Ja, es gibt auch Menschen, die für ein Flüchtlingsheim in Gera-Liebschwitz werben. Sogar sichtbar. Ziemlich weit vorn in der Menschenmenge steht ein Mann, der fast zwei Stunden lang ein Schild hoch hält, auf dem geschrieben steht: „Wir heißen Flüchtlinge willkommen“. Aber dieser Mann und die wenigen Gleichgesinnten sind die absolute Ausnahme auf dem Sportplatz des Ortsteil der ostthüringischen Stadt am Freitagabend. Sein Schild ist so groß wie Din-A4-Blatt. Die Transparente der hunderten Gegner des Plans, hier ein Flüchtlingsheim für bis zu 500 Männer, Frauen und Kinder zu errichten, sind viel größer. Auf einem davon heißt es: „Asylflut stoppen“. Auf einem anderen „Eisenberg 2 Nein“. Mit diesen und ähnlichen großen Transparenten ließen sich gleich mehrere Betten beziehen. Was die Einwohner des 1500-Seelen-Ortsteils – der eigentlich ein Dorf ist – dem Thüringer Migrationsminister Dieter Lauinger sagen wollen, ist klar, noch ehe Lauinger auch nur den Rasen betreten hat.

Gedacht ist das Ganze dabei eigentlich als eine Einwohnerversammlung – die wegen des Andrangs unter freiem Himmel stattfindet –, bei der die Geraer Antworten auf Fragen erhalten sollen, die sie im Zusammenhang mit dem ziemlich wahrscheinlichen Aufbau der dritten Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung hier haben. Seit Monaten ist den Verantwortlichen im Land klar, dass die Kapazitäten der Heime in Eisenberg, wo Platz für etwa 500 Menschen ist, und Suhl, wo derzeit etwa 1200 Menschen leben, erschöpft sind und deshalb ein weiterer Standort für ein Flüchtlingsheim gefunden werden muss. Seit bekannt wurde, dass das Land ein ehemaliges Internat in Gera-Liebschwitz als Heim Nummer drei präferiert, ist in Gera-Liebschwitz nichts mehr wie es war.

Die Polizei wird später am Abend schätzen, das etwa 1900 Menschen auf dem Sportplatz und in dessen Umfeld stehen, als Lauinger auf die Bühne steigt. Sofort hallen ihm „Buuuuh!“-Rufe entgegen. Und gleichwohl sich der Grüne-Politiker bemüht, Antworten auf Fragen, die ihm im Vorfeld von den Vertretern der Geraer zugesandt worden waren, sachlich vorzutragen, bleibt die Stimmung den ganzen Abend über emotional, feindselig. Lauinger erklärt, auch für das Geraer Heim werde es ein Sicherheitskonzept geben. Er spricht davon, dass die Flüchtlinge für die Stadt auch höhere Geld-Zuweisungen des Landes bedeuteten. Er beschreibt das Leid, das die Flüchtlinge zum Verlassen ihrer Heimat zwingt. Kurz: Er tut das, was seit Monaten in der Öffentlichkeit immer wieder getan worden ist, um für den Gedanken zu werben, dass Flüchtlinge in diesen schwierigen Zeiten in Deutschland aufgenommen werden müssen. Für nahezu jeden von Lauingers Sätze gibt es dennoch Zwischenrufe. Im besten Fall.

Im schlimmsten Fall brüllen die Menschen Lauinger nieder. Ihn und auch die wenigen, die sich an ein Mikrofon trauen und die Pläne des Landes unterstützen. „Wir sind das Volk!“, ruft die Masse auf dem Sportplatz. „Lügner!“ Und: „Wir sagen Nein!“ Man sei aber ganz bestimmt „nicht rechts“, heißt es immer wieder. Man wolle sich auch „nicht in die rechte Ecke drängen lassen“. Es erinnert an Pegida.

Die Ängste, die die Menschen artikulieren, sind vielfältig. Und spiegeln doch ein ums andere Mal vor allem die Furcht vom dem Fremden. Eine Frau fürchtet, die Flüchtlinge – „die Asylanten“ – würden die Kaninchen aus ihrem Garten stehlen. Eine andere Frau fragt, wer ihr garantiere, dass die Flüchtlinge nicht den Lkw-Anhänger plündern würden, den ihr Lebensgefährte regelmäßig im Ort abstelle. Und ein Mann bringt all diese Ängste auf den Punkt: „Herr Lauinger, Sie geben unserem Ort den Todesstoß!“

Für Rot-Rot-Grün ist dieser Bürgerprotest ein großes Problem. Besonders auch für Lauinger, der an diesem Abend einen der wohl schwersten Auftritte seiner politischen Karriere durchzustehen hat. Immer wieder hat die Regierungskoalition – und dabei besonders laut die Grünen – betont, politische Entscheidungen müssten stets mit denen diskutiert und abgestimmt werden, die davon betroffen seien. Auch an diesem Abend sagt Lauinger das. Während die CDU-geführte Landesregierung die Suhler vor vollendete Tatsachen gestellt habe, als das dortige Flüchtlingsheim entstanden sei, wollten Linke, SPD und Grüne bei ihrem Handeln so transparent wie möglich sein; die Menschen mitnehmen. Deshalb ja auch diese Veranstaltung.

Bei der ebenfalls betont emotional vorgetragenen Frage, ob er das Heim in Gera auch gegen den Widerstand der Einwohner durchsetzen werde, bleibt Lauinger wahrscheinlich auch genau deshalb eine klare Antwort schuldig. Eine der Parolen, die an diesem Abend gebrüllt werden, lautet dann: „Ja oder Nein?“