Freies Wort hilft Gesundheit einer Sonnebergerin wird zur Geld- und Gesetzesfrage

Madlen Pfeifer
Peggy Bauer und Martin Lenker geben nicht auf. Sie hoffen, dass ihr Fall in dritter Instanz weiter verhandelt und für sie, für die Gesundheit der 33-Jährigen entschieden wird. Foto: Carl-Heinz Zitzmann/Carl-Heinz Zitzmann

Nach Jahren des Leidens finden Ärzte ein Medikament, dass einer Sonnebergerin Linderung bei ihrer seltenen Hautkrankheit verschafft. Dann aber wird aus dem medizinischen ein juristisches Problem. Die Krankenkasse zahlt nicht für das kostspielige Mittel. Obendrein scheint die Rechtslage unklar zu sein. „Freies Wort hilft“ ruft zu Spenden auf.

 
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Vor ungefähr 15 Jahren nimmt die Leidensgeschichte von Peggy Bauer ihren Anfang. Die Sonnebergerin entdeckt an ihrem Schienbein einen Fleck so groß wie eine Zwei-Euromünze. Zunächst schenkt sie diesem keine besondere Aufmerksamkeit. Scheint es doch, als habe sie sich einfach nur gestoßen, wie sie sich erinnert. Doch das Mal prägt sich aus und mit ihm Peggy Bauers Schmerzen und Sorgen.

Anfangs sei der Fleck nur sehr langsam gewachsen, weiß die 33-Jährige. Nach drei Jahren, so schätzt sie heute ein, habe er dann die Größe einer Faust erreicht. Sie sucht ihren Hausarzt auf, der sie zu einem Hautarzt überweist. Bei einer Gewebeprobe stellt sich heraus, dass sie an Necrobiosis lipoidica leidet. Eine seltene Hautkrankheit, die insbesondere, aber bei weniger als einem Prozent bei Diabetes-Betroffenen – zu denen auch Peggy Bauer zählt – vorkommt. Mehr als mit Kortisonsalbe eincremen könne man nicht, habe es damals geheißen, sagt sie. Die Sonnebergerin war optimistisch, betrachtete den Fleck rein als optischen Makel. „Doch dann nahm das Drama seinen Lauf“, weiß ihr Lebensgefährte Martin Lenker.

Ein leidvolles Leben mit Morphin und Opiaten

Das Cremen nützte nicht viel. Der entzündete Bereich wuchs weiter. Inzwischen waren beide Schienbeine betroffen. Und circa fünf Jahre, nachdem sie den ersten kleinen Fleck entdeckte, ist eine Stelle aufgegangen. Im Laufe der folgenden Monate und Jahre sind es mehr und mehr geworden. Peggy Bauers Schienbeine bestanden aus flächendeckenden, offenen, nässenden, tiefen und vor allem für sie schmerzhaften Wunden. „Das war so schlimm, so schmerzhaft, dass wir fast alle zwei Nächte in die Notaufnahme mussten“, erinnert sie sich. „Sie hat immer wieder ganz starke Schmerzmittel gekriegt“, sagt ihr Partner. Von Morphin bis hin zu dem einhundert Mal stärkeren Opiat Fetanyl. Zwar gut für den Moment. Der Ursache war damit aber nicht beizukommen. So wirklich helfen konnte der jungen Frau niemand. „Wir waren an einem Punkt, an dem wir nicht mehr weiterwussten.“

Vor der Einnahme des Medikaments waren Peggy Bauers Schienbeine bedeckt mit den offenen, tiefen und schmerzhaften Wunden. Foto: privat/privat

Die Schmerzen sind vielmals kaum auszuhalten. Die Mutter eines 16-jährigen Jungen ist in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. An einen normalen Alltag ist nicht mehr zu denken. „Es war oft einfach überhaupt nichts möglich“, sagt sie. „Ich war manchmal tagelang ans Bett gefesselt.“

Schließlich ist die Familie 2014 auf das Universitätsklinikum Erlangen aufmerksam geworden. Mehrere stationäre Aufenthalte schließen sich an – unter anderem im Zuge einer Hauttransplantation vom Oberschenkel. Ein Versuch, um Peggy Bauer wieder dauerhaft Linderung zu verschaffen. „Das hat aber auch keinen Erfolg gebracht“, wie sie sich erinnert. Ebenso wenig wie all die anderen Bemühungen. Trotz verschiedener Wundversorgungen und unterschiedlicher Medikamente stellte sich letztlich nicht die erhoffte Besserung ein. Lediglich ein Wirkstoff erwies sich zumindest ansatzweise als hilfreich, aber eben nicht ausreichend. Im März 2019 kamen obendrein neue Entzündungsherde auf beiden Fußrücken hinzu.

Zwischenzeitlich brauchte es einen ganzen Bettkasten voller Verbandmittel und Produkte zur Wundversorgung. Foto: Carl-Heinz Zitzmann/Carl-Heinz Zitzmann

Einen Monat später tat sich schließlich ein Lichtblick auf. „Im April 2019 kam dann die Erlösung“, sagt Peggy. Die Ärzte entschieden sich, das über Musterpackungen verfügbare Medikament Xeljanz mit dem Wirkstoff Tofacitinib einzusetzen, welches eigentlich zur Behandlung von unter anderem mittelschwerer bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis zugelassen ist. Nach mehrwöchiger Einnahme von täglich zwei Tabletten habe sich eine deutliche Verbesserung gezeigt, erzählt Peggy. „Man konnte zusehen, wie sich die Wunden schließen und auch die Schmerzen haben mehr und mehr nachgelassen.“ Und Schmerzmittel sind kurz drauf auch kein Thema mehr. „Wir waren guter Dinge“, sagt ihr Partner. „Aber dann wurde aus dem bis dahin medizinischen ein juristisches Problem.“

