Thüringen "Und schauen Sie nur, wie Cora lächelt"

Von Klaus-Ulrich Hubert

Längst schon lässt Jacqueline Knedlik ihre bleischwere Traurigkeit nicht mehr Oberhand gewinnen. Oft hilft ein winziges Lächeln von Cora, ihrer vor drei Jahren mit schwersten Fehlbildungen geborenen jüngsten Tochter. Unser Zeitungshilfswerk will die Familie unterstützen.

 
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Übermorgen ist schon der erste Advent?", fragt Lucy. Auch heute gibt der allein erziehenden, 41-jährigen Mutter die liebevolle Solidarität ihrer erstgeborenen Tochter unendlich viel Kraft: Lucy, 12, die an der Seite ihrer Mama in den vergangenen Jahren schlimme Abgründe erlebt hat.

Familiäre, als ihr Papa "eine Auszeit von Mama" nahm. Später, als der Vater ihrer schwerstbehinderten Schwester Cora, aus der zweiten Partnerschaft Jacquelines, sich exakt gar nicht um sein Kind kümmerte. "W wie weg!", resümiert Jacqueline diese Vorgeschichte ihres Lebens und Arbeitens im Badischen, bevor sie nach Thüringen zurückkehrte.

"Eine Laune der Natur." Mit diesen Worten hatte eine Jenaer Uni-Klinik-Ärztin den besonders schweren Gen-Defekt namens "Trisomie-18" nach Geburt des Babys vor drei Jahren umschrieben. Ihr Kleinhirn ist in zwei Hälften gespalten - mit Folgen.

Weiberwirtschaft

Die Fachmedizinerin wünschte der Mutter angesichts möglicherweise niederschmetternder Folgen des genetischen Defekts des Babys mit herzlichen Händedruck: "Dennoch alles Gute, Frau Knedlik, und ein langes, möglichst sorgenarmes Leben mit ihrer Kleinen!"

Wenn Lucy Schulschluss am Ilmenauer Gymnasium hat, verläuft ihr Feierabend anders als bei den meisten Mädchen ihres Alters. Ganz anders. "Reine Weiberwirtschaft bei uns", schmunzelt ihre Mama beim Willkommensgruß in der Mietwohnung im Ilmenauer Stadtteil Unterpörlitz.

Dort umsorgen und pflegen die beiden hingebungsvoll ihre schwerstpflegebedürftige Cora. Die wird am 5. Dezember drei Jahre alt - obwohl ihr einst eine viel geringere Lebenserwartung vorausgesagt worden war.

Ein flüchtiges Lächeln huscht über Coras Gesicht. Sie schielt stark, sieht schlecht. Mit wohligem Brummeln ertastet sie die Figürchen überm Kinderbett. Und als Mutter und Tochter nachschauen, was die Kleine denn da mitzuteilen hat: Noch ein schielendes Lächeln.

Wenn sie wach ist, residiert Cora meist auf einem speziellen Kindersitz, einem mit Technik vollgestopften so genannten Reha-Wagen. Ihren Kopf kann sie selber gar kaum aufrecht halten. Kein Problem: Lucy stützt ihn, wenn er wieder zur Seite rollt.

Im Auto muss das derzeit noch eine Babyschale tun, die eigentlich völlig ungeeignet ist für die speziellen Bedürfnisse dieser speziellen Dreijährigen. "Ich habe die Krankenkasse informiert, wie gefährlich der Transport des Kindes darin ist", sagt Jacqueline. "Ich bin so in unserem Auto schon in Teufels Küche gekommen, wenn die Kleine ihre Epilepsien und Atemaussetzer bekam. Ihre Haut verfärbt sich dann immer, an Nase und Mund läuft sie bläulich an ..."

Bedingt durch ihre Anomalien ist Cora noch immer auf dem Entwicklungsstand eines Kleinstkindes - trotz der vielen Fördermaßnahmen. In ihren Wachzeiten wird Cora samt ihrem fahrbaren medizinischen High-Tech-Thron immer dort hingerollt, wo sie die Mama oder Tochter im Auge behalten können. "Wir müssen nämlich sofort da sein, wenn es wieder Atem-Aussetzer gib, die so genannte Schlafapnoe und so was", sagt Mutter Jacqueline und atmet tief durch. Oft sei auch ihr Opa Wolfgang eine unersetzliche Hilfe: "Mein Vater, 64 Jahre, und seine Partnerin Katrin. So oft es geht, helfen die, damit wir unseren Alltag schaffen."

