiligt. „Er war ein eiskalter Mörder“, so Lehmann. Was Menschen anderen Menschen antun könnten, sei schier unglaublich. 15 Raub- und Ritualmorde gestand Hans Hess unter Folter. Ohne diese Gewaltmaßnahme hatte er ausschließlich zwei Morde gestanden. Gegen Hess wurde ein weltliche Inquisitionsverfahren geführt – das lenkte die Strafverfahren damals in geordnete Bahnen – heißt: es wurde nicht mehr willkürlich entschieden. Schon 1532 hatte man die Carolina, die als erstes allgemeines deutsches Strafgesetzbuch galt, eingeführt. Ein peinlicher Prozess, ein Verhör, bei dem die Folter eingesetzt wurde, war in verschiedene Punkte eingeteilt. Die Entscheidungen oblagen Schöffenstühlen oder juristischen Fakultäten. Es wurde also mehrfach geprüft, es waren keine Willkürprozesse mehr. Lehmann führte den Gästen sämtliche Schandtaten auf, die Hess begangen hatte. Meist ging es um Geld. Nach einer Zeche beispielsweise erschoss er in Wasungen einen Mann aus Ruhla. Ebenso einen Nürnberger. Einen Geldwechsler stach er einfach ab. Einen Mann mit roten Bart erschoss er wiederum. Auch ein Fußgänger musste dran glauben. Überfälle. Erschießungen. Ein Ritualmord. Hess war eiskalt. Er mordete selbst, wenn am Ende nur wenig zu holen war. Und weil er ohne Folter einzig zwei Morde gestand, wandte man den peinlichen Prozess an. Hess wurde gefoltert. Gestand, widerrief. Die Folter wurde wiederholt. Bei dem Thema lenkte Lehmann die Aufmerksamkeit der Gäste auf die Folterkammern und deren Abbilder in Filmen. „Folterstühle hat es niemals gegeben – Folterkammern waren eher spartanisch ausgestattet, das aber hat schon gereicht“, sagte er. Die Opfer gingen meist als Krüppel aus der Folter heraus. „Die Folter war damals ein legitimes Mittel – erst mit der Aufklärung setzte ein Umdenken ein“, so Lehmann. Der Leitgedanke der damaligen Justiz war die Abschreckung. Den Delinquenten sollte bewusst gemacht werden, dass sie gegen die göttliche Ordnung verstoßen würden. Oft seien Urteile öffentlich vollstreckt worden. „Damit das Publikum sieht, was passiert, wenn man so etwas tut.“ Erst ab dem 19. Jahrhundert seien Todesstrafen nicht mehr öffentlich vollstreckt worden. Weiter nannte Lehmann gängige Todesstrafen im 17. Jahrhundert. Ertränken, Verbrennen, Enthaupten und Erhängen sind nur einige Beispiele. In der hiesigen Region seien Hinrichtungen höchst selten vorgekommen, schloss Lehmann den Bogen zur Ausstellungen im vorigen Jahr in der Totenkirche, wo er das Leben des Scharfrichters Johann Jeremias Glaser beleuchtet hatte. Die Scharfrichter hätten hier fast nichts zu tun gehabt. „Das Prinzip der frühneuzeitlichen Abschreckung hat schon gezogen“, sagte er. Juristisch habe man so gehandelt, dass nicht Mord und Totschlag gegolten hätten. Wie immer bekam Lehmann am Ende viel Applaus. Erste Fragen nach einer neuerlichen Muße wurden hörbar. Er habe noch etliche Ideen, meinte Lehmann daraufhin. Den Förderverein von Schloss Wilhelmsburg, über den diese Veranstaltungsreihe läuft, freute das. Dessen Vorsitzende Dorothea Meuschke ist ebenso wie die Gäste schon gespannt.