Eine Packung des Medikaments mit 56 Tabletten, die Peggy Bauer also für knapp einen Monat reichen würde, kostet – da es für die Verabreichung bei ihrer Erkrankung nicht zugelassen ist – in Deutschland um die 1000 Euro. Die Ärzte, die angesichts fehlender Therapiealternativen in Xeljanz die einzige Chance einer vollständigen Abheilung sahen, beantragten folglich eine Kostenübernahme bei der Krankenkasse. Diese lehnte das beim ersten Mal und in Folge eines erfolgten Widerspruches dann noch ein zweites Mal auf Grundlage jeweils eines speziellen Gutachtens ab. Die Voraussetzungen für einen sogenannten Off-Label-Use, also eine andere als die zugelassene Verwendung, sei nicht erfüllt, heißt es. Außerdem, dass Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung einer Necrobiosis lipoidica mit Tofacitinib bisher wissenschaftlich nicht hinreichend untersucht seien.

Zwei Gerichte, zwei Urteile

Peggy Bauer sucht sich einen Anwalt und klagt gegen die Ablehnung der Krankenkasse. Das Sozialgericht Meiningen gibt ihr recht: Im Juni 2021 kommt es zu dem Urteil, dass die Kasse die Kosten zu zahlen hat. Diese legt Berufung ein. Die junge Frau aber gibt nicht auf. Das Ganze geht am Thüringer Landessozialgericht in Erfurt in zweiter Instanz weiter und zugunsten der Kasse aus. Letztlich, vereinfacht gesagt, weil es sich zum einen nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt und zum anderen das „Kriterium der fehlenden Erforschbarkeit nicht erfüllt“ sei – sprich, so fasst es Lebensgefährte Martin zusammen: „Wenn es nicht erforschbar wäre, würde die Kasse zahlen.“ Das aber ist es laut Gericht – etwa mit Verweis auf laufende Studien in Amerika – eben nicht.

Und nun? Weiterkämpfen in dritter Instanz? „Das Landessozialgericht hat eine Revision beim Bundessozialgericht nicht zugelassen“, erklärt Martin. Der Anwalt habe daraufhin eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Eine Entscheidung dahingehend aber sei weiterhin offen. Die Familie sitzt nun auf bereits entstandenen Kosten von knapp 1300 Euro und fragt sich, wie sie das Geld künftig für das Medikament aufbringen soll. Peggy kann im Zuge der Schwere ihrer Erkrankung nicht mehr als Fachkraft im Gastgewerbe arbeiten. Sie bekommt zu einhundert Prozent Erwerbsminderungsrente. Allein für das Medikament würden die 1200 Euro beinahe in Gänze draufgehen. Lebensgefährte Martin bemüht sich, die Tabletten im Ausland zu bekommen, wo die doch deutlich billiger seien. Und Peggy hat die Einnahme von zweien auf eine halbe täglich reduziert, um sie sich leisten zu können. „Und so versucht man sich jetzt irgendwie durchzuschlängeln“, sagt Martin schulterzuckend.

Die Unsicherheit bleibt

Peggys größter Wunsch wäre es, wenn die Krankenkasse sagen würde „Wir übernehmen das“. Die aber erklärt auf Nachfrage dieser Zeitung: „Für uns als AOK PLUS stehen unsere Versicherten im Mittelpunkt unseres Handelns. Gleichzeitig sind wir als gesetzliche Krankenkasse an die Gesetze gebunden. Natürlich wollen wir helfen, aber die aktuelle Rechtsprechung ist da sehr klar und wurde für den vorliegenden Sachverhalt vom Landessozialgericht eindeutig bestätigt.“ Zwar mag die aktuelle Rechtsprechung, die der Kasse nun in die Hände spielt, „sehr klar“ sein, die Rechtslage aber scheint es in diesem Fall eben nicht – angesichts dessen, dass zwei Gerichte zu zwei unterschiedlichen Urteilen kommen.

Dass Peggy Bauer versucht, in dritter Instanz gegen die Entscheidung des Landessozialgerichtes vorzugehen – soweit die Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt irgendwann von Erfolg gekrönt ist –, bewertet die AOK PLUS in ihrer Stellungnahme an die Zeitung als „korrekten Weg“, um die Änderung der Rahmenbedingungen für eine Kostenübernahme vorm Bundessozialgericht im speziellen Fall der Sonnebergerin anzustreben. „Sofern das BSG dann anders entscheidet, wäre die notwendige und erforderliche Rechtsklarheit auch im Interesse der Versicherten und Versichertengemeinschaft erzielt. Nur dann könnten auch wir anders entscheiden.“

Peggy muss also vorerst weiterhin mit der Angst leben, das Geld vielleicht irgendwann nicht mehr aufbringen zu können.

Der Verein „Freies Wort hilft“, das Hilfswerk dieser Zeitung, möchte die Sonnebergerin unterstützen und leistet eine Soforthilfe von 2000 Euro.

Der Verein ruft zu Spenden für Peggy Bauer  auf. Überweisungen an „Freies Wort hilft“, IBAN: DE39 8405 0000 1705 0170 17 bei der Rhön-Rennsteig-Sparkasse. Stichwort: Peggy. Wir garantieren: Jeder Euro kommt direkt Peggy Bauer  zugute. Spenden sind steuerlich absetzbar.

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