Dabei erinnert Jacqueline an Zeiten, bei dem sie ohne diese Hilfe nicht über die Runden gekommen wäre. "Verstehen sie mich, dass ich meine Kleine nicht einfach im Krankenhaus abgeben wollte, um daheim meine Ruhe zu haben? Also gab's unsere täglichen Touren. Morgens Lucy zur Schule, dann an Coras Seite, ins Klinikum nach Suhl. An manchen Tagen zwei Mal. Dann das Ganze wieder rückwärts."

Jacqueline hält inne: "Als meine Kleine zur Welt kam, war sie lange blitzeblau, wog nur 2,2 Kilo. Sie glauben ja nicht, wie froh ich war, dass ich damals in diesem tollen Kinder-Klinikum, bei diesem Team in Suhl war. Dort bekam ich auch den Tipp mit dem Verein ,Freies Wort hilft.'"

Vom gegenüberliegenden Turm der Unterpörlitzer Dorfkirche schlägt's gerade 18 Uhr. "Bald Abendbrotzeit", sagt Jacqueline. Dabei rückt sie das Beatmungs-Stück an Coras Näschen zurecht, das sie mit dem so genannten "High-Flow-Oszillationsgerät" verbindet. Sie kontrolliert die Wundränder der Dauersonde, die im Bauch der Kleinen steckt. Wegen chronischer Schluckstörungen wird das kleine Mädchen künstlich ernährt. Nur zehn oder 20 Prozent ihrer Nahrung kann Cora über ihren Mund aufnehmen., und auch das nur als dünner Brei.

Neueste Errungenschaft: Eine besondere Taste am Spezialstühlchen. "So wie wir viele Therapien wahrnehmen, gehört auch die eine Frühförderung für die Sinne dazu. Hören, Sehen, Reagieren. Wir kämpfen damit gegen Coras schlaffe Muskeln, die Hypotonie. Ihr Tastsinn entwickelt sich erfreulich." Als hätte sie's gehört, patscht Cora auf eine Seite der Taste. Eine schnarrige Ansage ertönt: "Ich hab Duuurst!" Andere Seite: "Hunger!"

Nun strahlt aus den Augen der Mutter so ein Mix von halb belustigtem, halb sarkastischem Lächeln. So traurig die Situation ist: Sie und ihre große Tochter sind längst hineingewachsen in ihre schwere Verantwortung, die der auf einer Intensivstation gleicht.

Intensiv und anstrengend ist es auch, Cora mit all ihren lebensnotwendigen Apparaturen in der 18 Jahre alten Familienkutsche verstauen, mitsamt Babysitz und dem nötigen Unterbau. Vor jeder Fahrt muss sie das Reha-Wägelchen auseinander bauen, ins Auto quetschen und dann wieder zusammenbauen. "Die Autowerkstatt zeigt schon Mitleid", berichtet Jacqueline. Die fragen sich schon, ob sich's wirklich noch lohnt, wenn wieder eine teurere Reparatur fällig wird. Denn der Platz im Auto reicht absolut nicht aus." Stress pur.

Jacqueline kennt solche Probleme von einer ebenfalls betroffenen Familie in Viernau, der die Leser dieser Zeitung vor Jahren geholfen hatten.

"Mehr als 1800 Kopien unserer Antragsformulare und Unterlagen hatte meine fleißige Lucy im Sommer auf dem Fußboden sortiert. In Stapeln von je 30 Blättern sortiert - um Belege zu haben für Stiftungen und Sponsoren, die vielleicht etwas zur Auto-Anschaffung beitragen können. Dann eingetütet, frankiert und zur Post gebracht."

Seit September ist endlich der Bescheid der eingetroffen für die höchste Pflegestufe für das Kind. "Und die erste Zusage für einen Zuschuss zu einem zuverlässigen Auto mit viel Ladeplatz auch." Aber es fehlen noch mehrere tausend Euro.

"Hübsches Girl"

Mit all seinen Anbauten und Verkabelungen erinnert Coras häuslicher Hightech-Sitz an den eines Formel-1-Piloten. Messgeräte, Überwachungsmonitor, Kabel, Adapter, Seitenstabilisierung. Dazu Inhaliergerät, Sondenständer, Infusionszubehör, Beatmungsgerät, Rachenschleimabsauger.

Nichts davon darf fehlen, alles muss ins Auto passen, wenn Cora unterwegs ist - viel weiter als jetzt bei der kleinen Rundreise durch die Zimmer der Wohnung.

