Berlin - Allein sein Name lässt die Augen vieler Skisprung-Enthusiasten leuchten. Helmut Recknagel war ein Idol, weit über die deutschen Grenzen hinaus. Er war der weltbeste Skispringer seiner Epoche, gewann alles, was es zu gewinnen gab, und ist noch heute ein gerngesehener Gast an vielen Schanzen der Welt. Am Montag feiert der Olympiasieger seinen 80. Geburtstag.

Erst vor wenigen Tagen weilte Recknagel als Ehrengast beim Weltcup am legendären Holmenkollen. Dort gewann er 1957, als Junior mit einer Sondergenehmigung am Start, als erster Nicht-Skandinavier. Für Recknagel war es gefühlt der größte Sieg seiner Laufbahn. «Wertvoller als mein Olympia-Gold 1960 in Squaw Valley, bedeutender als meine zwei WM-Titel, wichtiger als meine drei Gesamtsiege bei der Vierschanzentournee und auch als der zweite Holmenkollen-Sieg 1960», sagt Recknagel. All diese Triumphe brachten ihn 2011 in die «Hall of Fame» des deutschen Sports.

Als Andreas Wellinger und Markus Eisenbichler vor wenigen Wochen in Lahti zu WM-Edelmetall sprangen, drückte Recknagel vor dem Fernseher die Daumen. Die Titelkämpfe weckten Erinnerungen an seine erste WM-Medaille 1958, die er an gleicher Stätte gewann. «Bei extrem starken Windböen, auf einem alten Holz-Anlaufturm bei minus 20 Grad und mit einer viel zu engen und dünnen Hose», erzählt Recknagel. Vier Jahre zuvor hatte ihn Trainer Hans Renner bei einem Fußballspiel abgeworben. Bis dahin wollte Recknagel den Weltmeistern Fritz und Ottmar Walter aus Kaiserslautern nacheifern.

Zwischen 1959 und 1963 war Recknagel unumschränkter Herrscher auf allen Schanzen der Welt. Doch 1964 kehrte er aus Innsbruck ohne das erhoffte olympische Edelmetall zurück. Platz sechs - seine persönlich größte Niederlage - wertete die DDR-Sportführung als Versagen.

Der Sport-Held wurde gemobbt. Doch Generationen von Schanzenpiloten orientierten sich an ihm. «Ich habe ihm nachgeeifert, wollte so erfolgreich wie Helmut werden. Umso mehr, als er aus der gleichen Region wie ich kommt», sagt Hans-Georg Aschenbach, der zweite deutsche Olympiasieger der Skisprung-Geschichte. Auch für Jens Weißflog, der dritte in der Riege der deutschen Olympiasieger, war er ein Idol. «Helmut Recknagel war ein großes Vorbild für mich», erklärt der Gold-Gewinner von 1984 und 1994.

Das nach Laufbahnende begonnene Sportstudium in Leipzig brach Recknagel ab. Er war sich sicher, dass er kein guter Trainer werden würde. Zu ungeduldig, zu unduldsam, zu fordernd sei er gewesen. Er studierte stattdessen in Berlin Veterinärmedizin und arbeitete nach erfolgreichem Abschluss als Fachtierarzt für Lebensmittelhygiene in Fürstenwalde. Nebenbei blieb er von 1973 bis 1995 als internationaler Sprungrichter seinem Sport treu.

In den Wendezeiten verlor Recknagel seinen Job. Ein Jahr lang schrieb er zahllose Bewerbungen, arbeitete bei einer Versicherung, für ein Krankentransport-Unternehmen und ein Berliner Sanitätshaus, ehe er sich 1996 mit fast 60 Jahren selbstständig machte. Sein Sanitätshaus, inzwischen auf acht Filialen ausgeweitet, hat er mittlerweile in andere Hände übertragen. Er ist aber immer noch im Unternehmen tätig.

Überwunden hat er inzwischen erhebliche gesundheitliche Probleme nach einer Operation vor zehn Jahren. Recknagel fühlt sich wieder wohl, trainiert zweimal wöchentlich in einem Reha-Zentrum und läuft im Prenzlauer Berg. «Älter werden und sich jünger fühlen, das ist die Kunst im Leben», lautet einer seiner vielen Wahlsprüche. «Krankheit ist keine Sünde, Gesundheit ein Verdienst», ein anderer.

An seinem 80. Geburtstag am kommenden Montag will er mit Ehefrau Eva-Maria, mit der er seit 55 Jahren verheiratet ist, seiner Tochter und den beiden Enkelkindern vor zu vielen Gratulanten fliehen. Wahrscheinlich an seinen Lieblings-Urlaubsplatz, die Ostsee. Am 25. März jedoch steigt in Berlin eine größere Feier mit geladenen Gästen. Dabei wäre Recknagel an dem Tag viel lieber in Planica - beim Skifliegen.