Den wohligen Gefühlsäußerungen der Kleinen ist zu dieser Vor-Advent-Abendstunde anzumerken: Es bereitet ihr Freude, "wenn sie durch die Wohnung geschuckelt wird", freuen sich Lucy und Jacqueline. Bei der nächsten Ohrenarzt-Untersuchung in Erfurt hofft Jacqueline, dass es "bald Möglichkeiten gibt, dem beidseitigen Hörverlust beizukommen. Heute gibt's Möglichkeiten, trotz allem Wege zum Sprechen zu finden".

Eigentlich sei Cora "ein 24-Stunden-Pflegejob", sagt Jacqueline. "Aber zum Glück kommt nachts und dann, wenn ich dringend außer Haus muss, der sehr gute Intensivpflegedienst." "So kann Mama früh wieder munter an den nächsten Tag mit meiner Schwester gehen. Und ich bin für mein Lindenberg-Gymnasium ausgeschlafen", strahlt Lucy mit dem charmantesten Lächeln.

Es ist ein so ernsthafter wie mädchenhaft-fröhlicher Gesichtsausdruck - früh ist die Persönlichkeit der Zwölfjährigen von der Kindheit ins Jugendalter gemündet. "Als würde es für ein hübsches Girl wie sie nichts Schöneres geben: Immerzu die schwerkranke kleine Schwester beschäftigen." So klingt ein Kompliment aus dem Mund eines Mitschülers.

Jacqueline holt gut bestückten Bücherregal hinter all dem medizinischen Equipment ein Fotoalbum. Bilder aus besseren Zeiten? Darauf streichelt sie noch den Brutkasten, in dem ihr in der Suhler Entbindungsstation zur Welt geholtes Baby mit all seinen Versorgungsschläuchen liegt. Gut zwei Kilo Winzigkeit, der noch kaum anzusehen ist, welche "Launen der Natur" bereits warten, um sich voll auszuprägen.

Jacqueline schließt kurz die Augen. Wie die Alltags-Situation drei Jahre später in ihrer "Weiberwirtschaft" aussieht, offenbart ein Aktenordner, aus dem sie ein Schreiben des Klinikums Suhl herausfischt.

Ende vorletzten Monats setzte Dr. med. Carsten Wurst, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums des SRH Klinikums Suhl, seine Unterschrift unter den neuesten Stand seiner Beurteilung - gemeinsam mit Kollegen der Kinder- und Jugendmedizin und der Psychiatrie. Man braucht für den Großteil dieser Diagnosen und Bewertungen kein Fremdwörterlexikon, um Cora und ihrer Familie jetzt und in Zukunft jedwede Hilfen zu wünschen, die heute Stand der Technik und Wissenschaft sind.

Ein älteres Fotobuch schlägt Jacqueline auch auf. Vor 22 Jahren, nach Abschluss ihrer Lehre, da ging sie wie so viele auswärts auf Jobsuche, wurde im Badischen fündig. Letztlich als Filialleiterin in einer namhaften Handelskette.

Ihre erste Partnerschaft dort scheiterte - zu spät hatte sie erkannt, dass der Mann alkoholsüchtig war und aggressiv. Wieder zurück in der Heimat, schien dann wieder alles perfekt: "Neuer Partner, richtiges Familienglück, Lucy geboren, Garten, Handwerkeln daheim. Und beide in Arbeit. Ich im eigenen Tante-Emma-Lädchen in Vachdorf", berichtet Jacqueline. Bis dann, nach fast neun Jahren, Lucys Papa eines Tages von der Arbeit kam: Er brauche "eine Auszeit", sagte er nur. "Weg war er! Lucy war sieben, als sie in der Wohnung Zettel verteilte: Mutti, ich liebe Dich, wir halten zusammen, ja?"

Der Absturz war tief. 42 Kilogramm Restgewicht, Bulimie, schwere Depressionen, finsterste Gedanken, was aus Lucy würde, wenn ... "Aber es gab auch viel Hilfe und Verständnis durch Verwandte", so die Mutter. Und: "Nur einmal weinte Lucy. Dann erlebte ich ihre Sprache, als sei sie schon erwachsen."

Der Schmerz war bald überstanden - so schien es zunächst, mit einer späteren Internetbekanntschaft. Langsam wuchs der Abstand zum Tiefschlag, den jene "Auszeit" bedeutet hatte. Aber es war dann schon nach einem der häufigen Besuche von Jacquelines Vater, der seiner Tochter sagte: "Ach Mädchen, mit dem und mit dir wird's nichts!"

"Lesen sie die Prospekte"

Jacqueline flüstert Details vor sich hin. "Das war alles so. Ach, interessiert eigentlich keinen. Mein Papa hatte so was von Recht. Aber da war ich von dem Mann schon schwanger. Und nun wieder ein Schulwechsel für meine Lucy."

Jacqueline wischt sich verlegen die Augen. Ihr ist jetzt anzumerken, dass sie weitere Facetten des Erinnerns an diese Zeit tief hinunter ziehen. Die aber erreichten ihren Tiefpunkt nicht etwa, weil sich bald der Vater von Cora davonmachte.

"Nein, wieder zurück in Thüringen wartete der totale Absturz, Teil 1, mit der Schwangerschafts-Feindiagnostik im Erfurter Klinikum auf mich. Die Kleine in meinem Bauch wuchs viel zu wenig für den siebten Monat." Verdacht auf ,Dandy-Walker-Syndrom' hatte man vor weiteren Diagnosen gesagt, eine Hirn-Fehlbildung, die zu körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen führt. "Sie müssen sich auf ein schwerstbehindertes Kind einstellen. Lesen Sie die Prospekte hier. Haben Sie Fragen, dann kommen sie wieder."

Nachdem Cora in Suhl im Dezember 2013 per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickte, drohte es mehrfach wieder zu verlöschen. "Das Stations- und Ärzteteam war super um Cora bemüht. Meine Oberärztin auch um mich, indem sie mir eine Psychologin zur Seite stellte".

Notwendig, als dann auch noch das genetische Untersuchungs-Urteil aus Jena kam: Trisomie-18! Als Jacqueline später im Internet googelte, was das für ihr Baby und die Familie bedeuten könnte, brach sie völlig zusammen:

Und jetzt? "Nie, nie, nie wieder Internet-Diagnose!", sagt sie heute. "Unsere Süße hier wird jetzt drei, ich habe sie damals nach dem ersten Verdacht nicht abtreiben lassen. Und schauen sie nur, wie Cora Sie jetzt anlacht."

Womit wir Familie Knedlik helfen wollen

Man muss kein Mediziner sein um zu verstehen, warum die Ärzte des Suhler Klinikums von einem "raumfordernden Hilfsmitteleinsatz" sprechen, wenn sie die vielen Geräte meinen, die Cora ständig um sich herum haben muss - natürlich auch unterwegs.

Die Ärzte empfehlen der Familie dringend einen passend umgerüsteten Van oder Minitransporter, der zuverlässig ist und in den alles hinein passt. Den braucht Jacqueline Knedlik fast täglich, wenn sie mobil sein muss für ihre Cora: Bei Fahrten zu Therapien, Übungen und Diagnosen in ihrer Heimatregion im Ilm-Kreis bis hinauf nach Masserberg, Suhl, Erfurt, Jena und darüber hinaus. Nur: Als Vollzeit-Alleinerziehende fehlt ihr natürlich das Geld.

"Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander" möchte den Knedliks dieses Fahrzeug finanzieren. Helfen Sie uns dabei und spenden Sie. Überweisen Sie Ihre Spende auf das Konto IBAN DE39 8405 0000 1705 017 017 bei der Rhön-Rennsteig-Sparkasse unter dem Stichwort "Cora" .

Unser Hilfswerk garantiert: Jeder einzelne Cent kommt Cora und ihrer Familie ohne Abzüge zugute. Alle Spenden sind steuerlich absetzbar.

Trisomie-18

... wird auch Edwards-Syndrom genannt. Sie ist nach der Trisomie-21 (Down-Syndrom) der häufigste Gen-Defekt bei Kindern. Die Mutation (dreifaches Vorliegen von Erbmaterial des 18. Chromosoms) ist nicht heilbar und führt zu zahlreichen Behinderungen. Cora-Lee aus Ilmenau hat viele, die typisch sind für Trisomie-18: Sie leidet unter Epilepsie, hochgradiger Schwerhörigkeit, ist sehbehindert, hat das Schlafapnoe-Syndrom und wird teils per Sonde ernährt.

Die meisten Kinder mit Trisomie-18 sterben bereits im Mutterleib. Einige leben nur wenige Monate oder Jahre, sehr viele erreichen aber auch das Erwachsenenalter. Durch gezielte Förderung kann die Entwicklung gefördert werden - ein glückliches Leben ist auch für diese Menschen möglich.

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